Interview mit den Speedbergsteigern Sebastian Haag und Benedikt Böhm Sebastian Haag

Interview mit den Speedbergsteigern Sebastian Haag und Benedikt Böhm

  • Nils Borgstedt
Nach ihrem turbulentem Trip am Broad Peak sind die beiden Münchner mittlerweile wieder heil in Deutschland angekommen und in den Alltag zurückgekehrt. Genügend Pläne und Ziele gibt es aber schon für die Zukunft. Im exklusiven netzathleten-Interview plaudern sie ein wenig aus dem Nähkästchen. Größte Überraschung: Sebastian Haag will zunächst keine Rekord-Speedbegehungen mehr zusammen mit Benedikt Böhm machen.

Netzathleten: Im Basislager ankommen und die gröbste Gefahr gemeistert, was waren eure ersten Gedanken?
Benedikt Böhm: Ich habe die Zeit nur genossen so schnell als möglich wieder zu Hause zu sein. Alles ist Luxus, ein Wasserhahn, duschen, trinken und essen, Autofahren auf normalen Straßen, schöne Frauen und Menschen, ordentlich Luft bekommen beim Atmen, alles grün, und so weiter. Alles gewinnt wieder an Farbe und man empfindet die Selbstverständlichkeiten unseres täglichen Lebens als absoluten Luxus und nimmt auf einmal alles wahnsinnig intensiv wahr. ich war auf der einen Seite froh, dass wir so weit gekommen sind und uns nichts passiert ist, auf der anderen Seite frustriert, da ich in der Form meines Lebens und hoch motiviert war, die Speedbegehung erfolgreich zu meistern.

Bezüglich Basti konnte ich verstehen, dass er sich mit dem Schwungrad der Motivation und Vorbereitung bis zum Äußersten gepusht hat, auf der anderen Seite war ich enttäuscht zu sehen, dass Basti die Situation da oben anscheinend gar nicht bewusst war und im Basislager erst so weiter machte, als seien wir gerade von einer Alpentour zurückgekommen. Wie Basti sagt, lässt es der Geist erst später zu, sich mit den Dingen zu beschäftigen und diese zu verarbeiten. Für mich ist der Tod von Christina (Anm. d. Red.: die verunglückte italienische Bergsteigerin) heute noch irreal.

Sebastian Haag: Ich war natürlich froh wieder unten zu sein. Ich dachte mir damals: Es war alles wie ein Film der abgelaufen ist und ich habe nur eine Rolle gespielt. Alles sehr surreal und abstrus. Absurd auch der Tod von Christina, der uns am Berg überhaupt nicht berührte, aber uns im Basecamp doch sehr naheging. Um aber alles zu verarbeiten und distanziert betrachten zu können, habe ich Tage und Wochen gebraucht. Ich denke immer noch jeden Tag darüber nach.

Netzathleten: Basti, nachdem Du Dich so verausgabt hast, um auf Bene aufzuschließen, was waren Deine Gedanken auf dem Vorgipfel?
Sebastian Haag: Ich war froh, dass die Entscheidung umzudrehen von allen schon getroffen war, als ich oben ankam. So wurde mir diese Entscheidung gleich abgenommen. Ich war froh, dass es wieder runter ging. Ich habe mir da oben aber keine Sorgen gemacht, das kam erst später während des Abstiegs.

Netzathleten: Viele kennen dieses Gefühl aus ihrer Kindheit einen Baum hinaufzuklettern und beim Abstieg zu merken, dass dies viel schwieriger ist, als hinaufzuklettern. Welches Gefühl der Angst beschlich Dich, Basti, als Du wusstest, dass jetzt der Abstieg folgt und du so ausgepowert bist?
Sebastian Haag: Ich hatte keine Angst, sonst wäre ich gar nicht so weit aufgestiegen. Das ist ja das Problem, dass die Emotionen wie Freude, Lust, und Angst immer schwächer werden. Emotionen sind aber wichtige Faktoren um Entscheidungen zu treffen. Ich hatte keine Angst und bin deswegen nicht umgekehrt.

Netzathleten: Hätte es eigentlich Alternativen gegeben? Gibt es eine Höhenrettung im Himalaya?
Sebastian Haag: Alternativen zum Abstieg? Welche sollte es da geben. Ich bin ja runter gelaufen, so gesehen ist alles gut gelaufen. Es hätte aber schief gehen können. Wenn ich nicht mehr hätte laufen können, hätte ich ein großes Problem gehabt. Dann hätte Beni auch nicht viel tun können.


