Leiden und Leidenschaft – Die gehörlose Profi-Radfahrerin Isabelle Boberg im Interview Team SilientRiders

Leiden und Leidenschaft – Die gehörlose Profi-Radfahrerin Isabelle Boberg im Interview

Isabelle Boberg hört nichts, sie ist taub. Und dennoch gibt sie Gas. Im Leben, auf dem Rad. Die 26-Jährige hat sich etabliert im Leistungssport. Einst auf dem Hockeyfeld unterwegs, nun auf der Straße. Mit ihrem Team SilentRIDERS will Boberg auch andere dazu motivieren, an sich zu glauben und zu zeigen, welche Leistungen möglich sind – auch mit Einschränkungen.
netzathleten.de: Du hast ja zunächst auch Feldhockey und Fußball gespielt. Was hat dich dazu bewogen aufs Rad zu steigen?
Isabelle Boberg: Fußball zu spielen, macht mir unglaublich viel Spaß. Mit der Zeit habe ich aber gemerkt, dass ich das größere Talent im Feldhockey habe. Dort konnte ich erfolgreich in der 1. und 2. Bundesliga spielen. Nach Abbruch des Studiums stellte sich mir die Frage:  Gehe ich das finanzielle Risiko ein und bleibe in München oder ziehe in eine andere Großstadt? Dort hätte ich dann weiter auf hohem Niveau Hockey spielen können. Ich habe mich für die finanziell etwas sichere Variante entschieden, und bin nach Schweinfurt zurückgezogen. Mir war aber klar, dass ich weiter Sport treiben will. Ich spielte für den Hockey Club Schweinfurt und fuhr nebenbei nun mehr Rennrad als zuvor. Ich wollte dann mal testen, wie gut ich im Vergleich zu den anderen deutschen Gehörlosen Radsportlerinnen bin und wurde 2012 prompt Deutsche Meisterin. Seitdem hat mich das Rennradfahren nicht mehr losgelassen. Ich begann, noch mehr und noch strukturierter zu trainieren, um den Sprung in die Nationalmannschaft zu schaffen und somit an den Deaflympics in Sofia teilnehmen zu können.

netzathleten.de: Was macht Radfahren für dich aus?
Isabelle Boberg: Radfahren ist für mich Leiden und Leidenschaft. Man muss sich unglaublich hart quälen können, gleichzeitig kann man aber auch traumhafte Landschaften und Momente erleben.

netzathleten.de: Warum Profi-Radsport? War dir bloßes Radeln zu wenig?
Isabelle Boberg: Ich habe bisher immer Sport auf hohem Level gemacht. Deswegen konnte ich mich nicht damit zufrieden geben, ein- bis zweimal in der Woche zu radeln. Ich hatte relativ schnell den Wunsch, wettkampffähig zu sein, um Radrennen bestreiten zu können. Daran arbeite ich immer noch. Um bundesligatauglich zu werden, fehlen mir noch ein paar Trainingskilometer. So langsam nähere ich mich aber diesem Niveau.

netzathleten.de: Worin liegen für dich als Schwerhörige die größten Probleme beim Radeln? Ist es die Kommunikation zu deinen Teamkameraden/Betreuern? Das Nichthören der anderen Fahrer?
Isabelle Boberg: Im Gehörlosen-Radsport haben zum Glück alle das Problem, dass sie schlecht mit den Betreuern kommunizieren können. Bei Wettkämpfen muss man auf die Hörhilfen verzichten. Mein Vorteil ist, dass mein Gleichgewichtssinn ohne diese immer noch gut funktioniert. Andere haben da teilweise Probleme. Wenn ich dagegen bei den Normalhörenden starte, ist es so, dass ich zum Beispiel nicht mitbekomme, wenn die Konkurrentinnen sich absprechen. Auch Warnrufe nehme ich unter Umständen zu spät wahr.

netzathleten.de: Du trägst ja auch ein Cochleaimplantat, eine Hörprothese für Gehörlose – inwiefern macht das Probleme beim Radfahren, beispielsweise beim Tragen des Helmes?
Isabelle Boberg: Mit dem zweiten Cochleaimplantat ist der Kopfumfang minimal größer, sodass mein alter Fahrradhelm nicht mehr hundertprozentig passt. Zum Glück gibt es aber viele verschiedene Hersteller mit verschiedenen Maßen und Formen, sodass eigentlich jeder Topf seinen Deckel findet. Anstrengender sind eher die Windgeräusche, die manchmal recht laut sind. Wäre ich aber normalhörend, hätte ich da auch Probleme, mich zu verständigen. CIs und Hörgeräte haben ja eine gewisse Geräuschunterdrückung und man kann sie auch leiser stellen. Ich sehe eher die Vorteile, dass ich besser als mit den Hörgeräten auch Autos von hinten wahrnehmen kann und andere Radfahrer während der Fahrt besser verstehe.

netzathleten.de: Gemeinsam mit deinen Mannschaftskollegen bildest du das Team SilentRIDERS – was genau hat es damit auf sich?
Isabelle Boberg: Im Team SilentRIDERS haben sich auf meine Initiative schwerhörige und gehörlose Fahrer zusammen getan. Dadurch wollten wir Sponsoren für unsere Sache gewinnen. Dieses Ziel haben wir auch erreicht, da MED-EL das Team sponsert. Wir versuchen anderen Menschen zu zeigen, dass man vieles erreichen kann, auch wenn man gewisse Handicaps hat. Ein Chefarzt eines Uniklinikums hat mir empfohlen, mit dem CI kein Hockey zu spielen. Das wäre zu gefährlich. In einem anderen Uniklinikum bekam ich das Gegenteil zu hören. „Frau Boberg“, sagte man mir dort, „wenn Ihnen das Spaß macht, dann machen Sie das. Wenn es kaputt geht, bekommen Sie ein neues.“ Seit sieben Jahren habe ich es nun und es hat viele Hockeybälle, Fußbälle, Bodychecks und Fahrradstürze ausgehalten. Am gefährlichsten sind die Bettkante und die Dachschräge, da bleibe ich am häufigsten mit dem Kopf hängen. ;-)

netzathleten.de: Woher kam die Idee?
Isabelle Boberg: Die Idee kam bei der Deutschen Meisterschaft 2013, als ein paar Fahrer gefragt wurden, ob sie zum Nationalteam stoßen wollen. Diese verneinten mit Hinweis auf fehlendes Material und monetäre Mittel. Im Zuge dessen begaben sich Luise Jungnickel und ich auf Sponsorensuche, um diese Probleme zu lösen.

netzathleten.de: Können sich auch Normalhörer eurem Team anschließen?
Isabelle Boberg: Ja sicher. Aus der Grundidee heraus heißt das Team „Team silentRIDERS“. Momentan haben wir mit Lisa Fischer eine Normalhörende Bundesliga-Fahrerin im Team. Kleinere Rennen wird sie für das Team silentRIDERS bestreiten, bei großen Rennen wird man sie im MAXX-Solar Bundesligatrikot sehen. Jeder andere nicht schwerhörige oder gehörlose Fahrer ist bei uns selbstverständlich auch willkommen. Der Verein RV1889 Schweinfurt versucht, langsam wieder eine breite Struktur an Vereinsfahrern aufzubauen. Wir versuchen für die Zukunft wieder Juniorenfahrer zu bekommen und dem Radsport in Schweinfurt wieder ein Gesicht zu geben.


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