Exoten bei den Olympischen Spielen picture alliance

Exoten bei den Olympischen Spielen

  • Marco Heibel
Olympische Spiele sind immer auch ein Biotop für Exoten und sympathische Verlierer. Die netzathleten erinnern an einige Winterolympioniken, die trotz oder gerade wegen ihres „Versagens“ länger im kollektiven Gedächtnis geblieben sind als so mancher Medaillengewinner.

Jamil El Reedy (Ägypten/Ski alpin)


So mancher wird sich weiland, 1984, vor dem Fernseher verwundert die Augen gerieben haben, als bei der Eröffnungszeremonie der Olympischen Winterspiele von Sarajevo die ägyptische Flagge ins Stadion getragen wurde. Die Delegation des nordafrikanischen Landes war freilich überschaubar: Der damals 18-jährige Fahnenträger Jamil El Reedy bildete ein Ein-Mann-Team. Bis heute ist er der einzige Ägypter, der jemals an Olympischen Winterspielen teilgenommen hat.



In Sarajevo ging er in der Abfahrt sowie im Riesenslalom und Slalom an den Start. Sein Abschneiden war den Erwartungen entsprechend: In der Abfahrt belegte er den 60. und damit letzten Platz mit mehr als einer Minute Rückstand auf den Vorletzten. Im Riesenslalom schied er bereits im ersten Durchgang aus. Respektabel war dagegen sein Abschneiden im Slalom: Als 46. ließ er zumindest den Zyprer Giannos Pipis (noch so ein Exot) hinter sich. Dabei hatte El Reedy sich doch sehr gewissenhaft auf die Olympischen Spiele vorbereitet. Auf Anraten seines Trainers, der gleichzeitig auch sein Vater war, verbrachte er nach eigener Aussage 40 Tage in einer Höhle in der westlichen ägyptischen Wüste, um sich dort einem Initiationsritus zu unterziehen.

Nach den Spielen hing er die Bretter an den Nagel. Eine gute Entscheidung, wie sich zeigen sollte: Nach seinem erfolgreich abgeschlossenen Physikstudium hat er mittlerweile mehrere Patente angemeldet.

Lamine Guèye (Senegal/Ski alpin)


Wenn ein Ägypter bei Winterspielen schon exotisch erscheint, wie ist es dann erst bei einem Senegalesen? Zugegeben, weder der eine noch der andere wird in seinem Heimatland jemals eine Schneeflocke zu Gesicht bekommen haben, insofern werden ihre Voraussetzungen vergleichbar gewesen sein. Und wie El Reedy bildete auch Guèye ein Ein-Mann-Team (was nebenbei der einfachste Weg ist, zum Fahnenträger seines Landes ernannt zu werden). Hier hören die Parallelen El Reedy und Guèye jedoch schon auf.

Rein leistungsmäßig war das Abschneiden des damals 23-jährigen Guèye in Sarajevo nämlich durchaus bemerkenswert: In der Abfahrt ließ er neun Starter hinter sich, im Riesenslalom sogar 19. Angespornt durch dieses Leistungen, nahm Guèye auch 1992 in Albertville und 1994 in Lillehammer teil. Seine Erfolge von Sarajevo konnte er jedoch nicht wiederholen.

Dafür wurde er ab 2002 zum Klassenkämpfer der Exoten: Nachdem das IOC die Qualifikationskriterien für die kleineren Nationen angehoben hatte und Guèye so das Ticket nach Salt Lake City verwehrt blieb, startete er eine Kampagne, der sich viele Exoten anschlossen. Ihr Credo: Das Motto „Dabei sein ist alles“ dürfe nicht in Vergessenheit geraten.

Fast noch bemerkenswerter ist jedoch Guèyes Funktionärskarriere in seiner Heimat: Das langjährige Ein-Mann-Skiteam des Senegal ist nämlich in Personalunion auch Gründer, Präsident, Schatzmeister und Generalsekretär des nationalen Skiverbandes. Wie heiß es früher noch? L’état, c’est moi.

