Einsamkeit als Motivation - Interview mit Abenteurer und Extrembergsteiger Florian Hill www.florian-hill.com

Einsamkeit als Motivation - Interview mit Abenteurer und Extrembergsteiger Florian Hill

  • Nils Borgstedt
Florian Hill (27) – er selbst beschreibt sich als Outdoor-Athlet – mag es extrem. Seine Leidenschaft gilt dem Expeditionsbergsteigen und dem Abenteuer. Doch es ist nicht die Höhe der Berge, die ihn reizt. Wir sprachen mit ihm über die letzte Kletterexpedition in Argentinien, über Philosophie im Bergsport und vor allem über Einsamkeit, was sie ist, woher sie kommt, wie sie entsteht.

netztathleten: Ich hoffe es geht Dir gut. Wie ich erfahren habe, bist Du, während eines Versuchs am 6.050m hohen Pico Polaco eine neue Route zu klettern, von einem Steinschlag getroffen worden?
Florian Hill: Danke der Nachfrage, ja uns geht es gut! Meinen Seilpartner Alex hatte es härter getroffen als mich. Als sich der Felsbrocken löste, war ich gerade im Vorstieg und konnte noch ausweichen. Alex, der mich sicherte, war zu diesem Zeitpunkt mit zwei Eisschrauben praktisch in die Wand „genagelt“ und hatte einfach riesen Glück.

netzathleten: Habt ihr Euch bei der Aktion verletzt?
Florian Hill: Ein Steinbrocken hat Alex‘ rechtes Knie getroffen und seinen Helm zerschmettert. Abgesehen davon waren wir beide ziemlich baff und mussten diesen Schock erst einmal verarbeiten.

netzathleten: Dieses Mal hattest du einen Partner dabei. Bei früheren Projekten warst Du aber auch schon völlig alleine in den Bergen unterwegs. Was verstehst Du unter Einsamkeit?
Florian Hill: Bevor wir über den Begriff Einsamkeit diskutieren, sollten wir erst einmal definieren, was Einsamkeit bedeutet. Da wird jeder seinen eigenen Zugang haben. Normaler Weise definiert sich Einsamkeit ja über das Abgetrennt-Sein von anderen Menschen, also seiner sozialen Umwelt. Das ist bei meinen Expeditionsprojekten sicherlich ein Teil und sogar auch eine Motivation, allein und ausgesetzt zu sein.

 

netzathleten: Und wie war es bei deiner Expedition auf dem Juneau Eisfeld in Alaska im Jahr 2011? Dein Partner und du wart ohne Satellitentelefon oder sonstige technische Hilfsmittel unterwegs, wart also völlig auf Euch gestellt. Da habt ihr bewusst Einsamkeit provoziert, oder?
Florian Hill: Ja, „provoziert“ trifft es glaube ich ganz gut. Es war der extreme Versuch ohne irgendetwas auskommen zu können, von nichts abhängig sein, ganz nach dem Motto: Ich kann sein, wer und wie ich auch immer sein will. Selbst wenn wir gewollt, oder, in einer Notsituation, gemusst hätten: Es hätte keine Chance auf eine Kommunikation mit der Außenwelt gegeben. Man wird schlagartig dazu gezwungen, seine Sinne und den Verstand einzusetzen; In der Bewertung des Wetters, beim Klettern, beim Überqueren des Gletschers. Das war eine gute und radikale Schule, freilich ohne Sicherheitsnetz und doppelten Boden.

netzathleten: So alleine auf dem Eisfeld, umgeben von Eis, Schnee und Bergen. Kam da bei Euch nicht das Gefühl der Einsamkeit, des Alleinseins, auf?
Florian Hill: Einsamkeit klingt für den Menschen immer so, als würde man sich furchtbar alleine fühlen und abgeschieden sein. Wenn man aber in Kontakt mit seiner Umwelt steht, und mit dieser Umwelt zusammen arbeitet, kommt dieses Gefühl der Einsamkeit nicht zwangsläufig auf, auch wenn man alleine unterwegs ist. Als ich auf dem Eisfeld unterwegs war, hatte ich eher das Gefühl, dass sich das Zeit-Raum Kontinuum einfach auflöst, dieses Gefühl war für mich befremdlich. Da ich aber ja mit meinem Kletterpartner Max unterwegs war, konnte man ja nicht von einer völligen Isolation sprechen.

