Interview mit Badminton-Bundesjugendtrainer Holger Hasse badzine.de

Interview mit Badminton-Bundesjugendtrainer Holger Hasse

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Im großen Badzine-Interview spricht Badminton-Bundesjugendtrainer Holger Hasse über die Nachfolger von Zwiebler, Schenk und Co., lässt die U19-WM in Malaysia Revue passieren und erklärt, wo der deutsche Nachwuchs momentan steht.

Holger, Marc Zwiebler und Juliane Schenk machen derzeit international mit tollen Ergebnissen auf sich aufmerksam. Wer wird einmal in deren Fußstapfen treten können?
Es arbeiten viele junge deutsche Spielerinnen und Spieler sehr ambitioniert daran, in deren Fußstapfen zu treten. Ich bin überzeugt, dass viele das Zeug dazu haben, wenn sie lange genug dabei bleiben und ihren Sport lieben und zum Beruf machen. Aktuelle Beispiele für talentierte Leute, die diesen Weg gehen, sind Nikolaj Persson, Fabienne Deprez, Lisa Heidenreich und Andreas Heinz und viele weitere.

Wie zufrieden bist du mit dem Abschneiden bei der Jugend-WM in Malaysia gewesen?
Die Jugend-WM ist nicht nur unter dem Ergebnis-Aspekt zu bewerten. Aus Ergebnis-Sicht war ich natürlich nicht zufrieden mit dem Mannschafts-Ergebnis. Dies lag allerdings auch nur an einem Spiel (gegen Vietnam), welches wir hätten gewinnen wollen. Bei den anderen Spielen brauchen wir uns bei den Ergebnissen nichts vorzuwerfen. Durch den Spiel-Modus der JWM war durch diese Niederlage leider nicht mehr drin, als das, was wir erreicht haben. Im Individualturnier haben wir sehr gute Leistungen gesehen, z.B. Nikolaj Persson im Einzel oder Andreas Heinz/Fabienne Deprez sowie Max Schwenger/Isabel Herttrich im Mixed. Leider hatten wir viel Pech mit Krankheiten, so dass unsere Spieler einige Matches nicht bestreiten konnten. Der wichtigste Aspekt war für uns allerdings das Lernen auf diesem hohem internationalen Level. Wir hatten uns hier im Vorfeld viele Dinge vorgenommen. Mit der Art, wie unser gesamtes Team inkl. des Betreuer-Stabs damit umgegangen ist, war ich sehr zufrieden. Insofern fällt die Bilanz positiv aus.

Mit welchen Erkenntnissen bist du nach Hause gekommen?
Im Grunde genommen mit den gleichen Erkenntnissen, wie nach den letzten Jugend-Weltmeisterschaften.

Erstens: Asien ist im Jugendbereich gegenüber Europa weit vorne
Zweitens: Wir können und werden mit einzelnen Spielern diesen Abstand im Erwachsenen-Bereich aufholen. Müssen aber im Jugendbereich die richtigen Grundsteine legen.
Drittens: Für unsere Jugend-Nationalspieler ist die Asia-Erfahrung unter den bekannten klimatischen und vielfältig anderen Bedingungen sehr wichtig. Sei es für das eigene klare Bild vom Top-Badminton. Sei es für die eigene Motivation mit noch mehr Qualität und noch intensiver und fokussierter zu trainieren und im Wettkampf zu agieren. Oder sei es, um eine klare Entscheidung zu treffen: Wo will ich hin? Wie kann ich das erreichen?
Und viertens: Es gibt und wird künftig immer mehr Nationen geben, die Badminton auf einen hohen Standard betreiben. In Asien werden die früheren kleinen Nationen sehr stark und den vormals Großen wie China, Korea, Malaysia oder Indonesien gefährlich. Thailand ist mittlerweile eine Macht, wie man an den Ergebnissen sieht. Aber auch Länder wie Vietnam haben stark aufgeholt und sehr gute Spieler. Auch in Europa ändert sich dort derzeit viel. Länder wie die Türkei oder Spanien bringen Spielerinnen und Spieler auf einem Top-Level heraus. Das heißt, es wird bunter und spannender.


Was sind die derzeitigen Schwerpunkte in der Trainingsarbeit in den deutschen Nachwuchskadern?
In den Doppeldisziplinen ist ein Schwerpunkt die Aufschlagsituation bzw. die ersten vier Schläge sowie die verschiedenen Angriffs-Strategien. Im Herren- und Dameneinzel geht es neben dem perfekten Beherrschen der Bewegungs- und Handlungs-Basics um das Thema Variabilität.