Prinz Albert von Monaco (Bob)


Der heutige Fürst Albert II. von Monaco hat den Sport quasi im Blut. Sein Großvater mütterlicherseits, John B. Kelly, gewann für die USA drei Mal Olympiagold im Rudern. Bei Albert selbst war es mit den vorderen Plätzen nicht so weit her. Bestes Ergebnis: Platz 25 im Zweierbob 1988 in Calgary. Doch zumindest hat er das Kunststück vollbracht, fünf Mal in Folge zu den Olympischen Spielen zu fahren.

Zugegeben, der damalige Prinz von Monaco hatte als Chef des NOK von Monaco, als IOC-Mitglied und angesichts der fehlenden Konkurrenz im Fürstentum nicht unbedingt den mühseligsten Weg zu Olympia. Dennoch ist seine Einstellung beachtlich. Schließlich ist die Zahl der Blaublüter, die sich dem Sport verschrieben haben, durchaus überschaubar.


Das jamaikanische Bobmannschaft


Die Geschichte des Jamaika-Bobs kennt jeder, spätestens seit Disney sie in dem Film „Cool Runnings“ auf die Kinoleinwand gebracht hat. 1988 war die jamaikanische Bobmannschaft die Sensation der Spiele von Calgary (neben einem Skispringer, über der weiter unten berichtet wird).

Die Idee war ja eigentlich auch gar nicht so abwegig – zumindest, wenn man sich von dem Gedanken freimacht, dass die jährliche Durchschnittstemperatur auf der Karibikinsel bei rund 25°C liegen und einem angesichts dessen Bobfahren nicht als Allererstes in den Sinn kommt. Immerhin sind Seifenkistenrennen auf Jamaika durchaus populär, und die Insel ist nicht erst seit Usain Bolt oder Asafa Powell für ihre schnellen Sprinter (sprich: gute Anschieber) bekannt. Das Einzige, was dem Mosaik fehlt, sind der Eiskanal und das fahrerische Know-how. Doch daran haben die Jamaikaner gearbeitet.

Verlief Calgary ’88 für das jamaikanische Bobteam rein sportlich noch unter ferner liefen, erreichte der Jamaika-Bob in anderer Besetzung ’92 einen fast sensationellen 10. Platz im Zweier- und einen 14. Platz im Viererbob. Bis 2002 in Salt Lake City qualifizierte sich das Team Jamaika für alle Olympischen Spiele, auch wenn die Ergebnisse wieder schlechter wurden. 2002 war der „Tiefpunkt“ erreicht: Platz 28 bei den Zweierbobs. Doch Jamaika wäre nicht Jamaika, wenn ihnen nicht auch in der Niederlage etwas Erstaunliches gelungen wäre: Kein anderes Team hat nämlich in Salt Lake City eine bessere Startzeit hingelegt. Blöd nur, dass es dafür keine Medaille gibt…

Die Jamaikaner hätten dagegen beinahe in einer ähnlichen Sportart eine Medaille gewonnen: Ein umtriebiger deutscher Showmaster (der so genannte „König Lustig“) lud sie 2005 zu einem seiner unzähligen Events, der Wok-WM in Winterberg, ein. Im Vierer-Wok verpassten die Jamaikaner als Vierte jedoch knapp das Siegerpodest.

Michael Edwards alias „Eddy the Eagle“ (Großbritannien/Skispringen)


Großbritannien ist zwar eigentlich eine Sportnation, doch was den Wintersport angeht, erwischt man das Vereinigte Königreich irgendwie auf dem falschen Fuß. Lediglich 21 Medaillen bei Olympischen Winterspielen stehen hier seit 1924 zu Buche, das macht exakt 1,05 Medaillen pro Teilnahme. Beispielhaft für den Misserfolg der Insulaner auf diesem Gebiet sei an einen kauzigen Stuckateur aus Cheltenham erinnert, der mit Brille unter der Skibrille und einer Portion (Über-)Mut die Sprungschanzen der Welt stürmte und 1988 in Calgary über Nacht zu einer Kultfigur wurde. Die Rede ist natürlich von Michael Edwards, besser bekannt unter seinem ironisch-liebevollen Kampfnamen „Eddie the Eagle“.

