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Hakeem Olajuwon - der Traumfänger

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Hakeem Olajuwon brachte Mitte der 1980er Jahre einen neuen Typ Center in die NBA: athletisch und kraftvoll, gleichzeitig jedoch auch schnell und elegant. Der Nigerianer machte den Traum eines jeden NBA-Managers wahr. Das ist seine Geschichte.

Guy Lewis konnte sich noch erinnern, als sei es gestern gewesen: Der Tag, an dem Hakeem Olajuwon (Foto) in Houston ankam, sei ein besonderer in der Historie des Basketball-Sports gewesen, äußerte der 87-Jährige kürzlich. Lewis hatte bereits 24 Jahre als Head Coach der University of Houston auf dem Buckel, doch solch ein spezieller Fall wie an diesem Herbsttag im Jahre 1980 war ihm noch nicht untergekommen: „Ich ging zu meinem Assistent und sagte ihm: ‚Da ist dieser Junge, der aus Afrika kommt. Irgendjemand muss ihn vom Flughafen abholen‘“, berichtet er in der Dokumentation Hakeem – The Dream. Lewis schickt seinen Assistant Coach Donnie Schverak aus, um den Gast vom anderen Kontinent zu empfangen. Doch ehe sich Schverak gen Houston Airport aufmachen kann, erscheint auf dem Campus bereits ein Taxi mit dem Neuankömmling. Lewis‘ Assistent staunt nicht schlecht über das, was da aus der gelben Taxe gestiegen kommt: „Da kam Hakeem aus dem Auto herausgeklettert. Und herausgeklettert. Und weiter herausgeklettert. Der Junge war einfach riesig“, schmunzelt Schverak. Vor den beiden Übungsleitern steht ein baumlanger, schmächtiger Teenager anstatt des mittelgroßen Guards, den beide erwartet hatten.

Auch auf dem Campus ist der 17-jährige, aber bereits 2,08 Meter große Nigerianer vom ersten Moment an ein Blickfänger. Auf Grund seiner ungewöhnlichen Verhaltens- und Ausdrucksweise – der afrikanische Akzent gehört spätestens seit Dikembe Mutombos Knatterstimme zur Liste der Kuriositäten – wird Olajuwon von vielen Studenten als naiv, ja sogar leicht blöd angesehen. Auch wenn seine basketballerischen Fertigkeiten viele Zweifler bald zum Schweigen bringen, ist Olajuwon auch heute noch erbost, wenn er zwecks seines Hintergrunds schief angesehen wird: „Sie versuchen, sich über Afrika lustig zu machen, obwohl sie noch nie dort waren. Die Leute denken, ganz Afrika besteht aus dem Dschungel, weil es das ist, was sie im Fernsehen gesehen haben. Aber wenn man dort lebt, kann man überall auf der Welt leben“, erklärt er in einem Interview mit der Sports Illustrated.

Märchenhafter Aufstieg

In Lagos, mit heutzutage rund acht Millionen Einwohnern die größte Stadt Nigerias, macht „The Dream“ – wie Hakeem Olajuwon später ehrfürchtig genannt wird – seine ersten Schritte auf dem Weg zum erfolgreichen Sportler. Ähnlich wie viele Jugendliche in den Metropolen der Vereinigten Staaten zieht es ihn auf die Straßen und Hinterhöfe der Stadt, wo die Halbwüchsigen im Kampf gegen alltägliche Probleme und Langeweile ihren Durst nach Bewegung stillen. „Lagos ist wie New York – überfüllt, Aktivität 24 Stunden am Tag“, erzählt Olajuwon. Für ihn ist der Sport jedoch mitnichten ein Ventil für Unmut und Stress, hervorgerufen durch soziale und gesellschaftliche Missstände. „Ich spielte einfach gerne“, merkt er im Gespräch mit NBA TV an. Aus dem schlaksigen Teenager entwickelt sich ein echter Sportsmann, der nicht nur die ganze Palette der Leibesübungen probiert („ich spielte Fußball, Handball, Feldhockey und turnte“), sondern von seinen Eltern auch wichtige Tugenden wie Disziplin und Fairness mit auf den Weg bekommt.

