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Markus Rehm: Der "sprunghafte Star"

  • David Meininger
Der unterschenkelamputierte Weitspringer hüpft unentwegt in neue Dimensionen. Er hat in den letzten Monaten nicht nur WM-Gold gewonnen und innerhalb weniger Tage zwei Fabel-Weltrekorde aufgestellt – nein. Jetzt hat der Leverkusener sein nächstes großes Ziel erreicht: Er trat bei einem nationalen Meeting gegen nichtbehinderte Weitspringer an – und gewann.

Von Frank Schneller

Sprunghaft zu sein, ist Markus Rehm nicht verdächtig. Höchstens bei der Ausübung seines Sports. Das aber liegt in der Natur der Sache. Der unterschenkelamputierte Weitspringer aus Leverkusen weiß genau, was er will, verfolgt seine Ziele akribisch und mit enormer Konsequenz. Quasi nach der Maxime des ‚Torwart-Titanen’ Oliver Kahn: „Weiter. Immer weiter.“ Nur, dass Weltrekordhalter Rehm dem Motto des ehemaligen Fußball-Nationaltorhüters eine völlig neue Bedeutung gibt.

Der Paralympics-Goldmedaillengewinner von London legte im Sommer 2013 innerhalb von zwei Wochen gleich zwei Quantensprünge in seiner Disziplin hin. Zunächst bei einem Meeting in Leverkusen (7,45 m), dann – bei der WM in Lyon – wo er seine Weite erneut in eine neue Dimension schraubte, mit sage und schreibe 7,95 m den Titel holte und seinen eigenen Fabelrekord dabei noch einmal um 40 cm verbesserte. Sein Vorsprung auf den zweitplatzierten: Über ein Meter! Sein Abstand zu den magischen acht Metern: Nur noch fünf Zentimeter. Schon damals bewegte dieser Jahrhundert-Satz – durchaus mit den 8,90 Metern von Bob Beamon bei den Olympischen Spielen 1968 vergleichbar – die Fachwelt und auch Rehm selbst dazu, hinüber zu schauen zu den nichtbehinderten Weitspringern, den „Fußgängern“. Bei deren Deutschen Meisterschaften in Ulm wäre Rehm mit dem Sprung von Lyon in Nähe der Medaillenränge gelandet. Dabei, so merkte er seinerzeit an, sei er bei der WM gar nicht in Topform gewesen. Ein paar Verletzungsprobleme hätten seine Vorbereitung auf den Sommer 2013 beeinträchtigt. „Ich spüre, da ist noch Luft nach oben“, sagte er damals. Luft „nach vorne“ meinte der keineswegs konfliktscheue Ausnahme-Athlet („Ich lasse mich nicht behindern“) damit. Und wiederholte seinen Wunsch – besser: die Forderung –, sich offiziell mit nichtbehinderten Springern messen zu dürfen. Gelebte Inklusion sozusagen. Unter offiziellen Bedingungen, nicht als Show-Event verkleidet. Eine Idee, die so manchem Funktionär nicht behagt haben dürfte.

Nun aber war es soweit: Der 25-Jährige trat bei den Nordrhein-Meisterschaften im heimischen Leverkusen. Und stellte inmitten all der nichtgehandicapten Konkurrenten mit 7, 61 m gleich den deutschen Hallenrekord in seiner Klasse auf. Nachdem Rehm zunächst aus der Wertung genommen worden war, korrigierten die Verantwortlichen rückwirkend ihren Entschluss – Rehm hatte den Wettbewerb somit offiziell gewonnen. Wieder so ein Meilenstein in seiner persönlichen Vita. Und ein weiterer für den Behindertensport. Seit Prothesen-Sprinter Oscar Pistorius Starts bei Meisterschaften nichtbehinderter Leichtathleten durchgesetzt und damit lebhafte Diskussionen in der Szene ausgelöst hatte, schwelt die Frage, ob und in welcher Form Sportler mit Behinderung in die olympischen Disziplinen integriert werden können. Und sollen. Bisher schloss der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) Athleten, die Prothesen oder andere Technologien benötigen, von Wettkämpfen gegen Nichtgehandicapte aus. Unterdessen hatte Markus Rehm schon mit seinem Satz auf 7,35 m bei den Paralympischen Spielen 2012 in London schlicht die Formel des Internationalen Paralympischen Komitees (IPC) gesprengt, die im kombinierten Wettkampf der unterschenkel- und oberschenkelamputierten Athleten die Weite nach Punkten verrechnet und die Schwächeren aufwertet. Kleinlaut gab man beim Verband danach zu, nicht mit einem solchen Sprung gerechnet zu haben. Rehm hatte die Konkurrenz überflügelt und seine Bestleistung um 26 Zentimeter nach oben geschraubt: Weltrekord, Gold.

Und nun das: Der integrative Erfolg von Leverkusen. Eine Genugtuung für Rehm. Nach langem Kampf. Denn: Eigentlich ist er mittlerweile zu gut für die Wettkämpfe der Behinderten. Da ist es kein Wunder, dass der südafrikanische Sprinter Oscar Pistorius in sportlicher Hinsicht ein Vorbild für den Mann mit dem Bayer-Kreuz auf dem Trikot ist. Pistorius legte sich seinerzeit so lange mit den Offiziellen der Welt-Leichtathletik an, bis er die Starterlaubnis für WM und Olympia erstreiten konnte. Rehm hat ähnliche Ziele. So wie es der südafrikanische Blade-Runner vorgemacht hat, will auch er als Prothesen-Sportler bei Top-Events der Athleten ohne Behinderung starten. Nicht ‚nur’ bei den Paralympics in Rio 2016.

„Das Rennen von Pistorius in London habe immense „Signalwirkung“ gehabt, betont er rückblickend: „Abermillionen vor den Fernsehern sahen zu, wie normal da einer mit seiner Behinderung umgeht und es gegen die anderen wissen will. Er hatte es verdient zu starten.“ So argumentiert einer, der nicht nur seinen eigenen Erfolg im Sinn, sondern auch den Stellenwert gehandicapter Sportler vor Augen hat. Einer wie er könnte sich als Botschafter verstehen und noch viel mehr leisten als weite Sprünge, Olympia aber scheint für ihn wegen der Norm von 8,20 m – noch – unrealistisch. Die Deutschen Meisterschaften wären jedoch schon jetzt machbar. „Ich will keine Vorzugsbehandlung und auch keine Konfrontation, natürlich müsste auch ich die offizielle Norm dafür erst erfüllen“, betonte Rehm immer wieder. Am Wochenende hat der Orthopädie-Techniker ein starkes Argument für sich und seine Idee geliefert. Er mag nicht sprunghaft sein. Eine Herausforderung für die Leichtathletikszene indes ist er allemal. Jedenfalls stellt er sie gern und regelmäßig auf den Kopf.

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