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Stichwort Prothesen – wohin geht die Reise?

  • Nils Borgstedt
Im Interview mit Prof. Dr. Christoph Asmuth vom Institut für Philosophie, Literatur-, Wissenschafts- und Technikgeschichte der TU Berlin (BMBF-Projekt: Anthropofakte), nähern wir uns der Frage an, ob und inwieweit die Prothetik den Menschen übertreffen kann und welche Probleme auftreten – auch im Sport. Stichwort: Mensch-Maschine-Schnittstelle.

netzathleten.de: Ein großer Teil der Verschmelzung von Mensch und Maschine stellt sich bei Prothesen dar. Was müssen denn Prothesen funktionell und gesellschaftlich erfüllen?
Prof. Dr. Christoph Asmuth: Das ist natürlich eine schwere Frage, weil der Bereich der Prothesen extrem weit gefasst ist. Es gibt einfach viele Artefakte, die dazu gehören. Prothesen betreffen ja nicht nur den Ersatz von Gliedmaßen wie Arm oder Bein, sondern wir sprechen auch von Zahnprothesen, oder aber von Prothesen, die ganz in den Körper eingebaut werden, wie beispielsweise Herzschrittmacher. Dadurch ist es natürlich schwer, einen Anforderungskatalog zu erstellen. Was sich allerdings ziemlich gut beantworten lässt, ist die Frage: Was ist die neuralgische Stelle bei allen Prothesen? Und das ist nämlich genau die Stelle, an der die Prothese mit dem Körper in Verbindung tritt.

netzathleten.de: Was heißt das konkret?
Prof. Dr. Christoph Asmuth: Im Grunde bemisst sich danach, wie gut Körper und Prothese zusammenspielen, wie funktionell eine Prothese ist. Man kann die tollsten Maschinen bauen und trotzdem ist immer die Stelle, an der die Maschinen an den Körper „angeschlossen“ wird, die eigentlich problematische Stelle.

netzathleten.de: Welche Probleme können dort auftreten?
Prof. Dr. Christoph Asmuth: Auch das ist sehr unterschiedlich, je nachdem von welcher Prothese man spricht. Nehmen wir zum Beispiel eine klassische Beinprothese. Da liegt enormes Gewicht auf dem Stumpf. Das reibt und scheuert natürlich und entsprechend ist der Orthopädie-Techniker darum bemüht, die Halterung der Prothese so geschmeidig wie möglich zu machen. Früher hat man sie aus Leder gemacht, heute werden verschiedene Kunststoffe eingesetzt.

Bei anderen Prothesen kommen weitere Problem hinzu. Wenn Sie etwas vollständig in den Körper einbauen, und das soll im Idealfall auch noch flexibel sein, dann haben Sie große Materialprobleme. Der Körper versucht immer diesen Fremdkörper abzubauen. Wenn man noch weitere Funktionen, wie zum Beispiel einen Datentransfer integrieren möchte, muss das Material zusätzliche Eigenschaften mitbringen, etwa leitend sein. Und das ist eben die große Frage der Materialforschung, wie man solche Produkte herstellen kann. Zusammenfassend kann man also sagen: Ob eine Prothese gut genug ist, um zum Einsatz zu kommen, ist immer eine Frage des Materials.

netzathleten.de: Und diese Entwicklung von Material und Prothesen schreitet immer weiter voran. Sehen Sie in der Zukunft die Möglichkeit, dass Prothesen die bessere Funktion liefern, als die natürlichen Köperteile? Beispielsweise beim Laufen im Sport…
Prof. Dr. Christoph Asmuth: Pauschal lässt sich diese Frage nicht beantworten. Mit dem Cochleaimplantat für Gehörlose gibt es schon heute eine Neuroprothese, die funktioniert. Mit diesem Implantat ist man, bei entsprechender Einstellung beziehungsweise, wenn man es hackt, in der Lage Ultraschall zu hören. Man kann also Frequenzbereiche hören, die für das normale Ohr nicht zu hören sind. Das bedeutet allerdings im Umkehrschluss nicht, dass jemand mit einem Cochleaimplantat besser hört als jemand mit einem natürlichen Gehör. Das liegt daran, dass unsere Ohren sehr, sehr gut auf unsere Umwelt eingestellt sind. Wir hören genau in dem Frequenzbereich sehr detailliert, in dem unsere normale Umwelt funktioniert. Was ich damit sagen möchte ist: Wenn man eine Prothese hat, die etwas Besonderes kann, heißt das nicht, dass sie auch zwingend besser ist, sondern dass sie etwas Spezielles anders kann, als ein normales Körperteil.

Das Gleiche sieht man eben auch bei Behindertensportlern. Sie haben beispielsweise Beinprothesen, mit denen sie sehr schnell laufen können, eventuell sogar schneller, als mit normalen Beinen – allerdings maße ich mir hier kein Urteil darüber an. Es kann schon sein, dass Spezialprothesen besser sind, aber eben nur für bestimmte Anforderungen. Dass sie aber insgesamt besser sind, als ein gesundes Bein, das glaube ich nicht. Das halte ich für ausgeschlossen, und es wird wohl auch noch für sehr, sehr lange Zeit nicht so sein.

netzathleten.de: Sie klingen da sehr sicher…
Prof. Dr. Christoph Asmuth: Ja, denn auch mit absoluten Hightech-Prothesen gibt es Probleme, die bestehen bleiben werden. Zum Beispiel das Treppen hinauf- und vor allem hinuntersteigen oder das Laufen auf schrägen Untergründen. Damit das funktioniert, müsste auch eine Rückkopplungsfunktion in der Prothese integriert sein, denn diese Dinge verlangen mehr als eine rein mechanische Funktion. Es wird zwar schon daran gearbeitet, aber eine Lösung ist noch nicht ansatzweise in Sicht.

netzathleten.de: Inwieweit?
Prof. Dr. Christoph Asmuth: Das Problem bei den Neuroprothesen sind die Schnittstellen. Wir haben bisher keine Möglichkeit Neuroprothesen direkt und dauerhaft an unser Nervensystem anzuschließen. Das geht vielleicht mal für ein paar Tage, aber dann treten Probleme wie Entzündungen oder ähnliches auf, sodass man sie wieder entfernen muss.

netzathleten.de: Dann bleiben wir gespannt, was die Zukunft im Bereich der Prothetik noch bringt. Vielen Dank für das Gespräch.

Prof. Dr. Asmuth leitet das Forschungsprojekt „Anthropofakte. Schnittstelle Mensch“, das an der Technischen Universität Berlin durchgeführt wird. Weitere Informationen gibt es unter http://www.anthropofakte.de/

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