Dass Olajuwon im Alter von 16 Jahren schließlich auch seine Liebe zum orangefarbenen Leder entdeckt, ist Ganiyu Otenigbade geschuldet. Der Basketball-Coach beobachtet den bereits über zwei Meter großen Hakeem auf Empfehlung mehrerer anderer Jugendlicher bei verschiedenen Sportveranstaltungen, sieht seine flüssigen Bewegungsabläufe und die beängstigend gute Koordination für einen Jungen seiner Größe. Otenigbade lädt ihn zu einem Basketball-Training ein. Als Olajuwon den Basketball-Court erst einmal betreten hat, ist es um ihn geschehen. „Sobald ich damit angefangen hatte, merkte ich: Das ist der Sport für mich. Alle anderen Sportarten wurden zur zweiten Wahl“, verrät er.

Quasi über Nacht wird Olajuwon zu einem der größten Talente im afrikanischen Basketball-Sport. Dank der guten Voraussetzungen, die er sich über die Jahre auf den Straßen von Lagos angeeignet hat, lernt er die Strukturen und Abläufe im Basketball mit wahnwitziger Geschwindigkeit. Nur wenige Monate, nachdem er das erste Mal ernsthaft auf einen Korb geworfen hat, führt der junge Hakeem seine Highschool zur nationalen Meisterschaft. Kurz darauf räumt der 17-Jährige als Leistungsträger der nigerianischen Nationalmannschaft bereits die Bronzemedaille bei den All-African Games ab. Der Name Olajuwon steht schneller auf den Zetteln der Talentspäher als Pistolenheld Lucky Luke seine Revolver ziehen kann.
Es ist kaum verwunderlich, dass auch seine Coaches zur weiteren Ausbildung an einem US-amerikanischen College raten.

Olajuwon ziert sich anfangs jedoch noch, eine schnelle Entscheidung zu Gunsten einer Universität im Land der unbegrenzten Möglichkeiten zu treffen. „Er sagte mir: ‚Alles was ich wusste war, dass ich in Nigeria spielen konnte. Ich dominierte. Aber ich wusste nicht, ob ich in Amerika würde spielen können‘“, erzählt der Journalist Fran Blinebury gegenüber ESPN über ein Treffen mit Olajuwon. „Ich kannte niemanden in den Vereinigten Staaten“, äußert der Center selbst. Auf Druck seiner Eltern, die stets von einer guten Ausbildung für ihren Zögling geträumt haben, und seiner Coaches, welche die Zweifel ob seiner Tauglichkeit zerstreuen, lässt er sich schließlich doch darauf ein, dem westlichen Kontinent einen Besuch abzustatten. Nicht nur Guy Lewis und Donnie Schverak von der University of Houston, die letztendlich das Rennen um das inzwischen 2,08 Meter große Talent machen, zeigen sich begeistert von dem schüchternen Schlaks aus Afrika.


Als Hakeem Olajuwon vier Jahre später an erster Stelle des NBA-Drafts gezogen wird, gilt er als talentiertester Spieler des Landes. Schon lange machen die Leute keine Witze mehr über seine Herkunft – seine basketballerischen Fähigkeiten überschatten schlichtweg alles. In den vier Jahren an der University of Houston hat er sich zum besten Innenspieler im College-Basketball entwickelt und seine Truppe dreimal ins Final Four des NCAA Tournaments geführt. Zwar ist dabei kein einziger nationaler Titel herausgesprungen, doch sind die „Cougars“, wie die Basketball-Mannschaft der Universität genannt wird, in allen Highlight-Shows der Fernsehstationen vertreten gewesen: Mit Olajuwon im Zentrum wird die Truppe auf den Namen „Phi Slama Jama“ getauft, angelehnt an ihre spektakuläre Spielweise. Der afrikanische Hüne gibt dabei vornehmlich mit seinen imposanten Dunks und den entmannenden Blocks den Takt vor. Es überrascht wenig, dass nun, im Juni 1984, die Houston Rockets – welche ausgerechnet die damals noch durch einen Münzwurf zu entscheidende Lottery gewinnen – sich mit dem Top-Pick die Rechte an Olajuwon sichern.