Edwards war 1988 der erste Skispringer, der Großbritannien bei Olympia vertrat. Dabei hätte er eigentlich gern auf diesen Eintrag in die Geschichtsbücher verzichtet. Nachdem seine Qualitäten als Volleyballer oder Judoka jedoch für eine Olympia-Qualifikation nicht ausreichten, ist er erst mehr oder weniger aus Zufall auf das Skispringen aufmerksam geworden. Dessen Vorzug: Mangels nationaler Konkurrenz und dank eines Reglements, das Großbritannien einen fixen Startplatz bei Olympia einräumte, war der Weg nach Calgary verhältnismäßig kurz. Über die Nachteile – erster Sprung von einer Schanze mit 23 Jahren, Verletzungsgefahr etc. – sah Edwards geflissentlich hinweg.

Der „Erfolg“ gab ihm recht: Trotz eines Gewichts von mehr als 80kg gelang ihm 1987 bei der Nordischen Ski-WM in Oberstdorf ein Satz auf 73,5m – britischer Rekord. In Calgary selbst wurde Eddy the Eagle sowohl von der Normal- als auch von der Großschanze mit Abstand Letzter. Die Medien feierten ihn dennoch, sogar mehr als den Dreifach-Olympiasieger Matti Nykänen. Edwards wurde über Nacht zum Star, schrieb ein Buch, nahm Songs auf und verbuchte im Jahr 1988 geschätzte Einnahmen von mehr als einer Millionen Mark. Da ist es beinahe kein Wunder, dass der Engländer unter den „richtigen“ Springern nicht allzu große Sympathien genoss…

Der Karriereknick folgte bereits ein Jahr später: Während der Vierschanzentournee 1988/89 brach er sich beim Springen in Innsbruck bei einem Sturz das Schlüsselbein. Als Konsequenz verhinderte der Weltverband FIS weitere Sprünge des „Skisprung-Clowns“, und das IOC hob die Qualifikationsnorm auch für die Exotenländer auf ein Niveau an, das Eddy the Eagle und Gleichgesinnten eine Olympiateilnahme quasi unmöglich machte.


Philip Boit (Kenia/Skilanglauf)


Auch die Winterspiele von Nagano 1998 hatten einen heimlichen Star: den kenianischen Langläufer Philip Boit. Dieser kam – wie sollte es anders sein – erst über Umwege zum Wintersport. Boit war ein durchaus talentierter 800-m-Läufer, doch angesichts der enormen Leistungsdichte in der Läufernation Kenia musste er bereits relativ früh einsehen, dass er auf diesem Weg nicht zu olympischen Ehren gelangen würde.

1995 tat sich für Boit dagegen eine andere Chance auf: Findige Marketing-Strategen des Sportartikelherstellers Nike begaben sich auf die Suche nach einem Schwarzafrikaner, den man zu einem Olympia-Langläufer (und zugleich zu einem Testimonial) aufbauen konnte. Der Gedanke dahinter ist einleuchtend: Die TV-Präsenz eines schwarzen Langläufers wird allein schon wegen seiner puren Anwesenheit immens sein. Man könnte fast von einem „Eddy the Eagle-Phänomen“ sprechen. Mit dem Unterschied, dass die Popularität des Sportlers durch die generalstabsmäßige Planung im Hintergrund bereits vorgezeichnet war.

Die Wahl des Unternehmens fiel auf Boit, der 1996 bei einem Trainingslager in Finnland im Alter von 25 Jahren zum ersten Mal in seinem Leben Schnee gesehen hat und dementsprechend auch zum ersten Mal auf Langlauf-Skiern stand. Boit zog sich während des Trainings Erfrierungen zu, blieb jedoch bei der Stange (bzw. den Latten).

Während der Spiele von Nagano startete Boit über 10 Kilometer. Er wurde beinahe erwartungsgemäß Letzter von 92 Gestarteten mit einem Rückstand von mehr als 20 Minuten auf den späteren Sieger Björn Dæhlie. Dennoch kam es zu einer bemerkenswerten Szene im Zielbereich: Der Erste des Rennens, der achtfache Olympiasieger Björn Dæhlie, wartete minutenlang im Ziel auf Boit und gratulierte ihm zu seiner Leistung. Diese Situation scheint auch Boit lange im Gedächtnis geblieben zu sein. Wie lässt es sich sonst erklären, dass er seinem Erstgeborenen den Vornamen Dæhlie gab?

