Interview mit Oliver Schmidtlein Teil 2 - Für wen eignet sich Functional Training? picture-alliance; Oliver Schmidtlein beim Training mit Philipp Lahm und Miroslav Klose

Interview mit Oliver Schmidtlein Teil 2 - Für wen eignet sich Functional Training?

  • Nils Borgstedt
Im zweiten Teil des Interviews mit Oliver Schmidtlein zu Functional Training erklärt der Experte, ob und warum sich Functional Training für Ausdauer- und Mannschaftssportler eignet und ob Functional Training auch für zu Hause geeignet ist.

Netzathleten: Sie haben das geringe Equipment bereits angesprochen (hier geht es zum ersten Teil des Interviews). Ist damit Functional Training ideal für die eigenen vier Wände? Kann man es zu Hause gut und einfach durchführen?
Oliver Schmidtlein: Das ist abhängig vom Leistungsniveau. Im unteren Leistungsniveau kann man es auf jeden Fall zu Hause machen. Das eigene Körpergewicht reicht zunächst als Gewicht. Und mit einfachen Hilfsmitteln wie Medizinbälle oder ein Togu-Jumper (ein „halber“ Ball auf einer festen Platte, Anm. d. Red.) kann man auch daheim gut arbeiten. Der limitierende Faktor beim Training zu Hause ist eher die konkrete, vor allem aber korrekte Anleitung. Functional Training ist High-maintenance, das heißt, man braucht am Anfang wirklich Hilfe, wenn man nicht selbst ein Experte auf dem Gebiet ist, damit man die Übungen richtig ausführt.

Netzathleten: Als ich mir manche Übungen des Functional Training angesehen habe, ist mir immer wieder der Trimm-Dich-Pfad in den Sinn gekommen. Geht man zu weit, wenn man sagt, dass diese „Pfade“ eine gute Basis für ein Functional Training Programm darstellen, beispielsweise was die Geräte angeht?
Oliver Schmidtlein: Jein. Im Prinzip gefällt mir das sehr gut, das passt auch gut zu Functional Training. Ein Problem, das ich aber am klassischen Trimm-Dich-Pfad sehe, ist die Bewegungsqualität. Das, was ich bei dort bei Trainierenden in den letzten 30 Jahren, in denen ich Trimm-Dich-Pfade besucht habe, gesehen habe, hatte selten eine gute Bewegungsqualität. Und darauf würde ich auch immer wieder herumreiten, denn das ist meiner Meinung und Erfahrung nach auch das, was den Menschen am meisten fehlt.

Netzathleten: Sie meinen konkret also das falsche Ausführen der Übungen?
Oliver Schmidtlein: Ganz genau. Und ich werde das immer wieder kritisieren, weil man viel mehr davon profitiert, wenn man die Übungen richtig macht. Man kann die Übung nicht ohne Probleme von einem Bild weg machen (bei Trimm-Dich-Pfaden sind in der Regel bebilderte Anleitungen an jeder Station vorhanden, Anm. d. Red.).

Die Grundidee der Pfade finde ich hervorragend. Gerade auch die Kombination aus Laufen und Übungen machen. Zwischen den einzelnen Stationen liegen ja immer etwa 300 bis 400 Meter. Das ist genial. Allerdings müssten die Übungen wirklich so sein, dass Jedermann sie problemlos und fehlerfrei ausführen kann, ohne beispielsweise Ausweichbewegungen oder Kompensationsbewegungen zu machen.

Netzathleten: Kommen wir ein wenig zurück zum Training an sich. Sie haben unter anderem die Fußball-Nationalmannschaft und den FC Bayern trainiert. Inwieweit profitieren denn Mannschaftssportler von Functional Training Übungen?
Was bei Mannschaftssportlern entscheidend ist, ist die Effektivität des Trainings. Wenn man sich einen Mannschaftssportler anschaut, sei es ein Fußballer, ein Basketballer oder Handballspieler, hat dieser sehr viele Eigenschaften innerhalb einer Woche zu trainieren. Betrachtet man den Mikrozyklus, das heißt eine Trainingswoche, dann müssen in dieser Zeit viele Eigenschaften trainiert werden, die viel mit den technisch-taktischen Fähigkeiten zu tun haben. Also beispielsweise Flanken, Torschüsse, taktische Übungen. Weiter geht es im athletischen Bereich mit Schnelligkeit, verschiedenen Formen der Ausdauer, Sprungkraft, und so weiter. Wenn man jetzt die zur Verfügung stehende Zeit in Betracht zieht, und ich meine nicht einen 24-Stunden-Tag, sondern die Zeit, die man für Training verwenden kann, dann muss man sich ganz genau überlegen, welchen Reiz man in dieser Zeit stattfinden lässt.

Dabei kommt man eigentlich nicht darum herum, Trainingseinheiten oder zumindest Teile des Trainings zu kombinieren. Wenn ich zwei Mal die Woche 45 Minuten Athletik-Training habe, was für Profi-Spieler während der Saison auch das Maximum ist, muss ich versuchen, folgende Eigenschaften darin unterzubringen: Beweglichkeit, Stabilität, Kraft, neuromuskuläre Power, also Sprungkraft, Explosivität, dann vielleicht sogar noch einige koordinative Dinge, also speed agility quickness. Nun muss ich mir überlegen: Wie bekomme ich das alles zusammen? Das schaffe ich mit einem Gerätetraining nicht.

