Speedbergsteigen: Den Tod im Gepäck Sebastian Haag

Speedbergsteigen: Den Tod im Gepäck

  • Nils Borgstedt
Die zwei Speedbergsteiger Sebastian Haag und Benedikt Böhm sind Freunde des Extremen – und revolutionieren mit ihrem Verständnis des Bergsteigens eine alteingesessene Sportart. Speedbergsteigen ist ihre Leidenschaft und bedeutet, so schnell wie möglich einen Gipfel zu erklimmen, um diesen dann mit Skiern wieder abzufahren – möglichst, um damit einen Rekord aufzustellen.

Die letzte Expedition führte sie genau auf 8.026 Meter – den Vorgipfel des 8.051 Meter hohen „Broad Peaks“ im Karakorum-Gebirge des pakistanischen Himalayas. Eine Reise, bei der es um Leben und Tod ging – und auch um jede Menge Glück.

Es ist so steil, dass kein normaler Mensch freiwillig hinaufklettern würde. Es ist so kalt, dass jeder Vernünftige lieber im deutschen Winter FKK-Camping machen würde. Und die Luft ist so dünn, dass das Atmen zur Last wird. Aber es ist das Terrain, in dem sich Sebastian „Basti“ Haag (31) und Benedikt „Bene“ Böhm (31) erst so richtig wohlfühlen. Es ist ihr Leben. Es ist die Höhe. Es ist der sprichwörtliche Tanz auf dem Drahtseil – und der Tod ist immer mit von der Partie.

Beide Sportler kennen sich seit über zwei Jahrzehnten. Während sich Tierarzt Haag, bedingt durch den Skilehrerberuf seiner Eltern, dem Skifahren über die Abfahrt näherte, zog Sportmanager Böhm die Ausdauersportart Skibergsteigen vor. Sogar so erfolgreich, dass er drei Jahre lang im deutschen Nationalkader mitfuhr. Während unzähliger gemeinsamer Ski-Touren muss sie dann irgendwann entstanden sein: Die Idee, den Berg in der Höhe und mit mächtig Tempo zu bezwingen. 2004 nahmen sie den ersten Siebeneinhalbtausender in China in Angriff – und erzielten direkt einen neuen Speedrekord. Danach folgte der 8.034 Meter hohe Gasherbrum II, bei dem sie den Speedrekord aufgrund widriger Wetterumstände nur knapp verpassten, und der 8.163 Meter hohe Manaslu – dessen Speedbesteigung allerdings schon 700 Meter vor dem Gipfel endete. In dieser Höhe ist und bleibt der Mensch nur eine kleine Nummer. Nicht er diktiert der Natur seinen Willen, sondern die Natur zeigt dem Menschen, wo es langgeht. Entweder man folgt, oder man stirbt. Bergsteigen kann manchmal sehr simpel sein.

2009 – so das Ziel - sollte dann der Rekord am Broad Peak fallen, immerhin der zwölfthöchste Berg der Erde. Akklimatisierung und Vorbereitungen waren erfolgreich abgeschlossen, die Speedbegehung konnte beginnen. Vom Basislager in 4.700 Metern Höhe aus galt es, die 3.300 Höhenmeter bis zum Gipfel und zurück in nur 18 Stunden zu bewältigen. Technisch durchaus möglich, denn im Gegensatz zu normalen Bergsteigern tragen die Speedbergsteiger kaum Ausrüstung mit sich – dafür allerdings auch ein viel höheres Risiko, denn in Notsituationen sind ihre Überlebenschancen aus diesem Grund minimiert. Im Gepäck sind nur ein paar Liter Trinkwasser und Energieriegel, die Skier werden auf dem Rucksack festgeschnallt. Das muss reichen. Schief gehen darf dann aber nichts – doch auf dem Broad Peak kam es anders.

