
Spieler an die Pfeife!
- Volker Schneller
Dem Beispiel Jens Vortmanns folgen – das fordert Ex-Nationalspieler und Bundesligacoach Volker Schneller von ehemaligen Profi-Handballerinnen und Handballern. Ihm ist bewusst: Dafür müssten für Ex-Profis die Wege nach oben seitens der Verbände verkürzt werden. Andernfalls drohe dem Handball ein zunehmendes Regel-Chaos, fürchtet der mehrfache Deutsche Meister und immer noch aufmerksame Beobachter der Bundesligen.
Unstimmigkeiten zwischen Aktiven und Unparteiischen erzeugten bislang im Handball selten Schlagzeilen in der breiten Öffentlichkeit. Allerdings war es bei der Entwicklung in Sachen Tempo, Kraft als auch Technik war es nur eine Frage der Zeit, bis auch dieser Sport entsprechende Konflikte zu bewältigen hat. Jedenfalls wurde mir das unlängst auch im Rahmen einer persönlichen Korrespondenz mit einer der führenden Persönlichkeiten im deutschen Schiedsrichterwesen bestätigt.
Wenn ich meine rund 55 Jahre als aktiver Spieler und Trainer sowie nachfolgend großer Fan dieser rasanten Sportart Revue passieren lasse, muss ich feststellen, dass wir zumindest in meinem Wirkungskreis stets von engagierten Unparteiischen begleitet wurden, die ebenso wie wir bestrebt waren ihr Bestes zu geben. Selbst hitzige Partien, seien es Derbys oder aber Endspiele um die Deutsche Meisterschaft gewesen, wurden meist souverän und gleichzeitig unprätentiös geleitet.
Doch unser Spiel vollzog natürlich einen Wandel, wurde immer schneller, athletischer und technisch raffinierter, von einst zwei- bis dreimal Training pro Woche war man rasch bei täglichem Training angelangt – jedenfalls die Aktiven am Ball, während jene mit der Pfeife diesbezüglich mühsam Schritt halten konnten. Und dies obwohl man inzwischen bestrebt war, einen regulären Verlauf mit dem Einsatz von Schiedsrichterpaaren zu gewährleisten. Rasch zeigte es sich aber, dass selbst die bestmöglichen
theoretischen Errungenschaften und zig Lehrgänge in Sachen Regelkunde und Spielleitung vermehrte Meinungsverschiedenheiten nicht mehr aufhalten konnten.
Da ich davon ausgehe, dass unverändert auch heute sowohl die Verbandsverantwortlichen, die Schiedsrichter als auch die Spieler und Vereine um ein faires Miteinander bemüht sind, stellt sich die Frage, wie man zu der im Handball Jahrzehnte lang praktizierten Partnerschaft unter Berücksichtigung von Kommerz und öffentlicher Wahrnehmung zurückfindet.

Mir ist bewusst, dass höherklassige Spieler nach ca. 20 aktiven Jahren für die Schiedsrichteraufgaben kaum zu rekrutieren sind, zumal nicht für „‘nen Appel und‘n Ei" und nicht mit jahrelanger Qualifikation in niederklassigen Gefilden, doch man wird nicht umhinkommen, diesen Weg unter Einbindung von Sonderrechten wie zeitliche Bevorzugung beim Erwerb der Lizenzen auszuloten. Denn: Hautnahe Erfahrung kann nicht durch ein Lehrbuch ersetzt werden und die Aussicht, relativ schnell auch höherklassig pfeifen zu dürfen, könnte ein echter Anreiz sein für jene, die diesem herrlichen Sport auch über die aktive Laufbahn hinaus erhalten bleiben möchten.
Und im Interesse aller ist ferner zu hoffen, dass unser Sport in nächster Zeit angesichts der Neuerungen wie dem aus meiner Sicht zurecht ziemlich umstrittenen siebten Feldspieler, der schnellen Mitte, die in jedem Spiel gefühlt mehrfach nicht regelkonform ausgeführt wird, sowie der neuen Regelauslegung auf den Außenpositionen nicht völlig aus der Balance gerät. Für mich als ehemaliger Außenspieler erfolgen dort vermehrt willkürlich oder schlicht falsche Foulpfiffe, die dem Abwehrspieler keine reale Chance lassen, seinen Raum zu verteidigen – vor allem im Vergleich zu den bisweilen Ringkämpfen ähnelnden Szenen im Deckungszentrum.
