Fanfeste, Infrastruktur, Blocksturm - Die WM in Brasilien Clemes und Richard Meyer

Fanfeste, Infrastruktur, Blocksturm - Die WM in Brasilien

  • Nils Borgstedt
Clemens und Richard Meyer sind seit Beginn der WM in Brasilien unterwegs. Für netzathleten.de schildern sie exklusiv ihre Erlebnisse. Auf der Straße, in den Stadien und auf Fanfesten.

Es wurde so viel über diese Weltmeisterschaft geschrieben, dass selbst wir mit dem Lesen kaum hinterher kamen. Ganz klassisch deutsch erschien uns die Berichterstattung in der fernen Heimat, nämlich hauptsächlich kritisch à la „Die Stadien werden nicht fertig”. Jetzt, nach knapp zwei Wochen Weltmeisterschaft im Gastgeberland, möchten wir ein paar Einblicke in das Geschehen vor Ort geben:

Von Überlastung kann keine Rede sein…

„Die Infrastruktur im gesamten Land wird total überlastet sein“. Wir fragen uns, wer diese Zeilen in der deutschen Presse geschrieben hat. Es werden zur Weltmeisterschaft ungefähr eine dreiviertel Million ausländische Fans erwartet, das entspricht nicht einmal 0,5 Prozent der Gesamtbevölkerung Brasiliens (circa 200 Millionen Einwohner). Natürlich reisen auch bzw. vor allem Brasilianer zu den Spielorten, von einer Überlastung der internationalen Flughäfen oder Überlandbusse kann aber keine Rede sein. Nach nun drei Busfahrten und drei Flügen vor Ort müssen wir sagen, dass reisen in Brasilien während der WM entspannter ist als in Europa. Der Check-In und Sicherheitscheck geht so schnell wie nie, es gibt haufenweise wartende Taxis.

…oder doch?

„Die Stadien werden nicht rechtzeitig zum Anpfiff fertig“. An dieser Befürchtung war und ist etwas dran. Zwar sind die Stadien natürlich letztlich fertig geworden, aber fertig ist ein dehnbarer Begriff. Denn so gut unsere Transfers zwischen den Spielorten funktionieren, etwas anders sieht das am Spieltag rund um die Stadien aus: Da es beispielsweise in Fortaleza keine Metroanbindung an das Stadion Castelao gibt, bleiben den Fans nur die öffentlichen Busse sowie Taxis, um zur Spielstätte zu gelangen. (Randnotiz: Diese Bahn, die den Brasilianern zur WM versprochen wurde, führt zwar in Richtung Stadion, hört allerdings zwei Stationen vorher auf – dieses Projekt wurde tatsächlich nicht rechtzeitig fertig). Und da wird es auf den Straßen schon mal schnell voll. Natürlich ist das dann ein ziemliches Chaos, aber letztlich kam doch jeder Fan rechtzeitig am Stadion an, also alles halb so wild.Ähnlich in Recife: Warum die Metro-Station nicht direkt an das neu gebaute Stadion anschließt, weiß niemand. Deswegen fahrenShuttle-Busse die Fans zur Spielstätte – allerdings auch nicht ganz: Den letzten Kilometer muss man trotzdem laufen. Warum die Busse nicht bis direkt vors Stadion fahren…wer weiß das schon?

Aber wer sich einmal bei der Münchner Allianz-Arena nach dem Spiel in die überfüllte U6 Richtung Innenstadt gequetscht hat, oder über eine Stunde im Stadion-Parkhaus im Stau stand, sollte in Südamerika vielleicht auch keine perfekten Zustände fordern ;-).

(Fast) besser als daheim

Die Fan-Feste, die sich Brasilien von der WM 2006 in unserer Heimat abgeschaut hat, funktionieren bestens. Manche sind besser, manche schlechter, wir hatten bislang jedenfalls großen Spaß! Wir können hier sogar einige Vorteile im Vergleich zu damals erkennen: Vor den Fanfesten stehen hier Hunderte emsige Verkäufer, die Bier, Caipis und Essen aller Art verkaufen. Der Bierpreis tendiert hier – je nach Entfernung zur Bühne – zwischen drei und fünf Reais (etwa 1 – 1,70 Euro) pro Dose. Super! Kein Schlange stehen am einzigen autorisierten (und überteuerten) Bierstand, der zudem mit dem Ausschank nicht nachkommt…so macht WM schauen extra Spaß.

Bei der Sicherheit lässt Brasilien auch nichts anbrennen. Das Gastgeberland garantiert der FIFA störungsfreie Abläufe, und wer die Spezialeinheiten von Polizei und Militär sieht, die bei jeder Veranstaltung vor Ort sind, der möchte auch wirklich nicht stören. Wir sind das ja von unserer Reise schon gewohnt, aber das ein oder andere deutsche Fan-Girlie wirkt beim Anblick von Maschinenpistolen und Stahlhelmen manchmal etwas irritiert.