Dass nie jemand im Nachhinein Kritik geübt habe, weil die Rockets Olajuwon anstatt Michael Jordan (Foto) zogen, sage alles über die Leistungen des Centers, erwähnte einmal der General Manager einer NBA-Franchise. Auch Jordan, der Olajuwons Mannschaft 1982 mit den North Carolina Tar Heels im NCAA-Finale bezwungen hatte, spricht stets in den höchsten Tönen von dem Nigerianer. Anlass dazu gibt es bereits in dessen ersten NBA-Jahren in Hülle und Fülle. Franchise und Öffentlichkeit sind geradezu hingerissen von den Fähigkeiten des 2,13-Meter-Manns: Da ist Olajuwon, der hinten (11,9 RpG, 2,7 BpG als Rookie) und vorne (20,6 PpG) seine Gegner dominiert und mit 2,21-Meter-Forward Ralph Sampson das bis dahin wohl dynamischste Big-Men-Duo der NBA-Geschichte formt, das nur noch „Twin Towers“ genannt wird. Olajuwon, der bereits in seinem Sophomore-Jahr das Cover der Sports Illustrated ziert. Olajuwon, der aus Houston das „It-Team“ der 90er Jahre macht und daheim wie auswärts die Hallen füllt. Der Center ist schlichtweg allgegenwärtig.

Von den Rockets, die 1982/83 noch ärmliche 14 Siege einfuhren, ist alsbald nichts mehr zu sehen. Nach 51 Erfolgen in der Hauptrunde preschen die Raketen in den Playoffs der Saison 1985/86 bis in die NBA Finals vor. Nach einer 4-1-Demontage der Los Angeles Lakers – immerhin die Champs aus dem Vorjahr – muss sich Olajuwons Truppe zwar in den Endspielen den Boston Celtics geschlagen geben (2-4), doch vor den jungen Rockets scheint eine aussichtsreiche Zukunft zu liegen. Und ganz besonders vor Olajuwon, der seine Fähigkeiten auch gegen die Celtics-Legenden und Frontcourt-Größen Larry Bird, Robert Parish und Kevin McHale manifestiert hat. „Nächstes Jahr werden wir es schaffen“, ruft Hakeem direkt nach dem letzten Finals-Spiel der Menge der Rockets-Fans zu, die ihre Mannschaft am Houston Airport empfängt.


Nach Hakeems ersten Profijahren steht fest: Einen Center wie ihn hat die NBA noch nicht gesehen. Verteidigungsmonster Bill Russell (Foto) kommandierte die Boston Celtics in seiner Zeit mit purer Dominanz zu elf NBA-Meisterschaften. Athletikfreak Wilt Chamberlain war mit seinen abnormalen vertikalen Fähigkeiten ein Exot in den frühen Jahren der NBA. Und der Meister des Sky Hooks, Kareem Abdul-Jabbar, brachte und bringt gegnerische Verteidigungsreihen mit Technik und Finesse zum Erliegen. Wenngleich sich Hakeem Olajuwon nach seinen ersten zwei Saisons bezüglich des Erfolgs noch nicht mit den Genannten messen kann und will, so ist sein komplexes Talent doch eine Augenweide in der NBA der 80er Jahre. Mit seiner ungewöhnlichen Kraft und Dynamik, die Gegner wie Korbanlagen erzittern lässt, erinnert er an den großen Chamberlain. Zugleich spielt Olajuwon mit Köpfchen wie „Captain Skyhook“ Abdul-Jabbar; sein Roulette aus Wurftäuschungen, Spin-Moves und weichen Hakenwürfen ist von kaum einem Pivot zu verteidigen. Und nicht zuletzt sind es Defense und Intensität des Center-Traums, die in Ansätzen denen eines Bill Russell gleichkommen. Gepaart mit der Beweglichkeit und dem Handling, wie es kleine Flügelspieler besitzen, sowie der Spielübersicht und dem Auge für die freien Mitspieler, das sich „The Dream“ im Laufe seiner Karriere noch aneignen soll, ist der 2,13-Meter-Riese ein wandelnder Mismatch-Albtraum für jede Verteidigung. „Es war eine großartige Erfahrung, einfach die Dinge zu sehen, die er auf dem Feld anstellen konnte“, würdigt Rudy Tomjanovich, der die Rockets von 1992 bis 2003 coacht, rückblickend die Leistungen des Center-Spielers.