Netzathleten: Welche Auswirkungen hat dieses Erlebnis für Eure kommenden Touren?
Sebastian Haag: Ich denke das wird sich entwickeln. Ich kann das noch nicht konkret sagen. Bergsteigen werde ich weiterhin wie bisher, aber bei Beni kann ich nicht mehr mithalten, und werde ihn deswegen auf den Speedbegehungen nicht mehr begleiten.

Benedikt Böhm: Ich denke auch das wird sich entwickeln. Im Moment haben wir zumindest keine gemeinsamen Pläne, aber das kann sich auch wieder ändern.

Netzathleten: Wieso habt ihr Euch eigentlich für den Broad Peak entschieden, der Manaslu ist ja etwas größer. Arbeitet Ihr euch nicht sukzessive in den Höhenmetern nach oben?
Sebastian Haag: Es geht nicht nur um Höhenmeter. Der Manaslu lässt, bedingt durch das extreme Wetter, immer nur sehr wenige Bergsteiger auf seinen Gipfel. Wir wollten nicht schon wieder unseren Jahresurlaub im Schneetreiben verbringen. Der Broad Peak bot sich an, weil dieser Berg gut mit Skiern machbar ist.

Benedikt Böhm: Richtig...

Netzathleten: Der K2 liegt ja ganz in der Nähe des Broad Peaks. Sind solche Achttausender - es gibt nur 14 Achttausender auf der Welt - auch für eine Speedbegehung geeignet? Also, wären nicht auch der K2 oder der Mount Everest ein mögliches Speed-Ziel?
Sebastian Haag: Der K2 ist eine deutlich größere Herausforderung. Klettertechnisch und natürlich skifahrerisch, aber natürlich auch die Höhe. Er ist mit über 8611m der zweithöchste Berg der Welt. Die Gipfelchancen sind noch geringer… Der K2 reizt mich aber trotzdem mit Skiern abzufahren. Das würde ich aber nicht als Speedbegehung wagen. Vielleicht werde ich das eines Tages versuchen. Dann aber mit ein oder zwei Lagern.

Benedikt Böhm: Mount Everest eher als K2. Wie gesagt, geht es mir nicht unbedingt um große Namen, sondern eine besondere Leistung. Man muss sich mit seinem Ziel lange im Vorfeld anfreunden und sollte sich sicher sein, dass man dem Ziel unter normalen Bedingungen gewachsen ist. Um den K2 in einer Speedbegehung zu besteigen, bin ich technisch zu schlecht und der K2 zu technisch. Das heißt, man ist mehr damit beschäftigt schwierige Stellen zu meistern als sich schnell zu bewegen. Dasselbe im Abstieg: Es ist fraglich, wie effektiv die Skier als Hilfsmittel wirklich sind. Wenn man mehr mit An- und Abschnallen beschäftigt ist, als ein paar Schwünge durchzuziehen wird's schnell frustrierend für mich. Ich komme gern schnell voran und fühle mich zum K2 nicht so hingezogen unter dem Gesichtspunkt, wie ich mir eine Besteigung oder Befahrung des K2 vorstelle.

Netzathleten: Wie lange bereitet Ihr Euch auf eine solche Begehung vor? Wo und wie trainiert Ihr?
Sebastian Haag: Wie gehen immer Skitour oder machen andere Ausdauersportarten, wie Biken oder Laufen. Natürlich dann bei uns im schönen Bayern oder bei unseren Brüdern in Tirol. Das Training füllt einen großen Teil meiner Freizeit aus, ist aber auch für mich und meine Freunde der größte Spaß.

Benedikt Böhm: Die Vorbereitung findet immer statt. Sehr intensiv seit 2002. 2003 kam ich dann in die Nationalmannschaft „Skibergsteigen“ und habe mich jährlich mit den höheren Zielen auch im Training gesteigert. Vor dem Broad Peak war ich in der Form meines Lebens und hatte 400.000 Höhenmeter in den 12 Monaten zuvor absolviert. Das erfordert neben der Arbeit extreme Selbstdisziplin, wenig Schlaf, und klare Prioritäten und... sehr viel Liebe, Sucht und Leidenschaft zu unserem Sport auf dem schönsten Sportplatz der Welt: in den Bergen... Ich trainiere nach keinem bestimmten Programm, sondern mach was mir Spaß macht, wenn ich Zeit habe. Ich versuche mich so viel und so lange wie möglich zu bewegen. Vor allem auf Skiern. In den paar Monaten ohne Schnee mit dem Mountainbike oder Berglauf und Laufen. Sehr lange Touren von 4.000 - 6.000 Höhenmeter am Tag sind wichtig, um den Körper an lange Belastungen zu gewöhnen und auch seinen Körper kennen zu lernen. Wichtig ist das Skifahren. Steile Abfahrten und absolute Sicherheit auf den Skiern, um die mentale Stärke für Steilwandabfahrten von 8.000ern zu trainieren.


