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„Ich wollte nicht Zweiter werden“ – Interview mit Heinrich Popow

  • Derk Hoberg
Seize the Challenge – so lautet das Motto des deutschen Paralympics-Sprintstars Heinrich Popow. Für den 28 Jahre alten Oberschenkelamputierten von Bayer 04 Leverkusen war London 2012 ein großer Erfolg: Nach dem Bronze-Triple von Athen und der Silbermedaille im 100-Meter-Sprint von Peking war es diesmal Gold über 100 Meter. Im Interview spricht er aber auch über die aktuellen Entwicklungen beim Prothesenbau, die in London für viel Gesprächsstoff gesorgt hatten.

Frage: Herr Popow, dreimal Bronze in Athen, einmal Silber in Peking – die logische Folge war Gold in London, oder?
Heinrich Popow: Unbedingt. Wenn ich hier bei einer Auktion sitzen würde, müsste es heißen: 3,2,1 – meins! Ich habe mich im Laufe der Jahre entwickelt, bin älter und entspannter geworden und weiß meine mentale Stärke besser einzusetzen. Wenn man jünger ist, lässt man sich eher auf die Spielchen mit den großen Jungs ein – und schon hat man den Wettbewerb bereits vorher in irgendeinem Call-Room verloren. Körperlich sind wir alle fit, entscheidend ist der Kopf. Und in diesem Punkt bin ich den anderen mittlerweile voraus. 3,2,1 war also mein Motto für London – ich wollte nicht Zweiter werden.

Frage: Wie steht es generell um die Wettbewerbsfairness bei den Paralympics? Schließlich haben nicht alle Sportler aus allen Ländern die technischen Möglichkeiten wie Sie hier in Deutschland.
Heinrich Popow: Wo will man da ansetzen? Bei den Nichtbehinderten gibt es ja auch große Füße und kleine Füße – um es einmal runter zu brechen. Klar ist: Die Passteile für Prothesen stehen allen Teilnehmern zur Verfügung. Die Länder, die vorne mitlaufen, sind diejenigen, in denen es den Beruf des Orthopädietechnikers gibt. Dieses Know-how bringt Länder wie Deutschland, USA, Großbritannien oder Australien voran. Es geht also um die optimale Zusammenstellung der für alle verfügbaren Teile. Wenn ich manche Konkurrenten sehe, wird mir selbst unwohl. Die laufen zwar mit denselben Einzelteilen, aber der Aufbau einiger Prothesen ist geradezu fatal. Damit würde ich besser rückwärts als vorwärts laufen. Die Konkurrenz aus Ländern mit weniger Know-how scheitert schon daran, dass die Aufbaurichtlinien der Prothesen nicht eingehalten werden.


Vor kurzem berichteten wir über das Thema technisches Doping im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung von Sportprothesen. Hier geht es zum Artikel.


Frage: Sind die Wettbewerbsvorteile für Länder wie Deutschland also einfach hinzunehmen?
Heinrich Popow: Man sollte vielleicht irgendwann von Seiten des IPC dahin gehen, dass man die Produkte besser zertifiziert oder klassifiziert. Man würde dann nur bestimmte Produkte freigeben, mit denen die Athleten trainieren und im Wettkampf starten müssten. Für die Spikes unter Laufschuhen gelten schließlich auch genaue Richtlinien.

Frage: Steht der Fortschritt der Prothesen und Hilfsmittel für eine Leistungsexplosion im Behindertensport?
Heinrich Popow: Ich denke, dass es einen noch wichtigeren Faktor gibt, nämlich das gemeinsame Training mit Nichtbehinderten. Wir machen jetzt eben auch Leichtathletik – Punkt. Wir sprinten, wir springen, wir werfen und nutzen dabei das Know-how der Nichtbehinderten. Der direkte Vergleich, die Konkurrenz ist unglaublich wichtig. Vor den Paralympics war ich im Trainingslager und bin da direkt gegen die Siebenkampf-Frauen angetreten. Es war für mich total schlimm, gegen eines der Mädels im Sprint zu verlieren. Da ist es mir egal, ob ich ein Bein habe und sie zwei. Solche Erfahrungen pushen mich. Und nach solchen Niederlagen gehe ich etwas länger in den Kraftraum, um beim nächsten Sprint zu gewinnen.

