Die erste Lawine – Stephan Kecks Tagebuch, Teil 2 www.stephan-keck.at, Paul Gürtler

Die erste Lawine – Stephan Kecks Tagebuch, Teil 2

  • Derk Hoberg
Extrembergsteiger Stephan Keck ist im Basislager des Dhaulagiri angekommen. Erste Rückschläge und eine Krankheit machen ihm zu schaffen. Ist das Team zu schnell aufgestiegen? Im zweiten Teil seines Expeditions-Tagebuchs erfahrt Ihr, wie der Aufstieg weitergeht. Es bleibt spannend…

20.04. Zermürbt geht es weiter

Nach einer mehr als qualvollen Nacht sind die Kopfschmerzen endlich weg. Total müde und völlig kraftlos krieche ich aus dem Zelt. Paul kann mit den Trägern vereinbaren, dass wir versuchen, über den French Col das 300 – 400 Höhenmeter tiefer liegende Dhaulagiri Basislager zu erreichen. Das einzige Problem, das wir dabei haben: Der French Col ist 5360 Meter hoch und wir müssen wieder über ein großes Schneefeld. Da ich kein Frühstück brauche, starte ich als erstes – die Kamera im Anschlag und den Rucksack auf dem Rücken. Paul hilft noch beim Abbau des Lagers, holt mich dann aber schon bald ein. Es geht mir immer noch ziemlich schlecht, doch ich weiß, dass es nur diese Lösung gibt. Ich muss über diesen Pass, um dann im wesentlich tiefer liegenden Basislager die nötige Erholung zu finden. Paul nimmt mir schließlich meinen Rucksack ab, somit wird es schon wieder etwas leichter für mich. In ständigem Wechsel aus Schneesturm und einigen wenigen Sonnenstrahlen kommen wir insgesamt nur sehr langsam voran. Wir folgen einem Flussbett - die Landschaft hier gleicht extrem der Tibetanischen Hochebene, die ich von früheren Expeditionen her kenne.

Das Wasser im Flussbett ist gefroren und es schneit immer wieder. Dazu ein sehr unangenehmer Wind. Gegen 9:00 erreichen wir dann gemeinsam mit unseren Trägern den Punkt, wo wir wieder auf den Schnee müssen. Auf den letzten 200 Höhenmetern müssen wir uns also wieder durch den Schnee kämpfen. Doch dieses Mal haben wir Glück: Da wir sehr früh dran sind, trägt der Schnee noch. Gegen 11:30 erreichen wir schließlich den French Col. Von nun an geht es nur noch nach unten und das sogar fast schneefrei.

Die Aussicht hier am Pass ist sehr schön, wir stehen jetzt direkt vor dem Dhaulagiri. Ein tolles Bild. Er wirkt mächtig. Aber auch erschreckend und gefährlich. Riesige Hängegletscher warten fast auf dem gesamten Weg ins Lager I auf uns. Auch der sogenannte Eiger wirkt in der Frontalansicht sehr einschüchternd. Stein und Eisschlag sind wohl nicht auszuschließen. Wir beschließen deshalb, hier am Berg immer sehr früh aufzubrechen, um die Gefahr durch die nächtliche Kälte dann auf ein Minimum zu reduzieren. Wenn hier noch mehr Schnee liegt, ist der Weg ins Lager I und auch der Weg zum Gipfel lawinentechnisch sicher sehr anspruchsvoll.


So, der Berg sieht richtig schwierig aus. Das ist ja eine schöne Begrüßung, denken wir. Doch am Anfang schaut alles immer viel wilder aus, als es dann ist. Nach einer kurzen Pause am Pass machen wir uns auf den Weg nach unten. Ich kann leider immer noch nichts bei mir behalten, aber zumindest kann ich nun meinen Rucksack wieder selbst tragen. Wieder einmal müssen wir feststellen, dass „nur nach unten gehen“ sich auch sehr lange ziehen kann. Es ist extrem heiß und der Weg zieht sich durch eine Steinwüste nach unten. Nach mehreren Pausen erreichen wir den Talboden und somit die Gletschermoren, auf der wir unser Basislager errichten werden. Wir glauben, schon da zu sein, aber dann geht es immer noch fast 45 min am Toddgletscher auf und ab, bis wir die ersten Zelte von anderen Gruppen entdecken. Endlich im Basislager angekommen ist es 14:30.