Netzathleten: Hat man bei einer solchen Expedition Todesangst, bzw. denkt man an den Tod während der Tour?
Sebastian Haag: Nein, man denkt an das Leben und das viel mehr als in unserem sonstigen Leben. Wer permanent an den Tod denkt sollte nicht Bergsteigen gehen. Ich denke man wird dann auch keine Freude an dem Sport haben, wenn man ständig Angst hat. Wenn ich an den Tod denke, dann nur in Verbindung mit Menschen die ich verloren habe, aber nur sehr selten in Bezug auf meine eigene Person.

Benedikt Böhm: Wir haben uns öfter bewusst und unbewusst in Lebensgefahr befunden. Einmal dramatisch am Mont Blanc, wo es uns beinahe vom Gipfelgrad geblasen hat. Wir mussten reagieren und es gab nur die Flucht nach vorne. Ich war innerlich verzweifelt und dachte meine Stunde ist gekommen. Aber mit jedem Schritt, mit dem wir gegen die Naturgewalten ankämpften, bekämpfte ich auch das Gefühl der Angst, versuchte klar zu denken und mich der Angst nicht zu ergeben. Ich war sehr froh, dass Basti dabei war, der in solchen Situationen einen unglaublichen Überblick behält und die Fähigkeit besitzt schnelle Entscheidungen zu treffen.

Netzathleten: Woher kommt die Motivation, solche Touren zu unternehmen?
Benedikt Böhm: Lebensenergie, Lebensglück und Lebensfreude. Wenn der Wille die Angst und den inneren ‚Nein-Sager’ besiegt ist das ein irres Gefühl. Nach so einer Aktion oder einem harten Tag draußen, fließt mehr Leben durch unsere Adern und das Leben lebt sich für uns intensiver. Seine Leistungsgrenze immer wieder ein Stück nach oben zu verschieben und zu realisieren, dass der eigene Körper und Geist fähig ist, in Bereiche vorzustoßen, die den meisten Menschen verschlossen sind, macht süchtig. Vor allem in Verbindung mit einzigartigen Erlebnissen in einer unglaublichen Natur - gepaart mit Adrenalin.

Sebastian Haag: Ich bin auf Skiern und in den Bergen aufgewachsen. Es ist eine Leidenschaft die ich mit meiner Familie und meinen Freunden teile. Es ist mehr als Sport, es ist eine Art zu leben, ähnlich wie bei den Surfern.

Netzathleten: Gibt’s Familie oder Freundinnen bei euch, die euch abhalten könnten, so waghalsige Touren zu unternehmen? Was sagen die Angehörigen dazu?
Sebastian Haag: Ich denke, wenn ich meinen Partner liebe, sollte ich ihn nicht von seiner größten Leidenschaft abhalten. Das wäre egoistisch. Ich selbst habe im Moment keinen Partner. Ich bin mir aber sicher, dass sich Prioritäten verändern können, wenn man eine Familie gründet. Solange dass bei mir nicht so ist, werde ich Bergsteigen gehe. Meine Familie versteht mich und unterstützt mich, auch wenn es nicht immer leicht ist.

Benedikt Böhm: Ich sehe das wie Basti.

Netzathleten: Last, but not least, auf welchen Berg soll es als nächstes gehen?
Benedikt Böhm: Mich reizen weiterhin die 8.000er. Was ich im Sommer 2010 machen werde, weiß ich noch nicht.... vielleicht nochmal den Broad Peak.

Sebastian Haag: Ich für mich werde nächstes Jahr wieder versuchen nach Südamerika zu fahren, um dort ein paar wunderschöne 6.000er mit Skiern abzufahren. Darauf freue ich mich jetzt schon. Ich habe auch schon ein paar andere Ziele im Kopf. Es gibt so viele Berge auf diesem Planeten. Genug für mehr als ein Menschenleben.

Das Interview führten Carsten Pfenning und Nils Borgstedt

Und hier geht's zum Artikel der Speedbegehung - Spannung garantiert!

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