Frage: Ist das Training mit Nichtbehinderten auch das Geheimnis hinter dem Erfolg von Oscar Pistorius?
Heinrich Popow: Ein Oscar Pistorius profitiert von einer Kombination vieler Faktoren: Das Training mit Nichtbehinderten, die Technik, aber natürlich auch sein enormes Talent und der Ehrgeiz. Es ist aber natürlich auch immer eine Typfrage. Oscar hat einfach eine Ur-Power in sich. Der kriegt Dich auch ohne Prothese, wenn er will. Wir haben schon zusammen auf dem Rad trainiert, da merkt man, dass er einfach durch und durch Sportler ist und immer gewinnen will. Der technische Vorsprung ist da nicht einmal der entscheidende Faktor. Die Prothese, mit der er läuft gibt es seit Anfang der Neunziger. Aber er hat für sich einen Gesamtzustand erreicht, der es ihm erlaubt, sich mit den Nichtbehinderten zu messen.

Frage: Wie wichtig sind für Sie Ihr Prothesenhersteller und die Förderung durch diesen Partner.
Heinrich Popow: Das Motto meines Prothesenherstellers Otto Bock lautet ja „Quality for Life“ – und genau das ist es, was hier hergestellt wird. Ich habe auch dank dieses Partners mein Leistungsniveau enorm gesteigert. Das enorme Know-how eines Weltmarktführers traf hier auf meine direkten Rückmeldungen als Spitzensportler. Im Ergebnis hatte ich das erste Mal im Leben das Gefühl, nicht behindert zu sein. Durch die Zusammenarbeit mit den Ingenieuren, Entwicklern und Werkzeugherstellern, habe ich meine Behinderung aus dem Kopf bekommen. Ich weiß jetzt, dass es Dinge im Markt gibt, die mich alle Hürden überwinden lassen. Aber man muss es auch abverlangen.

Frage: Wie können Nicht-Spitzensportler mit Behinderungen davon profitieren?
Heinrich Popow: Viele sehen mich vielleicht im Fernsehen, sehen meine Prothese und gehen zum normalen Sanitätshaus, um sich auch wie ich bewegen zu können. Man muss dem Produkt aber auch etwas abverlangen, sich mit der Prothese auseinandersetzen. Die Betriebsanleitung ist wichtig, sich weiter zu informieren ist ebenso wichtig. Mein Anliegen ist: Man sollte ein Hilfsmittel steuern lernen – und dafür braucht es ein gewisses Körpergefühl, dass wiederum erst durch den Sport entstehen kann.

Frage: Bringt Ihr Sport die Entwicklung der Prothesen weiter?
Heinrich Popow: Es ist vielmehr so, dass die Entwicklung weiter ist als das, was ich im Sport benutze. Die Entwicklung geschieht für die Menschen mit Behinderungen, um deren Alltag zu verbessern. Anders zum Beispiel als in der Formel Eins, wo neue Techniken ausprobiert werden. Die Formel Eins des Prothesenbaus ist der Alltag. Kleine Vorteile habe ich im Training sogar durch meine Alltagsprothese, in der viel mehr High-Tech steckt. Weil ich zum Beispiel bestimmte Kraftübungen machen kann. Meine Sprintprothese ist hingegen eher einfach. Aber um im Alltag auf unterschiedlichen Untergründen laufen zu können, bergauf und bergab, ohne den Blick ständig auf den Boden zu richten, braucht es die perfekte Technik. Die Bewegungen im Alltag sind viel anspruchsvoller als beim Sprint.

Frage: Auf Ihrer neuen Website findet sich der Slogan „Seize the Challenge – erkenne Deine Chance“. Ist das etwas, dass Sie gerade auch an Kinder und Jugendliche mit Behinderungen transportieren möchten?
Heinrich Popow: Ich habe bisher immer persönlich agiert, bin von Krankenhaus zu Krankenhaus gegangen und habe mit Leuten vor der Amputation und nach der Amputation gesprochen, um Ihnen die Möglichkeiten aufzuzeigen. Da habe ich das Motto schon transportiert, ohne es so nach außen zu tragen. Über die sozialen Medien, sei es Facebook oder direkt über meine Website, erreiche ich natürlich noch mehr Menschen, vor allem die jüngeren. Es wird in der nahen Zukunft Projekte geben, die das Motto noch weiter verbreiten. Ganz wichtig ist mir dabei eine Aktion, bei der ich jemanden bis zu den Paralympics in Rio de Janeiro 2016 führen werde. Aus dem Krankenhaus, zum Training, bis zum wichtigsten Wettbewerb – so viel kann ich schon verraten.

Weitere Informationen findet Ihr unter: www.heinrich-popow.de

Das Interview führte Frank Schnellers Medienmannschaft

 

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