Olajuwon führt derweil seine basketballerischen Fähigkeiten, die weit über das Können eines normalen Korbsportlers hinausgehen, auf seine langjährigen Erfahrungen in den diversen Bereichen des Breitensports zurück. Die verschiedenen Spiele und Freizeitbeschäftigungen, die ihn einst auf die Straßen von Lagos trieben, machten aus dem Jungen vom „Black Continent“ einen Athleten, wie er kompletter kaum sein könnte. Vor allem sein mehrjähriges Wirken als Fußball-Torhüter und Handball-Spieler hätten Reflexe und Beweglichkeit nachhaltig gefördert, so Olajuwon. Es entstand ein 2,13 Meter großer Dribble-Künstler, der hinten den Rebound abgreift und den Ball wie ein Guard in die gegnerische Hälfte bringt. Coaching-Legende Pete Newell merkt bereits nach Olajuwons ersten zwei NBA-Jahren an, dass dies „die beste Fußarbeit ist, die ich je von einem Big Man gesehen habe“. Mit Power Forward Ralph Sampson an seiner Seite, der über ähnliche Grundlagen verfügt, bildet er ein dribblendes und passendes Frontcourt-Gespann, das die Liga terrorisiert, lange bevor ein Dirk Nowitzki oder Kevin Garnett die Bühne betreten.

Das größte Aufsehen erregt indes Olajuwons „Dream Shake“, eine Bewegung, die bereits am College in Ansätzen zu sehen war und mit der der Nigerianer bereits in den ersten Jahren als Profi eine Vielzahl an Gegnern zum Narren gehalten hat. Der Move basiert auf einer Abfolge von Körpertäuschungen: „Man muss drei Dinge bewerkstelligen“, erklärt Olajuwon nach seinem Karriereende. „Erstens, den Gegner irrezuleiten und dafür zu sorgen, dass er sich in die entgegengesetzte Richtung bewegt. Zweitens, den Gegner lahmzulegen und ihn erledigt zurückzulassen. Und drittens, den Gegner abzuschütteln und ihm keine Chance zu geben, den Wurf zu stören.“ Was sich äußerst kompliziert anhört, läuft bei Olajuwon so flüssig ab, dass es ein wahrer Augenschmaus ist.


Als Hakeem Olajuwon am 1. November 1986 in Houston in seine inzwischen dritte NBA-Saison geht, sind die Erwartungen an den Franchise Player und seine Mannschaft so hoch wie noch nie. Seit dem Draft 1984 zeigte die Leistungskurve beider Parteien stets nach oben; beinahe exponentiell nahm der Erfolg zu. Dass nach dem Finals-Aus gegen die Celtics nun die Championship-Trophäe in die Wüste von Texas geholt werden soll, ist nur der nächste, logische Schritt. Wie dies im Sport jedoch so ist, lässt sich Erfolg mehr schlecht als recht völlig planen. Es gibt schlicht zu viele Variablen. In der Saison 1986/87 ist der talentierte Ralph Sampson eine davon.

Der gepriesene Co-Star, der in der Vorsaison noch 18,9 Punkte und 11,1 Rebounds im Schnitt markiert hat, befindet sich innerhalb kürzester Zeit in allen Belangen auf Talfahrt. Bereits beim Saisonauftakt gegen die Los Angeles Lakers steht der zweite Teil der „Twin Towers“ nicht im Zwölfer-Kader der Rockets – Knieprobleme machen „Samps“ zu schaffen. Im weiteren Verlauf der Spielzeit wird er nur 43 Mal überhaupt die Sneakers schnüren. Zu den Verletzungsproblemen gesellen sich persönliche Schwierigkeiten um die Person Ralph Sampson. Als mit unter anderem Lewis Lloyd ein weiterer Schlüsselspieler der Rockets den langfristigen Weg gen Lazarett antritt, scheint die Saison bereits zum Desaster verkommen zu sein.