Mehr Videos zur Broad Peak Expedition von Beni & Basti findet Ihr online auf 4-Seasons.TV unter: http://4-seasons.tv/broad-peak


Den Beginn macht das schlechte Wetter. Um den Trip nicht komplett abblasen zu müssen, entscheiden sich die beiden Münchener – nach einer schier endlosen Wartezeit – für das geringste Übel, und wählen mit dem 17. Juli den schönsten der schlechten Tage. Doch nachdem sie das Lager II auf 6.200 Meter passiert haben, geschieht das erste Malheur: Basti Haag läuft sein Camel-Pak aus, eine Art Rucksack fürs Trinkwasser. Total durchnässt, daraufhin frierend und mit dem Wissen, dass die nun knappen Wasservorräte auch noch geteilt werden müssen, geht es ab jetzt langsamer und unkomfortabler voran. Nach sieben Stunden erreichen sie Lager III auf 7.200 Metern Höhe. Basti ist jetzt fast steifgefroren und muss pausieren. Er ruht sich in einem der aufgebauten Zelte des Lagers aus, während Bene vereinbarungsgemäß weiterläuft. Wenn nicht zusammen, dann wenigstens einer. So ist die Abmachung, falls es zu Problemen kommt. Doch trotzdem hält es Haag nach kurzer Zeit nicht mehr im Zelt aus. Anstelle abzusteigen, versucht er so schnell es geht, wieder zu Böhm aufzuschließen. Der hat sich mittlerweile einer Gruppe normaler Bergsteiger angeschlossen und spurt jetzt gemeinsam mit ihnen – bei teilweise über 50 Prozent Gefälle. Und Basti Haag schafft es zum Erstaunen der Bergsteiger: 16 Stunden nach Beginn des Aufstieges schließt er zu Bene auf den Vorgipfel des Broad Peak auf.

Jetzt sind es nur noch 20 Höhenmeter bis zum echten Gipfel, aber der Weg dorthin führt über einen gefährlichen Grat – und es ist spät geworden. Zu spät, die aufziehende Dunkelheit liegt wie ein Damokles-Schwert über dem Abstieg. Und damit auch zu gefährlich. Basti Haag ist total ausgepowert, overpaced in seinen Worten, und mit den Kräften total am Ende. In über 8.000 Metern eine fatale Kombination. Selbst die Cortisonspritzen, die sich Haag spritzt, helfen nicht mehr. Er ahnt die gefährliche Situation, eine kleine Bemerkung an seinen Freund Böhm macht auch diesem den Ernst der Lage in aller Deutlichkeit klar. Es heißt, schnell abzusteigen und dabei auf Basti zu achten, damit dieser wieder heil im Basislager ankommt.


Aber sie schaffen es zunächst nur bis zum Lager III, im Gegensatz zu einer befreundeten italienischen Bergsteigerin, auf die Böhm beim Aufstieg aufgeschlossen hatte. Sie hatte sich entschieden, die letzten 20 Höhenmeter noch in Angriff zu nehmen, rutscht beim Abstieg dann aber aus und fällt in den Tod. Ihren Leichnam müssen die beiden Speedbergsteiger beim Abstieg sogar passieren. Im Schlafsack der Verunglückten auf 7.200 Metern Höhe muss Haag jetzt zusammen mit Böhm, für den glücklicherweise auch noch ein Schlafsack übrig ist, die Notübernachtung durchführen, um überhaupt wieder lebend im Basislager anzukommen.

Und glücklicherweise hilft die kurze Notübernachtung, Basti ist wieder etwas fitter. Gemeinsam begeben sich beide an den Abstieg, können sogar endlich ihre Skier benutzen. Nach 39 Stunden kommen sie wieder heil im Basislager an. 21 Stunden später als ursprünglich geplant und fast die Hälfte der Zeit ohne einen Tropfen Wasser. Auch für den Rekord hat es damit nicht gereicht, aber das ist jetzt nur noch nebensächlich. Am Ende zählen die Lebenseindrücke, und von denen haben Beide am Broad Peak genug gesammelt. Keiner wird sie je wieder vergessen.

Carsten Pfenning

alle im Artikel verwendeten Fotos ©Sebastian Haag

und hier geht's zum Exklusivinterview mit Sebastian Haag und Benedikt Böhm

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