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Sport ist Integration – Interview mit Prof. Dr. Jürgen Beckmann

  • Maria Poursaiadi
Teamwork, Toleranz, Fairness und Respekt - dies sind Tugenden, die im sozialen Zusammenleben und im Sport eine wichtige Rolle spielen. Während im Sport jedoch kulturelle Differenzen scheinbar spielend überwunden werden, können sie im Alltag unüberwindliche Hürden darstellen.

Wir sprachen mit unserem Sportpsychologen Professor Jürgen Beckmann von der TU München, darüber warum Sport in punkto Akzeptanz und Integration hilfreich sein kann. Anlass für dieses Gespräch ist Thilo Sarrazin, der mit seinen jüngsten Äußerungen über die Integrationsfähigkeit der türkisch-arabischen Bevölkerung eine ganze Diskussionswelle losgetreten. Einer seiner Thesen ist es, dass die Integration hier fehlgeschlagen sei.

Für manchen Fußballfan, der immer noch von der Fußball-WM 2006 schwärmt, und auch in diesem Jahr die vielen Publik-Viewing-Plätze aufgesucht hat, mag diese Aussage etwas seltsam in den Ohren klingen. Haben wir doch Menschen unterschiedlichster Herkunft im weißen National-Trikots, die deutsche Mannschaft anfeuern gesehen. Auch in diesem Jahr sah man in zahlreichen türkischen Cafes viele ausländische Zuschauer mit der deutschen National-Elf mitfiebern. Die Integrationsfrage wäre zu diesen Augenblicken nie gestellt worden.

netzathleten: Professor Beckmann, sind sportliche Großereignisse ein Hexenwerk, oder warum können beispielsweise Türken und Deutsche auf einmal doch auf derselben Seite stehen?
Prof. Dr. Jürgen Beckmann: Es wäre zu einfach anzunehmen, dass man sich entweder als Deutscher oder z.B. Türke fühlt. Gerade die hier Geborenen mit türkischem Hintergrund können sich sowohl als Deutscher als auch als Türke fühlen. Wenn Bayern München im Finale der Championsleague gegen einen ausländischen Verein spielt, werden ja auch eingeschworene Hamburgfans eher den Bayern die Daumen halten.

netzathleten: Der DFB hatte zur Fußball-WM 2010 eine Kampagne zur Integration, bei der unsere Nationalmannschaft als positives Beispiel dafür gezeigt wurde. Ist das als werbe- und medienwirksame Masche zu betrachten, oder spiegelt sich tatsächlich das Bild eines neuen, internationalen Deutschlands wieder?
Prof. Dr. Jürgen Beckmann: Ich denke schon, dass sich hier grundsätzlich nicht nur eine deutsche sondern eine globale Veränderung widerspiegelt. Zumindest alle europäischen Länder werden immer multikultureller. Dennoch ist auch bei unterschiedlichem Herkunftsland bei den meisten Menschen der Wunsch da, sich mit einem Land, ihrem Einwanderungsland und dessen Nationalmannschaft identifizieren zu können.

netzathleten: Ist man trotzdem auf dem Holzweg, wenn man meint, dass die Integration der Ausländer in Deutschland sich bereits auch darin zeigt, dass man sich als „Deutschland-Fans“ zusammentut?
Prof. Dr. Jürgen Beckmann: Dass alle zu Deutschlandfans werden, heißt tatsächlich noch lange nicht, dass wir damit auf dem Weg zu einer Integration sehr viel weiter kommen. Es kann aber zumindest emotionale Grundlagen schaffen. Es verbindet eben, wenn man gemeinsam mit der deutschen Nationalmannschaft leidet oder Freude empfindet.

netzathleten: Kann man Integration durch ein Zeitfenster betrachten, mal ist man integriert und mal nicht. Je nach dem was sich gerade im Land, Politik oder Sport abspielt?
Prof. Dr. Jürgen Beckmann: Wie gesagt, gemeinsam etwas empfinden ist nicht mit Integration gleich zu setzen. Dazu gehören dann auch schon dieselben kulturellen Werte zu teilen, dieselben Chancen zu bekommen und akzeptiert zu werden. Nicht nur, wenn man für Deutschland ein Tor schießt.