Der einzige Grund, weshalb die Raketen nicht zum Bodensatz der NBA-Franchises werden, ist Olajuwon. Der 24-Jährige zelebriert trotz aller Unannehmlichkeiten um die Personalie Sampson und die große Garnitur der Verletzten weiterhin Basketball vom Feinsten. Wie ein Wilder startet er in die Spielzeit, bereit, zu beweisen, dass er den „Monstervertrag“ über zehn Jahre und rund 20 Millionen US-Dollar, den Houston ihm im Sommer 1986 gegeben hat, auch wert ist. Mit durchschnittlich 23,4 Punkten, 11,4 Rebounds, 3,4 Blocks, 2,9 Assists und 1,9 Steals liefert er allabendlich ein Statistik-Paket, wie es kompletter kaum sein könnte – in insgesamt 13 statistischen Bereichen führt er seine Franchise in dieser Spielzeit an. „Er war ein Mann, der wild entschlossen war. Er würde sicherstellen, dass wir ihm folgen“, äußert Hakeems damaliger Mitspieler Robert Reid. Das erste von insgesamt sechs Mal in seiner Karriere wird „The Dream“ ins All-NBA First Team berufen. Am Ende der regulären Saison stehen bei den Rockets dennoch nur 42 Siege auf dem Konto.

Es soll das letzte Mal für lange Zeit sein, dass Houston und Hakeem Olajuwon in Reichweite einer Meisterschaft kommen. Nach einem überraschenden 3-1-Erfolg über die favorisierten Portland Trail Blazers in der ersten Runde der Playoffs warten die talentierten Seattle Supersonics um das Scoring-Trio Tom Chambers, Dale Ellis und Xavier McDaniel auf die Raketen. Bis in ein dramatisches sechstes Spiel wehren sich die Rockets gegen die Franchise aus dem Nordwesten der USA. Obwohl Olajuwon mit 49 Punkten und 25 Rebounds das beste Spiel seiner noch jungen Karriere macht und seine Mannschaft bis in die zweite Verlängerung treibt, soll es schlussendlich nicht reichen: Mit 125:128 verabschieden sich die Rockets aus der Postseason. „Wir deckten ihn zu dritt, jedes Mal [wenn er den Ball bekam]. Er war einfach nicht aufzuhalten“, zollt ihm Sonics-Forward McDaniel anschließend Tribut. Für Hakeem ist dies indes ein schwacher Trost.

In den folgenden Jahren lernt der Nigerianer die dunklen Seiten des Sports noch besser kennen. In einem Umfeld, das stets in Bewegung ist, von Trades, Zugängen und Abgängen geprägt ist, verbleibt der Center als einzige Konstante. Mitte Dezember 1987 wird schließlich auch Ralph Sampson per Trade in die Ferne geschickt. Die Neuen – darunter Joe Carroll und und Eric „Sleepy“ Floyd – können weder in der Saison 1987/88, noch in den darauffolgenden Jahren die erhoffte Verbesserung im Kader der Rockets darstellen. Hakeem, „The Dream“, bleibt im Mittelmaß der NBA zurück: Bis zur Saison 1990/91 soll Houston nicht über die erste Playoff-Runde hinauskommen – 1992 wird die Endrunde sogar komplett verpasst.

