Chance genutzt – Nachbetrachtung zum Spiel FC Bayern München - SC Freiburg picture-alliance

Chance genutzt – Nachbetrachtung zum Spiel FC Bayern München - SC Freiburg

  • Nils Borgstedt
Die Theorie vom Angstgegner ist bekannt, auch der Heimvorteil ist empirisch nachgewiesen. Und nun trat der SC Freiburg in München an, bei dem Team, gegen das er auswärts noch nie gewinnen konnte, den FC Bayern. Es blieb auch diesmal so. München gewann mit 4:2 und vor allem die Münchener Sorgenkinder machten auf sich aufmerksam – und sorgten für einen Hauch Romantik in der Allianz Arena.

Ausgerechnet Martin Demichelis

Noch bevor das Spiel überhaupt begann, musste der FC Bayern eine schlechte Nachricht vernehmen. Holger Badstuber, Stammspieler in der linken Innenverteidigung und deutscher Nationalspieler, musste auf Grund einer Schambeinentzündung seinen Einsatz absagen. Sein Ersatz: Martin Demichelis. Und das war – wie sich herausstellen sollte – die gute Nachricht. Der Argentinier ist das größte Sorgenkind der laufenden Saison beim FC Bayern. Sein Frust über den Verlust des Stammplatzes brachte ihn zwischenzeitlich sogar auf die Tribüne. In dieser Saison bestritt er gegen Freiburg erst sein drittes Spiel, das erste von Anfang an.

Dass sich Demichelis nach wie vor mit dem FC Bayern identifiziert, wurde in der 40. Minute deutlich. Der Innenverteidiger hatte gerade mit dem Kopf das 1:0 für die Münchener erzielt, als er beim Jubel demonstrativ das Vereinswappen seines Trikots küsste. Nachdem Spiel erhielt er Lob von seinem Trainer. „Demichelis hat heute gezeigt, dass er ein sehr guter Innenverteidiger ist“ und dass Demichelis aussortiert sei, widerlegte der Trainer ebenfalls. „Wer ein Jahr lang bei mir Stammspieler war, der hat immer wieder die Chance, Stammspieler zu werden. Aber er muss Leistung bringen.“ Einen ersten Schritt in diese Richtung hat Demichelis am Freitag gemacht, stellte aber dennoch fest: „Vielleicht war das auch mein letztes Spiel für den FC Bayern“.

 

Ausgerechnet Mario Gomez

Ein weiteres Sorgenkind des FC Bayern, das schon seit zwei Wochen Argumente für einen Stammplatz sammelt, ist Mario Gomez. Der teuerste Transfer der Vereinsgeschichte wurde auch gegen die Breisgauer als einzige Sturmspitze aufgeboten. Am Ende standen eine gute Leistung und Saisontor Nummer vier auf der Haben-Seite des Schwaben. Der 25-jährige bewies erneut, dass er Zeit braucht, um in ein Spiel zu finden. Was ihm in der 21. Minute verwehrt blieb – Gomez schoss aus aussichtsreicher Position rechts vorbei – durfte er nach einer guten Stunde nachholen. Gomez köpfte aus kurzer Distanz nach einem Eckball zum 2:0 für den FC Bayern ein und präsentierte den 69.000 Zuschauern seinen Torero-Jubel.

 

Ausgerechnet Anatolyi Tymoshchuck

Wie sich die Geschichten gleichen. Wie schon bei Demichelis und Gomez wurde auch der Abschied von Anatolyi Tymoshchuck im Sommer immer wieder diskutiert. Auch Tymoshchuk ist Nutznießer der Verletztenmisere des FC Bayern. Der Ukrainer, noch ein Relikt des Klinsamnn’schen Kurzeinsatzes als Bayern-Trainer, ersetzt seit dem Spiel gegen Hannover Daniel van Buyten in der Innerverteidigung. Nach dessen Einwechslung zur zweiten Halbzeit rückte Tymoshchuk gegen Freiburg ins zentrale Mittelfeld. Und, last but not least, erzielte er einen schönen Treffer gegen den SC Freiburg zum 3:1 (72. Minute), nach dem Stefan Reisinger den Anschlusstreffer geköpft hatte. Tymoshchuk, der seine gute Schusstechnik beim FC Bayern viel zu selten zeigt, war defensiv stark und schaltete sich immer wieder in den Angriff der Bayern mit ein. Sein erstes Saisontor war die Belohnung für eine klasse Leistung, die Trainer Louis van Gaal nach der Partie würdigte: „Tymoshchuk hat heute hervorragend gespielt“, um dann gleich einzuschränken, auch er müsse sich wie Demichelis „jedes Mal beweisen und ihre Leistung beurteile alleine ich.“ Wenn Tymoshchuk so weiterspielt, dürfte das Urteil allerdings recht positiv ausfallen.