Während Björn Dæhlie seine Karriere nach Nagano beendet hatte, nahm die von Boit nun erst richtig Fahrt auf: 2002 in Salt Lake City und 2006 in Turin war Boit wieder mit von der Partie. Seine beste Platzierung: 64. im Sprint von Salt Lake City (fünf waren langsamer als er).

Iginia Boccalandro (Venezuela/ Rodeln)


In Salt Lake City 2002 betrat eine Dame mit ungewöhnlichen Körpermaßen und untypischer Herkunft die internationale Bühne des Rodelsports. Beim Blick auf die Statur der damals 42-jährigen Familienmutter lässt sich ihre Taktik bereits erahnen: Einfach die Hangabtriebskraft ausnutzen. Mit ihren 108kg war die Venezuelanerin Igina Boccalandro nämlich mit Abstand die schwerste Starterin im Wettbewerb. Und wer in Physik aufgepasst hat, weiß, dass jedes Kilo auf dem Weg nach unten Geschwindigkeit bringt.

Einen Strich durch die Rechnung machte ihr lediglich der Fakt, dass ein Eiskanal auch Kurven hat, durch die man erst einmal unfallfrei kommen muss – was Boccalandro nicht gelang. Bereits im oberen Teil der Strecke war sie in einer Kurvenausfahrt von ihrem Rodel gerutscht.

Was dann geschah, erinnerte schon ein wenig an einen gestrandeten Wal. Die „venezuelanische Eisbombe”, wie der Boulavard sie danach taufte, rutschte bäuchlings noch mehrere hundert Meter den Eiskanal hinunter. Da die Hangabtriebskraft allerdings nicht mehr ausreichte, um das Ziel zu erreichen, war der Wettkampf bereits an dieser Stelle für Boccalandro beendet. Außer ein paar Schrammen ist ihr glücklicherweise nichts passiert, und die Sportwelt war um eine weitere nette Geschichte reicher.

Zugabe: Verhinderte Olympia-Stars


Nicht auszudenken, wenn Costa Cordalis sich tatsächlich für Olympia 1984 qualifiziert hätte. Es ist anzunehmen, dass der zweimalige griechische Landesmeister im Langlauf seinen größten Hit noch einmal in einer „Sarajevo-Version“ („Ich sah sie irgendwo, allein in Sarajevo, Anita“) herausgebracht hätte…

So blieb die Olympia-Teilnahme für den Barden jedoch ein Traum: Er schaffte schlicht und einfach die Qualifikation nicht – was angesichts der weiter oben genannten Personen, die ihren Traum verwirklichen konnten, fast ein Ding der Unmöglichkeit zu sein scheint. Immerhin war Cordalis dafür aber ein Jahr später bei der Nordischen Ski-WM in Seefeld (Österreich) mit von der Partie. Er wurde übrigens Letzter.

Der zweite verhinderte Olympia-Star, Stefan Raab, kann da eigentlich nur Neid auf Cordalis empfinden. Denn für Raab reichte es im Langlauf weder für ein Olympia- noch ein WM-Ticket. Dabei hat der Moderator wahrlich alle Hebel in Bewegung gesetzt, um vielleicht doch an den Spielen von Salt Lake City 2002 teilnehmen zu können.

Sein Plan ähnelte in gewisser Weise dem von Eddy the Eagle. Raab ist die Sache nur von einer anderen Seite angegangen: Anstatt sich eine Sportart zu suchen, in der niemand in seinem Land fit ist, hatte er sich einfach ein Land gesucht, in dem niemand in seiner Sportart fit ist. Langer Rede kurzer Sinn: Raab wollte im Langlauf für Moldawien starten. Damit das auch für die Moldauer einen gewissen Ertrag bringt, wollte Raab im Gegenzug mehrere Sponsoren für den nationalen Skiverband gewinnen. Das Ganze scheiterte letztlich – neben Raabs fehlender langläuferischer Qualität – an diversen Formalitäten.

Möglicherweise war es für alle Beteiligten besser so. Andererseits darf man sich rückblickend jedoch auch die Frage stellen, ob Raab solche Wettbewerbe wie die Wok-WM oder das TV Total Turmspringen überhaupt ins Leben gerufen hätte, wenn man ihn in Salt Lake City ran gelassen hätte.

Marco Heibel

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