Bei all dem Misserfolg gehen die weiterhin überragenden Leistungen von Olajuwon fast unter: In der Saison 1989/90 markiert er durchschnittlich 24,3 Punkte, führt zudem die Liga in Rebounds (14,0 RpG) und Blocks (4,6 BpG) an. Am 29. März 1990 gelingt ihm beim Sieg über die Milwaukee Bucks außerdem mit 18 Punkten, 16 Rebounds, elf Blocks und zehn Assists das bis dahin dritte Quadruple-Double der NBA-Historie. Die ständigen Niederlagen beginnen jedoch auch am Alphatier der Rockets zu nagen. „Ich denke, der Verlust vieler seiner Teamkollegen und das damit verbundene Nichterfüllen der Erwartungen hatte definitiv Auswirkungen auf ihn“, erzählt der damalige Rockets-Head-Coach Bill Fitch rückblickend. „Er musste mit dem Druck umgehen, die Franchise fast im Alleingang aufrechtzuerhalten“, meint die Houston-Radio-Legende Bill Worrell. Der Nigerianer hängt sich allabendlich für seine Franchise noch mehr rein, will in jedem Spiel den Sieg erzwingen – zur Not auch, indem er mit dem Kopf durch die Wand geht. Mitspieler Robert Reid berichtet folgendes: „Während eines Timeouts kam Dream einmal zu mir und sagte: Bobby, ich bin frei, gib mir den Ball‘. Ich sagte: ‚Dream, da sind vier Leute um dich herum‘ – ‚Das macht nichts, ich dunke über alle zusammen‘.“ Mit krankhaftem Ehrgeiz versucht Olajuwon seine Mannschaft immer wieder auf die Siegesstraße zu führen – die öffentliche Wahrnehmung ist nicht selten, dass der 2,13-Meter-Mann egoistisch, ja eigensinnig agieren würde. „Sein Offensivspiel hatte sich so gut entwickelt, dass er tatsächlich sogar gegen zwei oder drei Gegner gleichzeitig spielen konnte und trotzdem eine bessere Chance hatte, zu punkten, als wenn er den Ball zu einem Teamkollegen gepasst hätte. Er bekam daher das Etikett, ein eigennütziger Spieler zu sein“, äußert Robert Falkoff von der Houston Post.

Für „The Dream“ kommen allerdings noch weitere Erschwernisse hinzu: Sein Körper, auf den er sich zuvor stets verlassen konnte, fängt speziell Anfang der 90er Jahre an zu streiken. Diverse Verletzungen und gesundheitliche Probleme sorgen immer wieder dafür, dass Olajuwon aussetzen muss (in der Saison 1990/91 verpasst er insgesamt 26 Partien). Gerüchte um einen möglichen Drogenkonsum des Centers machen zusätzlich die Runde. Im März 1992 wird er von den Rockets auf Grund einer angeblich vorgetäuschten Muskelverletzung gar für fünf Spiele suspendiert. Als die Teamärzte Olajuwon kurze Zeit später völlige Gesundheit attestieren, bricht das eh schon dünne Eis zwischen Spieler und Clubführung vollends. „Ich war bereits, anderswo zu spielen. Ich war bereit, zu gehen“, erzählte „The Dream“ rückblickend.


Dass er Houston – inzwischen seine langjährige Heimat – damals nicht verlassen habe, sei auch seinem Glauben geschuldet gewesen, so Hakeem. Indem er sich dem Islam und seinen Lehren wieder zuwendete, habe er Trost gefunden. Trost für die beruflichen Verfehlungen. „Ich denke, er hatte sich als Basketballspieler in dieser Zeit seiner Karriere gezeigt, aber abseits des Felds hatte er sich noch nicht wirklich gefunden“, sagt Kenny Smith, der von 1990 bis 1996 für die Rockets spielt und heute bei TNT arbeitet. „Es änderte alle. Die komplette Perspektive, einfach alles“, so „The Dream“ über seine religiöse Rückbesinnung.

Mario Elie, jahrelang dessen Mitspieler in Houston, beschrieb im ESPN-Blog TrueHoop einmal, wie Olajuwon während des Ramadans seinen Glauben ausübte: Morgens um fünf Uhr sei er aufgestanden, um vor Sonnenaufgang zu essen und zu trinken. Er habe fünf Mal am Tag gebetet, auch mal im Locker Room, wenn es sein musste. Während eines Spiels habe er keinen Tropfen getrunken und erst wieder nach Sonnenuntergang Nahrung zu sich genommen. „Bei einem Spielplan mit 82 Partien, die abends um 19:30 Uhr begannen, war das nicht einfach. Es beeinflusste sein Spiel jedoch nie“, schreibt Elie. Die Veränderung seiner Persönlichkeit sei deutlich zu sehen gewesen. Mario Elie berichtet, wie dies sich nach einer Playoff-Niederlage der Rockets gezeigt habe: „Im Hotel war ich zutiefst unglücklich. Ich sprach darüber, wie bestürzt ich über die Situation war. Hakeems Zimmer war auf derselben Etage wie meins. Er und einige muslimische Freunde kochten Fisch, es roch auf der ganzen Ebene danach. Ich war so frustriert über unsere Playoff-Serie, und als ich aus meinem Zimmer ging, kam mir Hakeem entgegen und lächelte, als sei nichts geschehen. Er war ein bewundernswerter Anführer. Dass er sich dem Islam zuwandte und sich stärker mit seiner Religion beschäftigte, half ihm wirklich mit seiner Disziplin und dem Fokus.“

