Handball: Christian Schwarzer über die neue deutsche Welle gettyimages.de -- Rune Dahmke

Handball: Christian Schwarzer über die neue deutsche Welle

Durchschlagskraft, Leidenschaft, Taktik - es macht wieder Spaß, der deutschen Handball-Nationalmannschaft zuzuschauen. Mit einem Sieg gegen Dänemark am heutigen Abend (18:15, ARD) stünde die junge Mannschaft erstmals seit 2008 wieder in der Runde der letzten Vier eines großen Turnieres. Wir sprachen mit Handball-Weltmeister und netzathleten-Experte Christian Schwarzer über die neue Handballer-Generation und ihre Chancen gegen Dänemark.
netzathleten: Blacky, vor dem Turnier gab es schon einige Hiobsbotschaften: Kapitän Uwe Gensheimer, Patrick Groetzki, Patrick Wiecnek und andere Leistungsträger sind ausgefallen. War vor diesem Hintergrund mit einem solch guten Auftreten der Mannschaft zu rechnen?
Christian Schwarzer: Ich habe so vieles im Sport erlebt, dass ich nie etwas ausschließen würde. Zumal mich die Jungs auch ein wenig an unsere Mannschaft von 1993 erinnern, als nur noch Andreas Thiel und Mike Fuhrig nach den Olympischen Spielen von Barcelona als erfahrene Spieler übrig waren. Ansonsten waren wir ein junger, unerfahrener Haufen, erreichten bei unserem ersten großen Turnier damals aber auch das Spiel um Platz 5. Wenn man gut in ein solches Turnier hereinkommt, kann sich eine Dynamik entwickeln, die eine Mannschaft trägt – so wie das jetzt der Fall ist.

netzathleten: Jahrelang sah es eher düster um den deutschen Nachwuchs aus. Zu viele ausländische Topspieler besetzten die Schlüsselpositionen in den Vereinsteams. Was hat sich da geändert?
Christian Schwarzer: Was den Nachwuchsbereich angeht, waren wir beim DHB eigentlich immer gut aufgestellt. Aktuelle Spieler wie Väth, Schmidt, Pekeler und all die anderen können jetzt aber wieder Spielpraxis auf allerhöchstem Niveau sammeln. Inzwischen haben die Vereine erkannt, wie wertvoll solche Spieler sein können. Die Jungs bringen Qualität mit, können noch geformt werden und so zu echten Leistungsträgern werden. Hinzu kommt, dass auch in anderen Ligen mittlerweile höhere Gehälter gezahlt werden und nicht alle internationalen Spitzenspieler in Deutschland landen. Die Konkurrenz belebt das Geschäft und das kommt auch dem deutschen Handball zugute.

netzathleten: Zahlreiche der aktuellen Spieler dürftest Du aus Deiner Zeit als Jugendkoordinator kennen. Was ist das Besondere an dieser Generation?
Christian Schwarzer: Viele aus dem heutigen Kader haben sich schon früh bei den jeweiligen Sichtungslehrgängen sehr gut präsentiert und sind bis heute hungrig geblieben. Sie sind eigentlich alle durch unsere Hände im DHB-Nachwuchs gelaufen, waren entweder bei Markus Baur, Martin Heuberger, Klaus-Dieter Petersen oder bei mir im Kader. Jetzt ernten wir allmählich die Früchte der intensiven Arbeit dort.

netzathleten: Wie breit ist der Unterbau im Nachwuchs? Kann man da schon von einer „neuen deutschen Welle“ sprechen?
Christian Schwarzer: Hinter dem aktuellen Kader steht noch eine ganze Reihe talentierter Spieler hinten an. Gerade der Jahrgang 94/95 hat bei allen Nachwuchsturnieren Medaillen geholt, zweimal sogar Gold. Dieser Jahrgang ist natürlich das Paradebeispiel. Insofern dürfen wir uns auf einige weitere Talente und gut ausgebildete Spieler freuen, die bald nachrücken werden.

netzathleten: Jetzt steigert sich die Mannschaft von Spiel zu Spiel. Die nötige Durchschlagskraft ist vorhanden, es wird gekämpft und auch taktisch stimmt es bisher. Vor allem haben die Jungs aber Selbstvertrauen, sprechen teilweise sogar vom Titel. Was ist Deiner Meinung nach die größte Stärke dieses Teams?
Christian Schwarzer: Das Prunkstück ist momentan natürlich die Abwehr, im Zusammenspiel mit den beiden exzellenten Torhütern. Mit dieser Abwehr gewinnen wir momentan die Spiele, sie ist der Schlüssel zum Erfolg. Hinzu kommt aber die Ausgeglichenheit im Kader. Sie macht unser Team unberechenbar für den Gegner, denn dadurch kristallisieren sich in jedem Spiel neue Optionen im Angriffsspiel heraus. Mal brilliert hier ein Wiede, mal ein Reichmann, mal ein Dissinger.

netzathleten: Wie wichtig ist Trainer Dagur Sigurdsson? Was macht er anders als seine Vorgänger?
Christian Schwarzer: Er erreicht die Mannschaft offenbar, das Verhältnis zum Team scheint zu stimmen. Ob er jetzt vieles anders macht als Martin Heuberger, weiß ich nicht. Er verhilft den Jungs aber zum nötigen Selbstvertrauen, hat taktisch die richtigen Lösungen parat und die Hebel, die er bewegt, sind die richtigen.

netzathleten: Der Sieg gegen Russland am Sonntag war teuer erkauft. Kapitän Steffen Weinhold und Christian Dissinger fallen verletzt aus. Kann das Team diese Verluste erneut wegstecken?
Christian Schwarzer: Gerade im letzten Spiel haben beide großartig gespielt. Das macht ihren Ausfall natürlich umso bitterer. Ich halte aber auch die beiden nachnominierten Julius Kühn und Kai Häfner für sehr gute Jungs, die beide Akzente setzen können. Zudem sind beide frisch und wer weiß, vielleicht wissen sie ihre Chance zu nutzen.

netzathleten: Wagen wir den Ausblick auf das Spiel gegen Dänemark. Wartet nun der stärkste Gegner bisher bei diesem Turnier?
Christian Schwarzer: Das werden wir am Mittwochabend nach dem Spiel wissen. Mit Russland und Schweden haben wir aber bereits zwei starke Gegner geschlagen. Davon abgesehen hat ein Spiel gegen Dänemark natürlich immer auch einen gewissen Derby-Charakter, was dem Ganzen noch mehr Würze verleiht. Ich sehe die Dänen zwar auch als leicht favorisiert an, aber vielleicht tut es unseren Jungs auch gerade gut, dass sie nun befreit aufspielen können. Sie haben ja ohnehin schon mehr erreicht, als von ihnen erwartet wurde. Zudem hatten wir zwei freie Tage vor dem Spiel, die Dänen hingegen mussten gestern Abend noch gegen Schweden ran. Es ist also alles drin!

netzathleten: Selbst wenn der Halbfinaleinzug nicht klappt: Deutschland ist die mit Abstand jüngste Mannschaft im Turnier und es macht Spaß, diese Mannschaft in Polen zu begleiten. Ist das die beste Nachricht dieser EM?
Christian Schwarzer: Absolut. Vor allem können wir so auch wieder mehr Nachwuchs gewinnen. Ich freue mich sehr, dass unsere Kinder und Jugendlichen nun die deutschen Spiele auch wieder im öffentlich-rechtlichen Fernsehen schauen und ihren Vorbildern nacheifern können. Die guten Einschaltquoten sprechen dafür, dass das der richtige Weg ist.

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