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Was ist Talent?

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Sportwissenschaftler Martin Weddemann aus Bonn, Gründer und Geschäftsführer von ‚Focus on Performance’, nähert sich im Interview einer hochkomplexen Frage, die den deutschen Spitzensport seit jeher beschäftigt: Was ist Talent? Er liefert fundierte Erklärungsansätze auf mehreren Ebenen.

Weddemann Fotoquelle Focus on PerformanceFrank Weddemann (©Focus on Performance)Herr Weddemann, was ist Talent aus sportwissenschaftlicher Sicht eigentlich?

Der Talentbegriff wird seit jeher von vielen Experten kontrovers diskutiert. Es gibt Ansätze, die von genetischer Determination ausgehen und Ansätze, die soziokulturelle Aspekte in den Vordergrund rücken. Der Talentforscher Benjamin S. Bloom hat diese Grundsatzdiskussion bereits 1985 in seinem Werk „Developing Talent In Young People“ zusammengetragen und besonders die Komponenten frühe Förderung durch Eltern und frühes intensives und hochwertiges Üben herausgestellt.

Mit welchen Ergebnissen?

Talent ist laut Bloom ein durch konzentrierte Übung in einem leistungsfördernden Umfeld entwickelter Zustand. Generell sind sich die meisten Experten, die sich mit der Talentforschung praktisch und wissenschaftlich beschäftigen einig: es bedarf mind. 10.000 Stunden hochkonzentrierter Arbeit in einem leistungsfördernden Umfeld, um in einem spezifischen Gebiet Herausragendes leisten zu können.  Die sportwissenschaftliche Fachliteratur unterscheidet zwischen einem statischen und einem dynamischen Klärungsansatz der Talentfrage.  „Der statische Talentbegriff beinhaltet dabei zur Charakterisierung eines Talents vier Begriffe: Disposition (Können), Bereitschaft (Wollen), soziales Umfeld (Möglichkeiten) und Resultate (Leistungsergebnis).“ „Der dynamische Talentbegriff hingegen geht von einem aktiven und zielgerichteten Prozess aus, der zwei zentrale Charakteristika aufweist: den aktiven Veränderungsprozess und die Steuerung durch Training und Wettkampf und die pädagogische Begleitung.“  Im Sport findet folgende aus beiden Ansätzen entwickelte Definition Anerkennung und Verwendung: „Talent besitzt oder ein Talent ist, wer auf der Grundlage von Dispositionen, Leistungsbereitschaft und den Möglichkeiten der realen Lebensumwelt über dem Altersdurchschnitt liegende (möglichst im Wettkampf nachgewiesene), entwicklungsfähige Leistungsresultate erzielt, die das Ergebnis eines aktiven, pädagogisch begleiteten und international durch Training gesteuerten Veränderungsprozesses darstellen, der auf ein später zu erreichendes hohes (sportliches) Leistungsniveau zielstrebig ausgerichtet ist.“

Wie entscheidend ist Talent, um sportlich erfolgreich zu werden?

Talent ist ein hochkomplexer, dynamischer Begriff. DAS Talent gibt es nicht, der Talentbegriff ist ebenso wie sportlicher Erfolg multifaktoriell zu betrachten. Wenn man sich Biografien von herausragenden Sportlern anschaut, dann sieht man, dass der überragende sportliche Erfolg oftmals die Folge von täglicher, intensiver Beschäftigung mit einer großen Leidenschaft ist. Folgendes Zitat von Lionel Messi beschreibt den Talentbegriff perfekt: „I worked 14 years to become an overnight superstar!“ Das Talentthema wurde in den letzten Jahren aus vielen Richtungen beleuchtet und erforscht. Es wurden die „Entwicklungsgeheimnisse“ hinter großen Sportstars und mysteriösen „Talent Goldminen“ detailliert beschrieben. Die gewonnenen Erkenntnisse deuten eindeutig darauf hin, dass die genetische Prädisposition nur einen sehr kleinen Anteil ausmacht, sondern vielmehr die frühzeitige Talenterkennung, die frühzeitige Förderung und das entsprechende leistungsfördernde Umfeld, das sich multifaktoriell zusammensetzt, die entscheidenden Parameter im Laufe der Entwicklung eines Sportstars sind. Mir als Sportwissenschaftler stellt sich daher eine sehr spannende Frage für die Zukunft: Wenn die oben genannten Parameter zur frühzeitigen Talenterkennung gegeben sind – wie viel Einfluss hat dann zum Beispiel ein individuelles „Neuro Athletic Training“ auf die Talententwicklung?! Wie kann über das Gehirn und das zentrale Nervensystem Einfluss auf die optimale Potentialentfaltung eines veranlagten jungen Sportlers genommen werden? Können Talente mit den richtigen Trainingsmethoden quasi kreiert werden?

Wie entdeckt man bei Kindern und Jugendlichen ein sportliches Talent?

Ich würde das Einstiegsalter, die Anzahl an hochkonzentrierten Übungsstunden im Spiel- und Spaßmodus und das soziale Umfeld als ein erstes wichtiges Selektionskriterium bezeichnen. Zudem geht es in der Leistungsentwicklung immer nach dem Prinzip der spezifischen Anpassung. In einer Disziplin wie dem 100m Sprint werden wesentlich spezifischere Anforderungen an ein Talent gestellt als im viel komplexeren Fußball. Die genetische Selektion zum Topsprinter ist also viel härter als zum Fußballer, da das physische Anforderungsprofil keine große Varianz wie beim Fußball zulässt. Unabhängig von der Sportart bleibt die Frage nach dem generell vorhandenen Potential, wie man dieses rechtzeitig entdecken und im Anschluss optimal entwickeln kann von essentieller Bedeutung. Ein Talent mit den entsprechenden genetischen Anlagen muss also frühzeitig entdeckt und im richtigen Umfeld gefördert werden.

Warum beispielsweise scheint es so vielen brasilianischen Kids quasi in die Wiege gelegt worden zu sein, so gut Fußball spielen zu können?

Auf den Fußball bezogen ist es von riesigem Vorteil, wenn eine Sozialisation zur Sportart natürlich von statten geht. In Brasilien – um bei diesem Beispiel zu bleiben – ist Fußball Kultur- und Distinktionsgut. Fußball ist ein Weg aus der Armut zu einem besseren Leben. Fußball ist in der Alltagskultur fest verankert.  Kinder „atmen“ und „leben“ Fußball bevor sie laufen lernen, sie machen quasi die ersten Schritte als Kind schon mit Ball am Fuß. Generell kann man allerdings sagen, dass Talent kein mysteriöses und nur von den Genen vorbestimmtes Geheimnis ist. Gene können uns nicht sagen wer ein Superstar wird, aber im besten Fall können sie uns sagen wer nicht. Eine gute genetische Ausgangslage ist die Eintrittskarte in den Spitzensport, aber nicht der finale Faktor, der über Sieg oder Niederlage entscheidet.


  vgl. Bloom (1985) ; vgl. Ankerson (2015, S. 81-147) ; vgl. Coyle (2010, S.9-95)
  vgl. Hyballa/ te Poel (2010), S. 21 & Joch (1992), S.83
  Hyballa/te Poel (2010), S.21
  Hyballa/ te Poel (2010), S.21
  Weineck (2007, S.191) ; vgl. Joch (1992, S. 90); vlg. Hyballa/te Poel (2010, S.21)

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