Zum ersten Mal bleibt der Tee in mir und das Antibiotikum wirkt scheinbar. Da wir mit derselben nepalesischen Agentur wie unsere Schweizer Freunde arbeiten und diese schon alle Zelte aufgebaut haben, können wir für unsere erste Nacht im Basislager eines ihrer Zelte beziehen. Purna und Sandra bauen mit Hilfe von Zering und den Trägern schnell noch ein Küchen- und Esszelt auf. Paul und ich liegen aber bereits vor dem Abendessen im Schlafsack, kommen dann zum Essen noch einmal kurz heraus und genießen anschließend eine sehr erholsame Nacht.

21.04. Das Basislager

Nach dem ersten Frühstück im Basislager geht es nun an die Arbeit. Die Medikamente wirken hervorragend und ich kann, bis auf etwas Müdigkeit, keine Nachwirkungen mehr feststellen. Zunächst errichten wir also zwei Plätze für unsere Zelte und bauen unsere „Wohnungen“ für die nächsten Wochen auf. Im Laufe des Vormittags kommen dann auch die Bergsteiger und Trekker des Schweizer Teams an, die ihr fertiges Nest beziehen können. Den Rest des Tages verbringen wir schließlich mit Faulenzen und Essen - ja ich kann auch wieder essen. Was das bisherige Wetter betrifft, ist es morgens meistens sehr schön. Im Laufe des Tages wird der Wind dann aber stärker und es wird wolkig oder es beginnt sogar zu schneien.

22.04. Aufbruch ins Lager I

Nach einem sonnigen Frühstück im Basislager geht es weiter mit Aufbauarbeiten. Eine weitere Plattform entsteht im Eis. Viele Steine und nasser Sand müssen transportiert und gesammelt werden, um eine flache Stelle am Eisrücken der Moräne entstehen zu lassen. Auf dieser Flachstelle errichten wir dann unser Material- und Kommunikationszelt. Den Rest des Tages verbringen wir damit, die Solaranlage und die ganze Verkabelung zu installieren bzw. Internet und Telefon einzurichten. Wir schaffen es tatsächlich, die ersten Bilder und eine kurze Mail nach Hause an unsere Lieben zu schicken.

Im Anschluss packen wir unsere Rucksäcke, damit wir am nächsten Tag zum ersten Mal ins Lager I auf 5700m aufsteigen können. Wir werden bei diesem ersten Aufstieg 3 Hochlagerzelte, 2 Daunenschlafsäcke, 2 Isomatten, einen Seesack, 2 Gaskartuschen, 2 Firnanker, 1 Kochgeschirr, Tee, Feuerzeug, 30m Seil, 20m Reepschnur, 2 Erstehilfepakete, 1 Notfallapotheke, 2 Pinkelflaschen, diverse Eisschrauben und Sicherungsgeräte sowie sonstigen Kleinkram nach oben tragen. Zum Abendessen haben uns Purna und Sandra zur Belohnung dann noch mit Speckknödeln überrascht. Es folgt eine kurze Nacht:

23.04. Die Lawine beim Aufstieg

Pünktlich um 3:30 weckt uns Purna. Nach einem Chapatti (indisches Fladenbrot) für Paul und heißen Kartoffeln für mich, geht es mit vollgeladenen Rucksäcken zum Fuße des Eigers. Der Weg dahin ist überraschend einfach zu finden und schon bald stehen wir im 40° steilen Gelände. Es ist noch dunkel, aber wir kommen sehr gut voran. Schon bald haben wir die ersten 150 Höhenmeter hinter uns und kommen in eine kleine Felsgrotte. Wesentlich flacher queren wir den Eiger dann über eine gute Spur. Es folgt noch ein etwas steilerer Aufschwung, bevor wir in ein riesiges flaches Gletscherbecken kommen.

Mittlerweile ist es hell geworden und wir sind knapp unter 5000 Metern. Wir kommen sehr gut voran und schon bald haben wir das lange, flache Gletscherbecken mit den darüber thronenden Hängegletschern hinter uns. Bei einer kurzen Pause müssen wir aber erkennen, wie schnell sich hier oben alles ändern kann: Ein kleines Teil des Hängegletschers löst sich hinter uns. Am Anfang sehen wir nur eine kleine Schneewolke vom Berg ins Tal rauschen. Die Wolke entwickelt sich aber rasch zu einer richtigen Staublawine. Mit extremer Geschwindigkeit und einer immer grösser werdenden Staubmenge kommt die Lawine Richtung Talboden. Ich fotografiere. Während ich mein Objektiv ständig nachkorrigieren muss, bemerkt Paul, dass das Ding uns auch noch einstauben könnte. Uns erwischt es aber Gott sei Dank nicht mehr, jedoch rauscht die Lawine über den ganzen Gletscherboden und somit auch über genau die Aufstiegsspur, auf der wir 15 Minuten vorher auch noch waren. Glück gehabt, das hätte auch anders ausgehen können.