Auch auf dem Basketball-Parkett wendet sich für Hakeem Olajuwon und die Rockets langsam wieder einiges zum Besseren. Mit den Zugängen von Vernon „Mad Max“ Maxwell, Kenny Smith, Otis Thorpe oder Robert Horry verändert sich das Gesicht der Mannschaft und vor allem: Sie gewinnt an Potenzial. In der Spielzeit 1992/93 holen die Rockets dann auch schon 55 Siege und dringen immerhin bis in die Semifinals der Western Conference vor. Ein Jahr später sind es bereits 58 Erfolge – mehr als je zuvor in der Geschichte der Franchise aus Houston. Olajuwon, mittlerweile 31 Jahre alt, spielt im Zentrum einer hochtalentierten und vielseitigen Mannschaft die vielleicht beste Saison seiner Karriere: Zu den durchschnittlich 27,3 Punkten gesellen sich 11,9 Rebounds, 3,7 Blocks, 3,6 Assists sowie am Ende der Hauptrunde die Auszeichnung zum Most Valuable Player der Liga. „In der Saison 1993/94 war er der dominanteste Spieler, den ich im Basketball jemals gesehen habe“, lobt Radio-Legende Bill Worrell.

Die Endrunde sollte für die Rockets allerdings eine Achterbahnfahrt der Gefühle werden. Nachdem die Portland Trail Blazers in der ersten Runde keinen Stolperstein für die Franchise aus Texas darstellen konnte (3-1), sind die erfahrenen Phoenix Suns um Kraftpaket Charles Barkley (Foto) der nächste Gegner. Früh stehen die favorisierten Rockets mit dem Rücken zur Wand: Nach zwei Heimniederlagen ist das Momentum jedoch wieder auf Seiten von Olajuwon und Co., als diese das dritte und vierte Spiel in gegnerischer Halle für sich entscheiden können. Zwei weitere enge Spiele später kommt es in der siebten Begegnung zur großen Kräfteprobe: Hakeem und Sir Charles liefern sich vor den Augen der Fans in Houston ein hochspannendes Duell, das der Nigerianer (37 Punkte, 17 Rebounds) und seine Franchise schließlich mit 104:94 erfolgreich zu Ende bringen.

Nach einer vergleichsweise einfachen Serie gegen die Utah Jazz um das Duo „Stockalone“ (4-1) steht Olajuwon in den NBA Finals. Acht Jahre, nachdem die legendären Boston Celtics dem damals blutjungen Center eine Lehre erteilten. „In der Geschichte von Houston gab es nicht wirklich ein Team, das eine Championship gewann. Die Möglichkeit war so einzigartig“, sagt „The Dream“ rückblickend. In einem legendären Schlagabtausch mit New Yorks Patrick Ewing ist es schließlich Olajuwon, der seiner Mannschaft in Spiel sechs den Sieg und in im entscheidenden siebten Aufeinandertreffen den lang ersehnten Titel sichert:


Eine Saison später peilen die Rockets die Titelverteidigung an. Doch nicht das erste Mal in der Karriere des Hakeem Olajuwon lässt sich der Erfolg (zunächst) nicht planen: Reihenweise Verletzungen raffen den Kader dahin. Auch der während der Saison aus Portland neuverpflichtete Clyde Drexler, mit dem Olajuwon bereits am College zusammenspielte, kann vorerst nicht für den großen Umschwung sorgen. Als sechsplatziertes Team der Western Conference geht es in die Playoffs von 1995.

In der Endrunde beweist sich jedoch die Erfahrung und große Klasse der Rockets. Erst wird die 60-Siege-Franchise der Utah Jazz in der ersten Runde nach Hause befördert (3-2), dann sind einmal mehr die Phoenix Suns nicht in der Liga, den Houston-Express aufzuhalten. Obwohl die Raketen bereits mit 1-3 in der Serie zurücklegen, erzwingen sie schlussendlich ein siebtes Aufeinandertreffen, das Mario Elie mit einem Drei-Punkte-Wurf aus der Ecke zugunsten der Rockets entscheidet.