Wenn wir mal bei dieser Gegenüberstellung bleiben. Sagen wir, ich möchte Beinkraft, Oberkörperkraft, Rumpfkraft trainieren, dann müssten die Spieler ja in der Einheit schon in sechs Geräte. In jedem Gerät müssten sie zwei bis drei Sätze isoliert trainieren. Dann käme jeder Spieler schon auf eineinhalb Stunden Training pro Einheit, nur um isoliert diese Eigenschaften zu trainieren, wenn er pro Muskelgruppe zwei bis drei Übungen machen würde. Das ist schon aus rein logistischen Gesichtspunkten unmöglich. Also es ginge schon, aber man müsste eine andere Eigenschaft einschränken. Und das will man aber natürlich nicht. Kopfballtraining, Flankentraining, etc. ist für eine Fußballer genauso wichtig, wenn nicht wichtiger.

Dadurch hat Functional Training, mit seiner Vielseitigkeit natürlich im Spielsport einen genialen Einsatzbereich gefunden. Denn gerade im Maximalkraftbereich, also dem Trainingsbereich, in dem Functional Training nicht optimal geeignet ist, arbeitet man während der Saison nicht so oft. Vielleicht entsteht der Maximalkrafteffekt indirekt durch den kumulativen Effekt von verschiedenen Übungen, die man im Functional Training hintereinander macht. Oder man muss nur noch in einer Maschine trainieren, um den Maximalkrafteffekt abgedeckt zu haben. Man muss aber nicht jeden Muskel isoliert trainieren. Dazu kommt noch, dass eine Mannschaft je nach Verein, hier im süddeutschen Raum aus etwa 23, 24, in Richtung Niedersachsen dann gerne auch mal 30 Spielern besteht. Wenn man dann mit der Mannschaft geschlossen in den Kraftraum gehen würde, bräuchte man ja von jedem Gerät mindestens drei Stück. Das heißt, durch Functional Training lässt sich auch ein adäquates Gruppentraining viel leichter organisieren.

Netzathleten: Und wie sieht es bei Ausdauersportlern aus?
Oliver Schmidtlein: Ausdauersportler profitieren sehr von Functional Training. Sie sind im Übrigen oftmals sehr schlecht trainiert außerhalb ihres Stoffwechseltrainings. Sie sind eine ganz interessante Zielgruppe. Und ein entscheidendes Stichwort ist die Rumpfkraft beziehungsweise das Core.

Für Core gibt es übrigens verschiedene Definitionen, die sich aber alle überschneiden. In der Regel hat man es dabei mit der Körpermitte, also der Bauchmuskulatur und Teilen der Rückenmuskulatur zu tun. Bei den meisten Autoren gehört dann noch die Muskulatur rund um das Schulterblatt und die Gesäßmuskulatur dazu. Im Prinzip hat man also drei Muskelgruppen, die häufig auch die drei Säulen des Core-Trainings genannt werden.

Diese Muskelgruppen übernehmen beim Ausdauersportler sehr wichtige Aufgaben. Es geht hierbei nämlich um selektives Bewegen. Für einen Ausdauersportler ist Ökonomie in seiner Bewegung extrem wichtig, weil er mit dem kleinstmöglichen Sauerstoff- und Energieaufwand möglichst weit kommen will oder möglichst schnell sein möchte. Hier besteht natürlich ein Zusammenhang. Je weniger Energie ich brauche, je weniger Widerstand ich habe, umso einfacher wird es. Gut ausgebildete Eigenschaften am Rumpf, und damit meine ich nicht nur die Kraft, sondern auch das Zusammenspiel der Muskeln, sorgen dafür, dass der Ausdauersportler die Beine gut bewegen kann, ohne Ausweichbewegungen mit dem Rumpf zu machen. Bildhaft gesprochen: stellen Sie sich einen Läufer vor, der immer, wenn er die Knie hochhebt, mit dem Oberkörper ein leichtes Nicken nach vorne macht. So jemand wird über eine bestimmte Strecke relativ mehr Energie brauchen, um den Oberkörper immer wieder aufzurichten – und das bei jedem Schritt. Das sieht man nicht selten, auch bei Spielsportlern übrigens.

Und hier bietet Functional Training eine Möglichkeit zur Optimierung. Functional Training Übungen trainieren eben nicht nur Kraft, sondern auch, wie man die Kraft optimal einsetzt. Es werden so genannte Firing Patterns, Kontraktionsmuster, trainiert. Die Muskeln sollen lernen, in der richtigen Reihenfolge zu funktionieren. Und dieses Zusammenspiel der Muskeln ist häufig bei Läufern nicht optimal. Man kann hier in der Regel noch einiges rausholen, sodass sie ihr Training und ihre Performance besser gestalten können. Das heißt, bei gleicher Ausdauerleistungsfähigkeit schaffen sie es, schneller oder weiter zu laufen. Stoffwechsel und Bewegungsapparat hängen eng miteinander zusammen. Das wird leider häufig noch übersehen. Wenn man also seinen Bewegungsapparat effektiver macht, sich besser bewegen kann und weniger Bewegungseinschränkungen hat, wird man besser werden, ohne den Stoffwechsel zu verändern.

Netzathleten: Herr Schmidtlein, vielen Dank für diese ausführlichen Erklärungen zu Functional Training.

Hier geht es zum ersten Teil des Interviews mit Oliver Schmidtlein. Der ehemalige Physiotherapeuth des FC Bayern und der Nationalmannschaft gibt eine Definition von Functional Training und erklärt seine Vor- und Nachteile.

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