netzathleten: Alle Sportarten leben vor allem davon, dass sich die Besten dem internationalen Vergleich stellen. Auf dieser Ebene spielt aber auch die Friedensbotschaft eine zentrale Rolle. Tragen solche Veranstaltungen wie die Olympischen Spiele oder eine Fußball-WM zur Völkerverständigung bei?
Prof. Dr. Jürgen Beckmann: Das glaube ich prinzipiell schon. Diese Veranstaltungen tragen dazu bei, die Anonymität anderer Nationen zu reduzieren. Man lernt mehr über die Menschen, deren Kultur und deren Land. Wenn man eine Person nur als Bürger ihres Staates sieht, behandelt man sie anders als wenn man sie als Mensch kennen gelernt hat. Das Ansehen der Deutschen war nach der Nazizeit im Ausland lange von einschlägigen Filmen und Büchern geprägt. Die Fußball-WM von 2006 veränderte dieses Bild sehr positiv.

netzathleten: Die größten Vereine dieser Welt haben zahlreiche ausländische Spieler. Die Spieler können sich sprachlich oft nur schwer verständigen, warum funktioniert die Zusammenarbeit trotzdem?
Prof. Dr. Jürgen Beckmann: Ich glaube Sepp Maier hat mal gesagt, „Im Fußball kannst du dich verständigen, wenn du 40 Sätze deutsch sprichst“. Die Regel der Sportart ist zunächst einmal in allen Ländern gleich. Dadurch hat man schon eine Basis. Alles Weitere wird aus dem Zusammenhang auf dem Spielfeld meistens auch leicht verständlich.

netzathleten: Fällt es einem Sportler einfacher, sich in einem Team zu integrieren, als beispielsweise einem Individuum in eine fremde Gesellschaft?

Prof. Dr. Jürgen Beckmann: Zweifelsohne. Da ein Team ein gemeinsames Ziel und eine gemeinsame Kultur hat, muss man sich integrieren, wenn man dabei bleiben will. Es gilt gemeinsam andere zu besiegen. Da spielt die Hautfarbe, die Religion oder die Kultur keine Rolle. In einem Land gibt es viele unterschiedliche Interessensgruppen, die oft in Konkurrenz untereinander stehen. Da fällt Integration viel schwerer.

netzathleten: Es gibt diese Redewendung: „Etwas sportlich sehen“. Gibt es womöglich eine Denkweise und Einstellung unter Sportler, die sie zu schnelleren Integration verhilft, als Menschen die die Dinge weniger sportlich sehen?
Prof. Dr. Jürgen Beckmann: Etwas sportlich sehen, bezieht sich einerseits auf Fairness, andererseits drauf, dass der Bessere gewinnen soll. Das beinhaltet eben zu akzeptieren, wenn jemand besser ist und Chancengleichheit einzuräumen.

netzathleten: Kann Sport in punkto Integration etwas voran bringen?
Prof. Dr. Jürgen Beckmann: Das ist ein in der Forschung umstrittener Punkt. Könnte man durch die sportliche Erziehung die Werte Fairness und Akzeptanz erhöhen ließe sich hier etwas erreichen. Das sieht jedoch anders aus, wenn die Devise heißt „Gewinnen um jeden Preis“.

netzathleten: Wie sehr kann der Sport für die Zukunft eine tragende Rolle im Zusammenhang mit Integration spielen? Oder anders formuliert, kann man spielend die Integration vorantreiben?

Prof. Dr. Jürgen Beckmann: Hier kann der Sport sehr viel leisten. Zum Einen sollten auch im Freizeitsport Menschen unterschiedlicher ethnischer und kultureller Hintergründe zusammen kommen und als Team nach gemeinsamem Erfolg streben. Bei der Vermittlung von Sportarten, im Training müssten die sportlichen Werte (Fairness und Akzeptanz) betont werden.

netzathleten: Prof. Dr. Beckmann vielen Dank für Ihre Zeit.

Details

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  • Star Vita: Prof. Dr. Beckmann promovierte in Psychologie an der Universität Mannheim 1984. Er habilitierte mit venia legendi für Psychologie in Mannheim 1987 und München (LMU) 1992. Er war Gastprofessor am Center for Complex Systems der Florida Atlantic University; Boca Raton, USA 1993; Von 1997 – 2006 war er Professor für Sportpsychologie an der Universität Potsdam. Er war Präsident der Arbeitsgemeinschaft für Sportpsychologie von 2005-2009.
  • Star Erfolge: Dekan der Fakultät für Sportwissenschaft der Technischen Universität München, Lehrstuhlinhaber für Sportpsychologie an der TUM, Direktor Sportpsychologisches Zentrum TU München

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