In den Conference Finals des Westens kommt es zu einem legendären Aufeinandertreffen der 90er Jahre. Das Duell zwischen David Robinson (Foto), dem MVP der Saison 1994/95, und Hakeem Olajuwon, MVP und Finals-MVP von 1993/94, wird mit Spannung erwartet. Dass der Machtkampf unter den Körben letztendlich so unausgeglichen gestaltet wird, hätte jedoch wohl kaum ein Experte für möglich gehalten: In sechs Spielen demontieren die Rockets die Spurs, immerhin mit 62 Siegen das beste Team der Liga; Olajuwon bringt dem Admiral zudem eine der größten persönlichen Niederlagen dessen Laufbahn bei. Ein ums andere Mal lässt Hakeem den zwei Jahre jüngeren Robinson im direkten Duell aussehen wie einen Schuljungen. Olajuwon, der über die Serie hinweg 35,3 Punkte im Schnitt erzielt, liefert eine der grandiosesten Leistungen, die je in den Playoffs vollbracht wurden. David Robinson gehen später beinahe die Worte aus, als ihn das Life Magazine auf den Nigerianer anspricht: „Für Hakeem eine Lösung finden? Man findet für Hakeem keine Lösung. Er kontrollierte die Serie einfach nur.“

In den zweiten Finals in Folge, welche die Rockets erreichen, sind die jungen Orlando Magic kein echter Prüfstein. Mit 4-0 erteilt die routinierte Veteranentruppe aus Houston den Aufsteigern aus Florida eine deutliche Lehre und schafft die Titelverteidigung. Orlandos Shaquille O’Neal, der Olajuwon ebenso wie David Robinson kaum in den Griff bekommt, merkt nach der Serie nur verblüfft an: „Er hat etwa fünf Bewegungen, dann noch vier weitere Bewegungen, mit denen er [auf die Verteidigung] reagieren kann. Das gibt ihm insgesamt 20 Bewegungen.“

In den darauffolgenden Jahren sinkt der Stern des Hakeem Olajuwon langsam aber sicher. Zwei weitere Saisons gehören die Rockets mit „The Dream“ als Lenker und Denker in der Zone zum erweiterten Favoritenkreis, der große Sprung gelingt jedoch nicht mehr – auch nicht mit Charles Barkley im Kader, der 1996 per Trade verpflichtet wird. 1996 gewinnt Olajuwon, der inzwischen eingebürgert worden ist, mit den USA die Goldmedaille bei den Olympischen Spielen in Atlanta. Zahlreiche Verletzungen erschweren anschließend jedoch weitere Höchstleistungen des Centers, auch wenn dieser in der Saison 1998/99 noch einmal 18,9 Zähler und 9,6 Rebounds im Schnitt markiert. Im August 2001 wird der inzwischen 39-Jährige per Trade nach Toronto, Kanada, verschifft, wo er in seinem letzten Jahr in der besten Basketball-Liga der Welt immerhin noch rund 23 Minuten pro Spiel auf das Parkett darf.

Im April 2008 erfährt „The Dream“ eine ganz besondere Huldigung: Die Rockets weihen ein bronzefarbenes Ehrenmal mit seinem Namen und Trikot vor dem Toyota Center in Houston ein. Es ist eine weitere Ehrung für einen, der bereits in die Naismith Hall of Fame aufgenommen wurde und sein Trikot unter der Hallendecke der Rockets weiß. Nur wenige Worte kommen dem großen Afrikaner bei dieser Gelegenheit über die Lippen: „Es ist ein Traum“, sagt er, „Wenn man ein Buch schreibt, ich glaube, man könnte es nicht viel besser machen.“

Guy Lewis sitzt derweil irgendwo, und wird schmunzelnd an einen Herbsttag im Jahre 1980 zurückdenken, als ein Taxi auf dem Campus der University of Houston ankam.

Joshua Wiedmann

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