Mit den Jungs ist nicht zu spaßen

Nachdem wir in Aracaju beim Forro-Festival eben solch eine Spezialeinheit einmal „in Action“ gesehen haben, wissen auch wir: Mit den Jungs ist nicht zu spaßen!

Irritiert waren jedenfalls auch wir, als beim Fan-Fest in Salvador de Bahia nur die Spiele von Brasilien gezeigt wurden. Es stellte sich aber heraus, dass dies nur in Salvador der Fall ist, weil dort große Teile der Betriebskasse verschwunden sind, mit der eigentlich die Security bezahlt werden sollte. Aus Sicherheitsgründen wurden also alle anderen Übertragungen ausgesetzt. Dumm gelaufen. Auch das ist Brasilien.

Fankultur muss draußen bleiben

Jeder, der das Spiel gegen Ghana gesehen hat, wird sich gefragt haben: Wieso gibt es ein gellendes Pfeifkonzert, obwohl der Ball doch ausnahmsweise mal sauber in den Reihen unserer Mannschaft zirkuliert? Als die Stadionsicherheit den DFB Fanblock stürmt und alle Fahnenbesitzer zum Abhängen dieser zwingt, gibt es tatsächlich unschöne Szenen. Handgemenge, fliegende Becher, es wird skandiert, gepfiffen und getobt – die Security sackt viele Fahnen ein, und manche Besitzer gleich mit (die Road2Rio-Fahne hat zum Glück überlebt). Über die Gründe des Fahnenverbotes kann man nur rätseln, denn es ist ja nicht so, dass man damit irgendwelche Werbung verdecken würde.

Die FIFA möchte zwar die Fans und gute Stimmung in die Stadien bekommen, aber die Fankultur muss zuhause bleiben. Fragwürdig. An den Aufschriften der Fahnen jedenfalls liegt es nicht, denn diese werden beim Security Check vor dem Spiel auf verbotene Texte und Zeichen geprüft. Eines hat diese „starke“ Aktion der FIFA gebracht: Nämlich viele aufgebrachte Fans, und wir sind gespannt, ob man in den nächsten Spielen nochmals solche Szenen riskieren möchte. Im argentinischen oder mexikanischen Block möchten wir jedenfalls nicht die armen Schweine sein, die sinnfreie Anweisungen der FIFA umsetzen müssen.

Einfacher ist es da fuer die FIFA, sich auf vermeintliche Rassisten zu stürzen: Befreundete Fans aus unserem Hostel haben sich für die Spiele als Deutschlandfahne verkleidet, die ja bekanntlich schwarz-rot-gold ist. Und da schwarz nun einmal oben ist, haben sich die beiden auch das Gesicht schwarz angemalt, damit der Look perfekt wird. Allein wegen dem Outfit hatte sich nun diese Woche das Disciplinary Commitee der FIFA getroffen und erwägt, gegen die Jungs ein Verfahren wegen Rassismus einzuleiten (Hinweis: Deutschland spielte gegen Ghana).

In diesem wirklich coolen Fan-Outfit tatsächlich Rassendiskriminierung zu erkennen, zeigt wieder einmal, wie unglaublich weit die FIFA von jeglicher Fan-Kultur entfernt ist.

Spielführer sorgt für Irritationen

Allerdings muss man in anderen Kulturkreisen tatsächlich mit vermeintlich eindeutigen Begriffen und Bedeutungen aufpassen. So trägt Richard traditionell eine Kapitänsbinde zum Spiel, auf der das Wort „Spielführer“ steht. „Spiel“ ist natürlich niemandem ein Begriff, aber das Wort „Führer“ springt jedem ins Auge, und dieses Wort kennt auch in Brasilien jeder. Nachdem einige südamerikanische Fans Richard zur Bedeutung der Binde gefragt haben, ist uns erst klar geworden, wie falsch dieser Aufdruck interpretiert werden kann, und lassen sie ab jetzt im Rucksack. Auch wenn man im Recht ist, muss man ja nicht provozieren.
A propo provozieren: Spanien, England, Portugal und Italien sind in der Gruppenphase der Weltmeisterschaft ausgeschieden. Wir können ein Lächeln nicht unterdrücken.

Ab jetzt geht das Turnier los. Wir sind am Wochenende im (kalten) Süden, in Porto Alegre, angekommen…Heute geht es gegen Algerien!! Natürlich werden wir im Stadion sein!

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Weitere Informationen zur Tour von Clemens und Richard gibt es auf ihrem Blog unter: http://road2rio.com/ und auf ihrer Facebookseite

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