netzathleten: Dennoch bist Du während deiner Expeditionen von deinem sozialen Umfeld, wie Freunde und Familie getrennt…
Florian Hill: Es lässt sich nicht leugnen, dass der Mensch ein soziales Wesen ist. Er braucht ein soziales Umfeld, in dem er sich wohlfühlt. Und wenn ich von den Reisen und Expeditionen zurückkomme, kann ich glücklicherweise auch auf dieses Umfeld zurückgreifen. Es ist wichtig Freunde zu haben, die einen auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Aber genauso wichtig ist es, dass dieses Umfeld einen auch wieder gehen lässt. Ohne Abschied kein Wiedersehen. Ich verstehe mich als Reisender und anfangs war mir gar nicht bewusst, welche Konsequenzen das haben kann. Über fünf Monate im Jahr bin ich in fremden Kulturen unterwegs und versuche auf nahezu allen Kontinenten Berge zu besteigen. Momentan bin ich an einen Punkt angekommen, an dem ich mich von meiner eigenen Kultur ein Stück weit entwurzelt habe. Aber diese Entwurzelung bringt auch neuen Wind in mein Umfeld. Ich verstehe mich als Kosmopolit und mein jetziges Leben steht als Opposition gegen ein normales bürgerliches Leben. Auf meiner Suche nach meinem Weg haben mich viele Schriftsteller und Philosophen im Geiste begleitet, wie zum Beispiel Goethe, der einmal schrieb: man reist nicht um anzukommen, sondern um zu reisen.

netzathleten: Und wie häufig denkst du an deine Familie und Freunde, wenn du unterwegs bist?
Florian Hill: Es hängt immer ein wenig von dem Projekt, und der Intensität der Belastung durch das Abenteuer ab. Die ersten Tage in denen ich am Berg oder in der Natur ausgesetzt bin, sind für mich persönlich die wertvollsten. Dabei denke ich oft an Freunde und Familie und natürlich auch an die Sicherheit, die einem die Gesellschaft bietet. Aber dann schließe ich damit ab und konzentriere mich voll und ganz auf mein Ziel. Und während dieser Zeit ist kein Platz für blockierende Emotionen. Und auch zuhause versuche ich emotional balanciert zu bleiben. Seit meiner Rückkehr vom Polarkreis 2003 habe ich keinen Fernsehen mehr. Ich befasse mich auch lieber mit Literatur, aus der ich direktes Wissen extrahieren kann. So versuche ich mich nicht unnötig emotional ergreifen zu lassen, um einen klaren Kopf zu behalten.

netzathleten: Viele Expeditionen werden von Filmteams und Fotografen begleitet. Geht dann die Faszination mit der Natur alleine zu sein – und damit ein zentraler Punkt der Expeditionen, wenn ich dich bisher richtig verstanden habe – nicht verloren?
Florian Hill: Wenn ein Filmteam eine Expedition begleitet, womöglich noch mit dem Helikopter eingeflogen wird, kann nicht mehr von Ausgesetztheit und Abenteuer die Rede sein. Das Abenteuer geht schon allein daran kaputt, dass eben die Option besteht, jederzeit aus dem Abenteuer aussteigen zu können. Der Helikopter des Filmteams/Fotografen stünde einem selbst natürlich auch in einer Notsituation zur Verfügung. Für mich ist es aber ein Grundbedürfnis auf der Expedition keine bis ganz wenige Sicherheitsnetze zu haben, weil ich sonst dieses Abenteuergefühl nicht spüre. Man bewegt sich in der Natur auch ganz anders, wenn jeder falsche Schritt oder Handgriff fatale Folgen haben könnte. Wenn ich eine objektiv sichere Reise haben möchte, wende ich mich an eine Reiseagentur.