 

Ausgerechnet Toni Kroos

Die Geschichte des Toni Kroos erzählt sich ein wenig anders, als die der anderen drei Sorgenkinder. Er sollte im Sommer nicht abgegeben werden, nein, er ist nach eineinhalb Jahren aus Leverkusen zurückgekommen. 33 Einsätze und 9 Saisontore hatte er aus der Saison 2009/10 im Gepäck. Die Hoffnungen und Erwartungen in München waren groß. Mit Kroos sollte nun endlich die wichtige Zehner-Position hochwertig besetzt werden. Doch was kam, war nicht optimal. Kroos schien sich auf der Position nicht wohl zu fühlen. Seit Ribérys Verletzung kommt er immer wieder auch im linken Mittelfeld zum Einsatz und bekleidet damit die Position, auf der er in Leverkusen auch Bundestrainer Löw überzeugt hat. Dennoch sucht er Anschluss an das Spiel des Rekordmeisters. Kroos Leistung gegen Freiburg hätte sich nahtlos in diese Betrachtungsweise eingefügt, wäre da nicht die 80. Minute gewesen.

Toni Kroos stoppte einen Pass von Schweinsteiger – der Mittelfeld-Regisseur bewies einmal mehr seine großartige Übersicht – zog ein paar Meter in die Mitte und schoss den Ball aus 28 Metern unhaltbar für Freiburgs Torwart Baumann in die linke, obere Torecke zum 4:1. Zumindest seine Torgefahr hat der ehemalige Rostocker am Freitagabend wiederendeckt. Für ihn war das ganz klar, denn er sieht „den Abschluss als eine meiner absoluten Stärken“.

 

Ausgerechnet Danijel Pranjic

Das letzte Sorgenkind, welches den Münchener Sieg entscheidend beeinflusste, war Danijel Pranjic. In gewisser Weise profitierte auch er von der Verletzung seines Mitspielers. Pranjic war es nämlich, der Holger Badstuber beim Ausführen der Eckbälle vertrat. Und das mit Erfolg. Gleich zwei Tore der Münchener resultierten aus Ecken, die der kroatische Nationalspieler scharf und mit Effet vor das Tor der Freiburger gebracht hatte. Damit gab der Kroate dem Spiel der Bayern etwas zurück, das verloren schien: Gefahr nach Eckbällen. Assist Nummer drei glückte Pranjic aus dem Spiel heraus, indem er mit Übersicht Tymoshchuk bediente.

Unglücklich lief das Spiel für Pranjic‘ Vertreter auf der linken Abwehrseite, Edson Braafheid. In der 76. Minute wurde er für Thomas Müller eingewechselt. Der Holländer übernahm hinten links für Pranjic, der ins Mittelfeld wechselte. Das einzige Ausrufezeichen, das Braafheid setzen konnte, war ein wuchtiger Schuss ins eigene Tor zum zweiten Treffer für den SC Freiburg.

Alles in allem war es eine besondere Begegnung in der Allianz Arena, die man so nicht hätte erwarten können. OK, ein Heimsieg des FC Bayern war nicht unwahrscheinlich, schließlich hat Freiburg noch nie in München gewinnen können. Auch die zwei Tore für den SC Freiburg lagen im Bereich des Möglichen. Sie hatten schließlich mit Papiss Cisse den Führenden der Torschützenliste in ihren Reihen (8 Treffer) und die Bayern-Abwehr gilt nicht unbedingt als besonders sattelfest. Vier Tore der Münchener waren allerdings nicht abzusehen, hatten sie doch in den neun Spielen zuvor insgesamt nur acht Mal eingenetzt. Dass dann auch noch fünf Sorgenkinder zu den Protagonisten aufsteigen, ist eine Dramaturgie, wie sie auch den Romantikern Jacob und Wilhelm Grimm nicht besser hätte einfallen können.

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