Simon Ollert – Gehörlos kicken Sonova

Simon Ollert – Gehörlos kicken

Simon Ollert ist seit seiner Geburt taub. Aber er hat einen Traum: einmal ein Champions League-Finale spielen. Und er ist auf einem guten Weg dorthin.
Seit Geburt hört der 19-Jährige nichts. Er ist taub. Vermutlich von den Großeltern vererbt. Doch wenn man mit Simon Ollert an einem ruhigen Ort spricht, merkt man von seiner Taubheit praktisch nichts. Etwa 10 bis 20 Prozent kann er durch seine Hörgeräte hören, der Rest läuft über Lippenlesen. Schwieriger gestaltet sich die Kommunikation an Ollerts Arbeitsplatz: dem Fußballfeld. Ollert will Fußball-Profi werden und hat den Traum, als Nationalspieler zu spielen und ins Champions League Finale zu gelangen. Anstoß dazu gab das gemeinsame Kicken und Fußballgucken mit dem Großvater. Und er hat schon einige Schritte gemeistert.

Bei Unterhaching unterschrieb er 2014 seinen ersten Profivertrag. Dritte Liga. Inzwischen ist er in der U19 des FC Ingolstadt aktiv, U19-Bundesligist. Die Aussicht, in die Herren-Bundesligamannschaft aufrücken zu können, war ein Grund, warum Ollert den Verein wechselte. Zudem boten sich bei der U19 der Schanzer bessere Möglichkeiten, Training und Schule unter einen Hut zu bringen.

Gehörlosigkeit ein Hindernis?

Aktuell befindet er sich in der Abiturphase und will sich im kommenden Jahr vollkommen auf den Fußball konzentrieren. Und seine Hörbeeinträchtigung? „Die war für mich nie ein Grund zu sagen: Ich versuche nicht, meinen Traum zu verwirklichen. Ich habe mir immer gesagt, es muss möglich sein.“ Dass für Außenstehende ein Gehörloser im Kommunikationssport Fußball dennoch manchmal schwer vorstellbar ist, verwundert ihn so wenig wie es ihn stört. „Klar kann man denken, dass das nicht richtig funktioniert. Im Fußball passiert ja viel über Zurufe, freistehende Mitspieler rufen, oder wenn ein Gegner einen von hinten anläuft, wird man gewarnt. Sich als Gehörloser dann durchzusetzen, scheint vielleicht fast unmöglich. Aber: Möglich ist alles“, sagt Ollert. Auch die Kommunikation. „Natürlich müssen sich meine Mitspieler darauf einstellen, dass ich einfache Zurufe auf dem Platz nicht mitbekomme“, erklärt der Oberbayer. Bestimmte Zeichen für bestimmte Situation helfen Ollert und seiner Mannschaft hier. „Außerdem habe ich als Folge meiner Beeinträchtigung ein größeres Sichtfeld entwickelt, sodass ich viele Situationen schon vorher erkenne“, erzählt der Stürmer. Die Kommunikation mit dem Trainer läuft ähnlich ab. „Mit dem Coach kommuniziere ich meist über Zeichensprache, also nicht Gebärdensprache, sondern durch Gesten. Schon im Training versuche ich dem Trainer klarzumachen, dass ich auch kleine Handbewegungen verstehe. Und Lippenlesen kann ich auch, sodass ich da viel mitbekomme. Und ich nutze Spielunterbrechungen, um zum Trainer zu laufen und mich mit ihm abzustimmen.“

Was sich hier jetzt relativ einfach liest, ist aber das Ergebnis eines langen Prozesses. „Bei Haching habe ich gute drei Jahre gespielt, und die Eingewöhnung hat etwa eineinhalb Jahre gedauert, bis alle verstanden hatten, dass ich ohne Hörgeräte wirklich gar nichts höre. Aber dann war es super“, erklärt Ollert. In Ingolstadt, wohin er im vergangenen Sommer wechselte, läuft dieser Anpassungsprozess noch. „Aber ich denke, man muss den Leuten einfach Zeit geben, es ist ja schließlich für sie auch nichts Alltägliches.“

Nichts hören – Fluch und Segen

Doch auch wenn die Mechanismen greifen, gibt es Situationen, in denen Ollert nicht alles mitbekommt. „Es kommt natürlich immer wieder mal vor, dass ich einem besser positionierten Spieler in meinem Rücken den Ball wegnehme. Aber das ist normal, denke ich. Das passiert in der Bundesliga ja auch regelmäßig. Und in lauten Stadien hat man ja ohnehin öfter das Problem, dass man sein eigenes Wort nicht versteht.“ Auch nicht jeden Pfiff des Schiedsrichters kriegt er mit. Das ist dann ärgerlich, aber nicht zu verhindern. „Manchmal ist es aber auch ein Vorteil, nichts zu hören, da bin schon echt froh“, sagt er. „Ich kann meine Hörgeräte ausmachen, und bin in meiner eigenen Welt. Ich kann mich dann voll auf die Situation konzentrieren. Wenn ich mir vorstelle, einen wichtigen Elfmeter schießen zu müssen und das ganze Stadion brüllt gegen mich, dann mach ich einfach die Geräte aus und kriege nichts mehr mit. Einige meiner besten Spiele habe ich auch gemacht, wenn ich ohne Hörgeräte gespielt habe.“

Plan B: Fußball. Nur anders.

Hörgeräte sind für Ollert trotzdem wichtig. Mit eineinhalb Jahren bekam er seine ersten. Inzwischen sind sie wie ein Teil von ihm. Ein Teil, der es ihm ermöglicht, die ersten Schritte bei der Verwirklichung seines Traums zu gehen. Beim Spielen stören sie ihn nicht, trotz Schweiß, trotz Kopfbällen und Zweikämpfen. Und überlebt haben sie bisher auch alles. „Das einzige, was mir bisher passiert ist: dass ich die Geräte bei einem Kopfball oder Zweikampf verloren habe. Das ist etwas nervig, weil ich sie dann erstmal auf der Wiese suchen muss.“ Ollerts Geräte wurden extra für den Outdoor-Einsatz entwickelt. Sie sind spritzwassergeschützt, staubresistent und besonders robust; nur bei starkem Regen muss Ollert sie rausnehmen. Früher hatte er andere Modelle. „Die mussten alle drei Wochen zum Richten“, erzählt er und klopft auf Holz. „Toi toi toi, dass die jetzigen weiterhin so gut halten.“

Sollte es mit dem Profi-Fußball nicht klappen, hat Simon Ollert schon einen Plan B. Wichtig dabei: Fußball muss eine Rolle spielen. „Ich würde gerne Sportpsychologie studieren und dann auch was in der Richtung machen oder als Trainer arbeiten“, sagt der 19-Jährige. Aber erstmal möchte er seinen Traum weiter verwirklichen. Und das ab kommender Saison in der U23 der Ingolstädter.


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