Wenn Platz im Rucksack ist nehme ich das Bildermachen und filmen selbst in die Hand. Für mich besteht aber eine expeditionsähnliche Reise nicht nur aus der rein sportlichen Leistung, dass wäre mir zu einseitig. Es ist auch die Auseinandersetzung mit einer fremden Kultur. Da es mir zeitlich und künstlerisch nicht möglich ist, tolle Naturaufnahmen zu machen, oder Einheimische zu portraitieren, arbeite ich hierbei mit professionellen Reisefotografen zusammen, wie z.B. Marcus Haid aus Innsbruck. Was aber mehr und mehr in Vergessenheit gerät ist die direkte Kommunikation über das Abenteuer, in Form von Erzählungen und schriftlichen Aufzeichnungen.


netzathleten: Du hast mal geschrieben, dass Sehnsucht deine Krankheit ist. Warum?
Florian Hill: Ja, diese Aussage hatte wirklich Folgen für mich (lacht). Aus der Sehnsucht heraus entstehen für mich kreative Prozesse, ähnlich wie bei einem Künstler. Ob das nun beim Schreiben ist oder beim Berggehen. Sehnsucht ist ja per Definition ein Zustand, bei dem man den Gegenstand des Verlangens nie erreicht. Man strebt immer nach einem Zustand, den man nicht erreicht und dadurch wird man sehnsüchtig. Im Zen-Buddhismus gibt es ein kreisförmiges Symbol, das Enso. Das malen eines Enso stellt in der Philosophie des Zen-Buddhismus einen Zustand dar, indem der Geist in seinem Schaffensprozess nicht eingeschränkt ist. Einige Künstler malen das Enso mit einer Öffnung im Kreis. Diese Auslassung bedeutet die Fehlbarkeit des Menschen. Ich finde meine philosophischen Ansätze von Unvollkommenheit und Sehnsucht in diesem Symbol wieder. Im Leben wie am Berg. Erleuchtung bleibt daher eine Illusion – aber damit kann ich mittlerweile leben (lacht).
Ich glaube bei mir geht die Sehnsucht mit einer gewissen Rastlosigkeit einher. Ich kann zwar schon an einem Ort sein und mich dort auch wohlfühlen, aber nur auf sehr begrenzte Zeit, um dann wieder weiter zu gehen. Ich würde es vielleicht als modernes Nomadentum bezeichnen. Viele meinen ja, dass in diesem Umherziehen, diesem Nicht-ankommen-können eine Unstetigkeit liegt. Aber rein philosophisch betrachtet, steckt natürlich in dieser permanenten Unstetigkeit wieder eine Stetigkeit. Sprich: Wenn man, so wie ich, sich ständig neu erfinden muss, kommt man darüber auch zu einer Stetigkeit.

netzathleten: Aber eigentlich ist doch eine Krankheit nichts positives, sondern eher schlecht. In der Regel bekämpft man sie…
Florian Hill: Der Satz: „Die Sehnsucht ist meine Krankheit“ erscheint auf den ersten Blick etwas pathetisch. Denn auch, wenn ich mich mit diesem Immer-weiter-gehen wohlfühle, ist es in gewisser Weise eben doch ein Zwang von mir. Und ein Zwang kann neurotisch natürlich auch als Krankheit ausgelegt werden. Mein Zwang ist so groß, dass ich gar nicht dagegen ankämpfen brauche. Ich habe natürlich anfänglich versucht gegen dieses Gefühl anzukämpfen. Dennoch habe ich mit 19 Jahren den Entschluss gefasst auszubrechen, und war lange Zeit so etwas wie ein „Outlaw“.

Schon allein aus der intuitiven Motivation heraus immer weiter zu streben, kann ich dieses Sesshafte gar nicht anstreben. Und da kann man natürlich, wenn man die Definitionen und Normen, die sich in der heutigen Gesellschaft etabliert haben, als Maßstab nimmt, auch von einer Krankheit sprechen. Aber für mich ist diese Krankheit positiv und würde ich sie bekämpfen, hieße das für mich auch unter Umständen unglücklich zu werden.

netzathleten: Na, das wollen wir natürlich nicht. Vielen Dank für das interessante Gespräch. Wir sind gespannt, was du uns von deiner kommenden Expedition in Alaska berichten wirst. Viel Erfolg dabei.

Im April dieses Jahres möchte Hill zusammen mit dem amerikanischen Alpinisten Will Wacker einen Gipfel der Superlative besteigen. Mount Orville (3.199 m), gilt als einer der technisch anspruchsvollsten Gipfel der südlichen Fairweather Region in Glacier Bay, Alaska. Seit über 17 Jahren hat niemand den Orville erfolgreich bestiegen.

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