Der deutsche Nachwuchs hat seine "Vormachtstellung"in Europa, die er einige Jahre seit Ende der Neunziger inne hatte, wieder an Dänemark verloren. Was ist passiert?
Ich würde nicht von einer Vormachtstellung sprechen. Diese hat in Europa eindeutig Dänemark, auch wenn wir bei den Jugend-Europameisterschaften dreimal hintereinander erfolgreich sein konnten. Die Frage ist vielleicht: Warum konnten wir diese Titelserie nicht fortsetzen? Zum einen, weil Dänemark aus den Fehlern dieser Jahre gelernt hat und bei diesen Turnieren viel geschlossener und professioneller auftrat. Zum anderen, weil sie wie auch andere europäische Nationen über herausragende Talente verfügen, mehr Badminton-Tradition haben als wir und mit hoher Qualität gearbeitet haben. Letztlich müssen wir uns aber auf uns selbst konzentrieren.
Was können und müssen wir besser machen? Wir müssen früher mit dem langfristigen Leistungsaufbau beginnen. Mit unserem System der Nachwuchsstützpunkte sind bzw. werden wir ab der Altersklasse U17 auf europäischer Ebene konkurrenzfähig, weil unsere Spieler an diesen Stützpunkten mit entsprechender Qualität und dem erforderlichen Umfang trainieren können. In den jungen Jahren fehlen uns im Gegensatz zu unserer internationalen Konkurrenz diese Trainingssysteme. Wir müssen unsere Talente also früher sichten und ausbilden. Dazu gehört auch, die Trainerausbildung zu reformieren. Wir haben zu wenige gut ausgebildete Trainer an der Basis.

Immer mehr Nationen betreiben Badminton professionell, Was macht Deutschland, um am Ende doch besser zu sein als die aufstrebenden "Neuen"?
Wir können auf die dem Klischee entsprechenden „deutschen Tugenden“ bauen: Fleiß, Disziplin, Einsatz- und Kampfbereitschaft sind Aspekte, die immer noch in ausreichendem Maße in unserer Gesellschaft verankert sind und die einen Vorteil gegenüber vielen anderen Kulturen darstellen. Allerdings reichen diese Tugenden nicht aus. Wir müssen unsere Spieler vor allen Dingen technisch-taktisch früher – also bis U15 – möglichst perfekt ausbilden. Daran arbeiten viele Funktionäre, Trainer und Betreuer im ganzen Bundesgebiet sehr hart. Dazu kommt, dass ich bei dieser Arbeit ein starkes Teamgefühl der Akteure feststelle. Auch dies ist ein großes Plus.

Wieso hat Deutschland nicht an der U17-EM für Mannschaften teilgenommen? Als einzige Topnation neben Holland.
Wir begrüßen die Einrichtung der U17-EM nicht ausdrücklich. Für mich wäre es bei Weiten sinnvoller gewesen, Badminton Europe hätte sich zunächst um die Einrichtung einer U22/21-EM bemüht. Unsere besten U17-Athleten haben eine Dreifach-Belastung. Zum einen spielen sie für ihre Vereine – meist im Erwachsen-Bereich. Zudem spielen sie national nicht nur in ihrer Altersklasse, sondern auch noch in U19. Neben den schulischen Anforderungen müssen wir aufgrund des späten Einstiegs in das Leistungstraining auch viel Trainingsarbeit aufholen und legen hier entsprechend einen größeren Schwerpunkt als auf Wettkämpfe. Zudem haben wir mit dem U17-Six-Nations ein aus unserer Sicht qualitativ hochwertiges und kostengünstiges Turnier, welches den Zweck eines Jahreshöhepunktes sehr gut erfüllt hat. Ein weiterer Grund liegt in dem aus unserer Sicht sehr ungünstigen Termin.
Ich habe aber aus verschiedenen Gründen Verständnis dafür, dass Badminton Europe und viele andere Nationen dem Turnier einen hohen Stellenwert beimessen und auch wir werden uns auf Dauer nicht entziehen können. Beim nächsten Mal sind wir möglicherweise dabei.

Wie sehr schmerzt es dich, dass Huaiwen Xu Deutschland verlassen hat und ihre Erfahrung nicht an den deutschen Nachwuchs weitergeben kann? Eigentlich wollte man sie ja als Trainerin gewinnen.
Der Weggang von Huaiwen in die USA ist für uns natürlich ein großer Verlust. Unser Plan war es natürlich, sie als Trainerin einzusetzen – darum haben wir sie auch als A-Trainerin ausgebildet. Ich kann allerdings auch verstehen, dass sie nach ihrer langen Profi-Karriere gemeinsam mit ihrem Mann einen neuen Schwerpunkt in ihrem Leben setzen wollte. Hierfür wünsche ich den beiden Alles erdenkliche Gute. Und wer weiß – vielleicht ergibt sich ja in der Zukunft noch mal die Gelegenheit. Wir bleiben jedenfalls in Kontakt.

Vielen Dank für das Gespäch.

Das Interview führte Manuel Rösler, badzine.de

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