Als sich der Staub legt können wir erkennen, dass es auf der gegenüberliegenden Seite des Gletschers auch noch 200 Höhenmeter hinauf frisch weiß ist. Eine Verschüttung der Spur ist aber nicht erkennbar. Es war also eine Staubwolke, die relativ wenig Material mit sich führte. Auf der einen Seite beruhigt und auf der anderen Seite bestätigt (des frühen Aufbruchs halber), machen wir uns auf den Weg, weiter in Richtung Lager I. Als nächste Klippe folgt eine weitere Steilstufe zwischen den Hängegletschern, bis wir endlich in flacheres Gelände und in die Sonne kommen. Wir machen eine Trinkpause, bevor es langsamen Schrittes weiter nach oben geht. Nun ist eine mögliche Eisschlaggefahr schon mal hinter uns, ein mäßig steiler Gletscher mit einigen Spalten zieht sich von nun an in Richtung Lager I.

Nach 6,5 Stunden erreichen wir ziemlich müde den Lagerplatz. Gleichzeitig mit uns kommen zwei Sherpas eines chinesischen Teams an. Wir teilen unsere restliche Flüssigkeit mit ihnen und beginnen dann, unser Zelt auf einem bereits vorhandenen flachen Platz aufzustellen. Wie sich etwas später bei der Ankunft weiterer Sherpas herausstellt, müssen wir unser Zelt aber woanders hinstellen, da sie den Platz scheinbar einen Tag zuvor vorbereitet hatten. Das ist allerdings kein Problem, da wir weiter oben einen weiteren schönen Platz finden können. Schnell ist das Zelt aufgebaut. Wir verstauen unsere Sachen im Seesack und diesen schließlich im Zelt und machen uns bei langsam einsetzendem Schneefall wieder auf dem Weg nach unten. Zur Sicherheit haben wir uns 10 Meter von unserem Seil abgeschnitten, damit wir uns im Abstieg durch die Spalten gegenseitig sichern können.

Auf dem Rückweg kommen wir auch an der Stelle vorbei, an der die Lawine abgegangen ist. Wir müssen feststellen, dass es doch nicht nur Staub war. Einige kleinere Brocken sind bis zur Aufstiegsspur gerollt und hätten gut und gerne jemanden verletzen können. Glück gehabt. Der Abstieg dauert alles in allem rund 1,5 Std, dann sind wir wieder im Basislager. Das Resümee des Tages lautet: Sehr langer, anstrengender Weg ins Lager I - früher Aufbruch notwendig. Gutes Essen von Sandra und etwas Musik hören im Zelt beenden den Tag. Heute müssen wir Purna mit Medikamenten versorgen, da er starke Rückenschmerzen und Fieberstöße hat. Wir haben ihm Bettruhe verordnet, welche er mit allergrößter Wahrscheinlichkeit nicht einhalten wird.

 

 

Momentan befinden sich Stephan Keck und Paul Gürtler noch unterhalb der eingezeichneten Route. Hier dick markiert sind Lager II und III. (Foto: ©www.istockphoto.com/Gannet77)

 

24.04. Die Puja-Zeremonie

Heute können wir gemeinsam mit der Kobler Gruppe, die das Basislager mit uns teilt, die Puja Zeremonie feiern. Über das gesamte Basislager werden Gebetsfahnen aufgehängt und die Ausrüstung geweiht. Den Rest des Tages verwende ich, endlich das Tagebuch nachzuschreiben und später die Sachen für die nächsten 5 Tage am Berg vorzubereiten.

Wir planen nämlich, morgen wieder ins Lager I aufzusteigen. Dort wollen wir zwei Nächte verbringen. Im Anschluss wollen wir direkt ins Lager II aufsteigen und da noch zwei Nächte auf 6600 Metern verbringen. Am 5. Tag kommen wir dann wieder zurück ins Basislager. Wir werden uns dann aller Voraussicht nach am 29.04. wieder melden.

Aus dem Basislager, am 24.04.
Paul und Stephan

Details

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  • Star Vita: Stephan Keck (25.09.1973), geboren in Schwaz in Tirol, ist Bergführer, Tourenguide, Ski- und Snowboardlehrer, sowie Mental- und Motivationstrainer. Der Extrembergsteiger ist auf den höchsten Bergen der Welt unterwegs, unter anderem auf dem Mount Everest und dem Nanga Parbat war er schon. Für die die nächsten Jahre hat er zahlreiche weitere Projekte geplant. Er gründete das Hilfsprojekt step 0.1 mit dem er sich sozial engagiert.
  • Star Erfolge: Shisha Pangma (2004), Nanga Parbat (2006), Mount Everest (2008), uvm.

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