Unser damaliger Bundestrainer Werner Vick ordnete an, beim Pass auf den Eckenaußen möglichst nahe diesem zugewandt fest zu stehen und den jeweils eigenen äußeren Arm gerade hochgestreckt zu halten, um den Gegner dann eine breitest mögliche Körperfront entgegen zu stellen. Die Gefahr diesen zum Beispiel im Sprung an der Wurfhand zu verletzen, ist so schon anatomisch fast nicht möglich, da bei einer Berührung beider Arme der Wurfarm nach vorne viel mehr Kraft hat als der dann nach hinten gedrückte Abwehrarm und somit keine Hebelwirkung provoziert. Im heutigen Alltag aber können Außenspieler mit Ballbesitz riesige Räume für sich in Anspruch nehmen, während die Abwehrspieler nur noch zuschauen dürfen. Das mutet mehr als sonderbar an. Mehr noch: es konterkariert das Abwehrspiel, vor allem im Vergleich zum Wirkungsradius der Verteidiger, die zentraler in der Deckung agieren und teilweise ihre Gegenspieler ohne vergleichbare Konsequenzen rabiat festklammern, niederringen, schubsen oder zu Boden reißen dürfen, wie sie es übrigens häufig mit Dainis Kristopans machen, bei dem aufgrund seiner Körpergröße offenbar mehr erlaubt ist als bei anderen.
Genug solcher Regeländerungen bzw. -Auslegungen im Handball, der diesbezüglich bei den Ballsportarten Vorreiter sein dürfte – was in diesem Fall nichts ist, wofür man sich auf die Schultern klopfen sollte. Mehr Spielerinnen und Spieler frisch vom Leistungshandball hinein in die Funktionärspositionen dieser Sportart – das würde zweifellos zielführender sein als der Hang, unseren Sport immer weiter zu ‚modifizieren‘, auch mit Hilfe ständiger Updates des Regelwerkes. Zumal: Den aktiven Schiedsrichtern, die zwangsläufig schon mit der permanent missachteten Schrittregel überfordert scheinen, tut man damit auch keinen Gefallen.
Schon Anfang der 70-ger Jahre hatte ich als Trainer des damaligen Oberligisten TuSpo Nürnberg in der Vorbereitung zwei Tage jenen für uns in der Liga zuständigen Schiedsrichterkreis zum gemeinsamen Training eingeladen, um live auf dem Feld Alltagsstrittigkeiten ebenso wie diffizile Differenzen auszutauschen, was durchweg Zustimmung bei allen Beteiligten fand. Spätestens da aber wurde mir klar, dass es für die Qualität einer Schiedsrichterleistung fast unabdingbar ist, selber zuvor höherklassig gespielt zu haben. Es ist heute so wie damals: Nur wer selbst im Brennpunkt des Geschehens war, kann in Sekundenbruchteilen ‚spüren‘, was gerade passierte, egal ob beispielsweise Schrittfehler, Stürmerfoul, Torwurf nach Berühren des Kreises wie bei heute ca. 30% aller nicht geahndeten Kreisläufertore usw., und eben dieses Gespür ist es dann, welches einem die innere Sicherheit gibt, auch in schwierigsten Situationen richtig zu entscheiden.
Dass in Jens Vortmann nun ausgerechnet ein Torwart den Schritt vom Handballprofi zum Schiedsrichter unternimmt, ist ermutigend und ein Anfang – aber es wäre wünschenswert, dass ihm auch etliche ehemalige Feldspieler folgen. Nochmals: Die haben das Gespür, das Auge und die Erfahrung, was im Detail situativ geschieht, wo sie hinschauen müssen. Kein Theoretiker kann da mithalten.
Wenn ich meine rund 55 Jahre als aktiver Spieler und Trainer sowie nachfolgend großer Fan dieser rasanten Sportart Revue passieren lasse, muss ich feststellen, dass wir zumindest in meinem Wirkungskreis stets von engagierten Unparteiischen begleitet wurden, die ebenso wie wir bestrebt waren ihr Bestes zu geben. Selbst hitzige Partien, seien es Derbys oder aber Endspiele um die Deutsche Meisterschaft gewesen, wurden meist souverän und gleichzeitig unprätentiös geleitet.
Doch unser Spiel vollzog natürlich einen Wandel, wurde immer schneller, athletischer und technisch raffinierter, von einst zwei- bis dreimal Training pro Woche war man rasch bei täglichem Training angelangt – jedenfalls die Aktiven am Ball, während jene mit der Pfeife diesbezüglich mühsam Schritt halten konnten. Und dies obwohl man inzwischen bestrebt war, einen regulären Verlauf mit dem Einsatz von Schiedsrichterpaaren zu gewährleisten. Rasch zeigte es sich aber, dass selbst die bestmöglichen
theoretischen Errungenschaften und zig Lehrgänge in Sachen Regelkunde und Spielleitung vermehrte Meinungsverschiedenheiten nicht mehr aufhalten konnten.
Da ich davon ausgehe, dass unverändert auch heute sowohl die Verbandsverantwortlichen, die Schiedsrichter als auch die Spieler und Vereine um ein faires Miteinander bemüht sind, stellt sich die Frage, wie man zu der im Handball Jahrzehnte lang praktizierten Partnerschaft unter Berücksichtigung von Kommerz und öffentlicher Wahrnehmung zurückfindet.

