Silvio Heinevetter: Die zweite Quarantäne war schon härter gettyimages -- Silvio Heinevetter bei der Handball WM 2019

Silvio Heinevetter: Die zweite Quarantäne war schon härter

  • Redaktion
Nach den Sternen greifen ist schwer, wenn alles in den Sternen steht. Für viele Spitzensportler ist der Traum von Olympia zwar noch nicht ausgeträumt. Ob die – verschobenen – Spiele von Tokio allerdings wirklich im kommenden Jahr wie geplant stattfinden, und wie sie ablaufen würden – all das ist angesichts der Corona-Pandemie ungewiss. Einer der Topathleten, für die Olympia 2020 in 2021 durchaus noch ein relevantes Ziel wäre, ist Handball-Keeper Silvio Heinevetter, inzwischen nicht mehr im Kasten der Füchse Berlin, sondern Rückhalt der MT Melsungen. Dem 36-Jährigen ist es trotz bereits zweimaliger Zwangsisolation ausgesprochen gut gelungen, die – auch für Sportler – aus den Fugen geratene Welt im eigenen Alltag neu zusammenzubauen, sich Halt zu verleihen und die Situation anzunehmen.
Sportjournalist Frank Schneller hat Heinevetter vergangenes Jahr – damals noch in der Hauptstadt – besucht und anlässlich seiner bevorstehenden Rückkehr in den Nationalmannschaftskader für das Magazin „2020 – Auf dem Weg nach Tokio“ interviewt. Für die 2. Ausgabe der Heftserie, „2020 – Auf dem (Um-)Weg nach Tokio“ haben die beiden nun trotz der fragilen Lage einen Rück- und Ausblick gewagt: Was war, was ist – und was wird? Heinevetters Einblicke in den neuen Corona-Alltag, aber auch in die Gefühlswelt eines Profihandballers wurden für das Magazin (seit 20. Oktober erhältlich*) in den Kontext der Erlebnisse und Gedanken zahlreicher Olympia-Kandidatinnen und -Kandidaten gestellt. Für unsere Redaktion hat Frank Schneller das Gespräch mit dem neuerdings in Kassel wohnhaften Ausnahmetorwart noch einmal im Wortlaut aufgeschrieben.

Das Interview mit Silvio Heinevetter


Herr Heinevetter, aus unseren bisherigen Gesprächen weiß ich, dass Sie über das Thema Nationalmannschaft gar nicht so gerne sprechen, sondern lieber einen Schritt nach dem anderen machen. Gleichwohl dürften ja auch Sie mittel- oder langfristige Ziele haben. Gehört eine nachhaltige Rückkehr in Alfred Gislasons DHB-Auswahl noch dazu?

Heinevetter: Das Thema Nationalmannschaft ist ehrlicherweise aktuell weit weg. Ich hoffe persönlich, dass wir überhaupt in einem halbwegs regulären Spielbetrieb bleiben können. Die Bundesliga ist unser tägliches Brot – darauf fokussiere ich mich, das zählt. Man sollte dankbar sein, was seitens der Vereine und Verbände alles versucht wurde, um unseren Sport, unsere Liga am Leben zu halten und wieder in Gang zu kriegen. Ich habe dafür eine hohe Wertschätzung übrig. Alles andere lässt sich grundsätzlich schwer planen oder vorhersagen – und erst recht nicht in Zeiten wie diesen, angesichts der Pandemie. So etwas gab’s schließlich noch nie.

Die einstige Ausnahmesituation scheint eine neue, uns zumindest noch lange begleitende Realität zu werden, eine „neue Normalität“. Wie sind Sie damit umgegangen?

Heinevetter: Ich versuchte von Beginn an, damit so konstruktiv wie möglich umzugehen. Man könnte nämlich auch sagen, dass dieser Einschnitt unter Umständen ein Segen für manche Spieler ist, insbesondere für die Nationalspieler mit ihrer bis dahin immensen Drei- bis Vierfach-Belastung. Die hatten mal Zeit, richtig zu regenerieren. Sich auszukurieren, zu erholen, mal Abstand zu gewinnen von der Dauerbelastung. Verletzungen nachhaltig zu überwinden. Und sich in Sachen Fitness breiter aufzustellen und Defizite aufzuarbeiten. Am Ende könnte das sogar dazu führen, dass einige meiner Kollegen länger spielen, so ein, zwei Jahre.

Klingt ziemlich pragmatisch...

Heinevetter: Was wäre denn die Alternative dazu gewesen, das vorzeitige Saisonende als Fakt anzunehmen? Ich habe ehrlicherweise auch mal die Pause genossen, danach habe ich die Zeit wirklich intensiv genutzt, viel an mir gearbeitet. Die erste Lockdown-Phase war eine Gelegenheit, mich umfassender fit zu machen. Außerdem galt die erste Isolation ja für alle. Das fühlte sich anders an als meine Quarantäne zuletzt in Melsungen.

Und wirtschaftlich?

Heinevetter: Natürlich bedeutete der Saisonabbruch auch einen finanziellen Einschnitt. Aber das habe ich nicht so negativ gesehen, sondern wie bereits geschildert Zweck-Optimismus an den Tag gelegt. und die Situation angenommen. Heute kann ich sagen: Körperlich habe ich davon profitiert.

Sie sprachen es an: Sie gehörten zu den HBL-Spielern, die eine zweite Quarantäne durchmachen mussten, wegen eines Corona-Falls im unmittelbaren sportlichen Umfeld der Mannschaft...

Heinevetter: Richtig. Die zweite Quarantäne war schon anders, härter. Ich steckte mitten in der Saisonvorbereitung – da hat man ein klares Ziel vor Augen, schuftet sich ab, will zum ersten Spiel topfit sein. Und dann wurde ich da erneut rausgerissen. 14 Tage lang. Aber auch diese Situation musste ich halt bewältigen und nicht lamentieren – bringt ja nichts. Man hat mir ein Programm für zu Hause erstellt und das habe ich in Kassel durchgezogen. Eine optimale Vorbereitung sieht freilich anders aus – aber es ist nun mal nicht zu ändern. Also: Abhaken, nach vorne schauen.

Seit unserem Interview im Sommer 2019 ist nur noch wenig, wie es war. Ist der Olympia-Traum verblasst?

Heinevetter: Es wäre natürlich weiterhin wunderbar, Olympische Spiele zu erleben. Aber wie eingangs erwähnt ist das Thema Nationalmannschaft Stand heute wenig greifbar. Ich habe zunächst andere Prioritäten, die liegen in Melsungen. Alles andere wird man sehen. Ich will einfach Leistung bringen und hoffe, es kommt nicht zu einem neuerlichen Abbruch. Ob die Olympischen Spiele ausgetragen werden oder nicht, das vermag ich natürlich auch nicht vorherzusehen. Aber wer kann das aktuell? Ich wünsche mir natürlich, dass die Tokio-Spiele ausgetragen werden können. Aber großer Optimismus fällt mir angesichts der aktuellen, globalen Lage doch schwer, wenn ich ehrlich bin. Man wird eine Entscheidung darüber nicht noch Monate lang – weit ins nächste Jahr hinein – vor sich her schieben können.

* Das neue „2020“-Magazin liegt seit dem 20. Oktober bundesweit am Kiosk und ist im Bahnhofsbuchhandel, in allen Edeka-Märkten und Netto-Filialen sowie im Online-Shop unter 2020magazin.de erhältlich.

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