Ex-Nationalspieler und Bundesligacoach Volker Schneller (©Privat)
Mir ist bewusst, dass höherklassige Spieler nach ca. 20 aktiven Jahren für die Schiedsrichteraufgaben kaum zu rekrutieren sind, zumal nicht für „‘nen Appel und‘n Ei" und nicht mit jahrelanger Qualifikation in niederklassigen Gefilden, doch man wird nicht umhinkommen, diesen Weg unter Einbindung von Sonderrechten wie zeitliche Bevorzugung beim Erwerb der Lizenzen auszuloten. Denn: Hautnahe Erfahrung kann nicht durch ein Lehrbuch ersetzt werden und die Aussicht, relativ schnell auch höherklassig pfeifen zu dürfen, könnte ein echter Anreiz sein für jene, die diesem herrlichen Sport auch über die aktive Laufbahn hinaus erhalten bleiben möchten.
Und im Interesse aller ist ferner zu hoffen, dass unser Sport in nächster Zeit angesichts der Neuerungen wie dem aus meiner Sicht zurecht ziemlich umstrittenen siebten Feldspieler, der schnellen Mitte, die in jedem Spiel gefühlt mehrfach nicht regelkonform ausgeführt wird, sowie der neuen Regelauslegung auf den Außenpositionen nicht völlig aus der Balance gerät. Für mich als ehemaliger Außenspieler erfolgen dort vermehrt willkürlich oder schlicht falsche Foulpfiffe, die dem Abwehrspieler keine reale Chance lassen, seinen Raum zu verteidigen – vor allem im Vergleich zu den bisweilen Ringkämpfen ähnelnden Szenen im Deckungszentrum.
Unser damaliger Bundestrainer Werner Vick ordnete an, beim Pass auf den Eckenaußen möglichst nahe diesem zugewandt fest zu stehen und den jeweils eigenen äußeren Arm gerade hochgestreckt zu halten, um den Gegner dann eine breitest mögliche Körperfront entgegen zu stellen. Die Gefahr diesen zum Beispiel im Sprung an der Wurfhand zu verletzen, ist so schon anatomisch fast nicht möglich, da bei einer Berührung beider Arme der Wurfarm nach vorne viel mehr Kraft hat als der dann nach hinten gedrückte Abwehrarm und somit keine Hebelwirkung provoziert. Im heutigen Alltag aber können Außenspieler mit Ballbesitz riesige Räume für sich in Anspruch nehmen, während die Abwehrspieler nur noch zuschauen dürfen. Das mutet mehr als sonderbar an. Mehr noch: es konterkariert das Abwehrspiel, vor allem im Vergleich zum Wirkungsradius der Verteidiger, die zentraler in der Deckung agieren und teilweise ihre Gegenspieler ohne vergleichbare Konsequenzen rabiat festklammern, niederringen, schubsen oder zu Boden reißen dürfen, wie sie es übrigens häufig mit Dainis Kristopans machen, bei dem aufgrund seiner Körpergröße offenbar mehr erlaubt ist als bei anderen.
Genug solcher Regeländerungen bzw. -Auslegungen im Handball, der diesbezüglich bei den Ballsportarten Vorreiter sein dürfte – was in diesem Fall nichts ist, wofür man sich auf die Schultern klopfen sollte. Mehr Spielerinnen und Spieler frisch vom Leistungshandball hinein in die Funktionärspositionen dieser Sportart – das würde zweifellos zielführender sein als der Hang, unseren Sport immer weiter zu ‚modifizieren‘, auch mit Hilfe ständiger Updates des Regelwerkes. Zumal: Den aktiven Schiedsrichtern, die zwangsläufig schon mit der permanent missachteten Schrittregel überfordert scheinen, tut man damit auch keinen Gefallen.
Schon Anfang der 70-ger Jahre hatte ich als Trainer des damaligen Oberligisten TuSpo Nürnberg in der Vorbereitung zwei Tage jenen für uns in der Liga zuständigen Schiedsrichterkreis zum gemeinsamen Training eingeladen, um live auf dem Feld Alltagsstrittigkeiten ebenso wie diffizile Differenzen auszutauschen, was durchweg Zustimmung bei allen Beteiligten fand. Spätestens da aber wurde mir klar, dass es für die Qualität einer Schiedsrichterleistung fast unabdingbar ist, selber zuvor höherklassig gespielt zu haben. Es ist heute so wie damals: Nur wer selbst im Brennpunkt des Geschehens war, kann in Sekundenbruchteilen ‚spüren‘, was gerade passierte, egal ob beispielsweise Schrittfehler, Stürmerfoul, Torwurf nach Berühren des Kreises wie bei heute ca. 30% aller nicht geahndeten Kreisläufertore usw., und eben dieses Gespür ist es dann, welches einem die innere Sicherheit gibt, auch in schwierigsten Situationen richtig zu entscheiden.
Dass in Jens Vortmann nun ausgerechnet ein Torwart den Schritt vom Handballprofi zum Schiedsrichter unternimmt, ist ermutigend und ein Anfang – aber es wäre wünschenswert, dass ihm auch etliche ehemalige Feldspieler folgen. Nochmals: Die haben das Gespür, das Auge und die Erfahrung, was im Detail situativ geschieht, wo sie hinschauen müssen. Kein Theoretiker kann da mithalten.