Energiebilanz oder Kalorienlüge? – Antwort auf Leserkritik istockphoto.com/Alija

Energiebilanz oder Kalorienlüge? – Antwort auf Leserkritik

  • Christian Riedel
Wir nehmen unsere Leser ernst, deshalb antworten wir auf Leserkritik. In diesem Fall geht es um den Beitrag „Energiebilanz ist irrelevant - die Kalorienlüge“. Ein Kommentar von Jörg Birkel.

Zugegeben, der Titel Energiebilanz ist irrelevant – die Kalorienlüge ist vielleicht etwas provokant gewählt, aber er trifft meine Meinung im Kern. In punkto Ernährung gehen die Meinungen aber offensichtlich auseinander. Deshalb freue ich mich besonders über den Verweis eines Lesers auf den Spiegelbeitrag "Friss die Hälfte" ist die beste Diät. Dieser war, um ehrlich zu sein, der Auslöser für diesen Beitrag hier.

Warum? Ganz einfach, weil ich bezüglich der Auswertung der Studienergebnisse anderer Meinung bin. Das möchte ich hier kurz begründen: Die genannte Studie vergleicht Probanden, die sich an vier relativ strikte Diäten halten sollten, die eines gemeinsam hatten: die Kalorienzufuhr und bestimmte Lebensmittel (Kohlenhydrate, Fette, Proteine) zu begrenzen. Das "sensationelle" und eigentlich zu erwartende Ergebnis:

1. Der Diäterfolg war bescheiden: Nach einem halben Jahr verloren die Probanden rund 4kg Fett und rund 2kg übrige Körpermasse (also vor allem Muskeln!!!). Weniger Muskeln führen aber geradewegs in den Jojo-Effekt. Der Verlust von Muskelmasse reduziert nämlich den Grundumsatz und sollte in jeder Diätform vermieden werden.

2. Die Probanden waren zu blöd, sich an die Diätkonzepte zu halten und haben am Ende alle ein ähnliches Ernährungsverhalten gezeigt. Toll.

3. Nach zwei Jahren betrug der Gewichtsverlust nur noch 3,6kg. Den Anteil an Muskelmasse haben die Forscher wohl gar nicht erst publiziert.

Daraus leiten die besagten Forscher dann ab, dass die Energiebilanz einzig entscheidend sei! Diese Schlussfolgerung finde ich wiederum fraglich. Folglich könnte ich mich ja auch von Zuckerwasser ernähren, statt Obst und Gemüse zu essen. Unterm Strich bleibt die Bilanz ja gleich, wenn ich dafür an anderer Seite spare! Viel schlimmer finde ich aber, dass in einem anderen Beitrag im gleichen Magazin (den Link finde ich leider nicht mehr) ein deutscher Arzt sagt, man könne ruhig eine Tafel Schokolade am Tag essen, sofern die Bilanz stimmt!

Energie und mehr


Unsere Nahrung hat doch nicht nur die Aufgabe, Energie zu liefern! Die vielen Nährstoffe, die wir täglich aufnehmen, erfüllen doch auch eine Vielzahl von Funktionen im Körper. Eine einseitige, lediglich auf die Energiebilanz abgestimmte Diät birgt jedoch die Gefahr von Nährstoffmangel! Für diese schlichte Logik brauche ich hoffentlich gerade keine Studie anzuführen.

Eine ausgewogene Ernährung, bei der möglichst viele/alle Nahrungsmittel Berücksichtigung finden, ist wohl auch allgemein akzeptiert und wird sogar von der DGE empfohlen. Worum es mir jedoch ging, war, darauf hinzuweisen, dass ein schlichtes Festhalten an althergebrachten Mustern das Adipositas-Problem in westlichen Industrienationen kaum lösen wird. Schließlich haben uns die Ernährungsempfehlungen der letzten 50 Jahre ja erst in diese Situation geführt.

Fett ist nicht gleich Fett


Die einfache Logik, dass Fett fett mache, war auch zu verlockend. Schließlich hat Fett ja doppelt so viele Kalorien wie Kohlenhydrate und außerdem müsste der Nährstoff ja nicht erst umgewandelt werden. So einfach funktioniert unser Körper allerdings nicht. Der Mensch ist kein Verbrennungsmotor à la Otto oder Wankel, sondern ein komplexes Konstrukt, das Energie nicht nur wesentlich effizienter verwertet als ein Auto, sondern noch dazu in der Lage ist, sich selbst zu reparieren!

Für Erhalt, Regeneration und Anpassung unseres Organismus benötigen wir Baumaterial in Form von Eiweiß. Die darin enthaltenen Aminosäuren werden in erster Linie dafür benötigt, bestehendes Gewebe zu erhalten, neues Gewebe auszubilden oder das Immunsystem zu stärken. Folglich kann man die über Proteine zugeführten Kalorien nicht einfach in die Energiebilanz einrechnen.

Kalorien zählen im Labor


Ein weiteres Problem liegt in der Maßeinheit Kalorien selbst. Der kalorische Gehalt von Lebensmitteln wird im Labor ermittelt. Dazu werden Lebensmittel in einem Kalorimeter vollständig verbrannt und die dadurch freigesetzte Energie gemessen. Im Mensch kommt es dagegen nicht zu einer so vollständigen Verbrennung aller aufgenommen Nahrungsmittel (siehe Eiweiß), sondern ein Teil wird unverdaut wieder ausgeschieden.

Diesen Verdauungsverlust kann man kaum korrekt messen (oder es wurde bisher nicht gemacht.) Kot verbrennen ist offensichtlich keine so reizvolle Aufgabe für Biochemiker und Oecotrophologen. Deshalb wird er einfach geschätzt. Die daraus resultierende Ungenauigkeit liefert ein weiteres Argument dafür, mit der Kalorienzählerei endlich aufzuhören. Schließlich kann man nicht genau bestimmen, wie viele Kalorien wir dem Körper tatsächlich mit jeder Mahlzeit zuführen.

Verschiedene Diätkonzepte, das gleiche Ergebnis


Viel entscheidender ist also nicht was wir essen, sondern was wir verdauen. Neben dem Verdauungsverlust spielt dabei die Zusammensetzung der Lebensmittel eine entscheidende Rolle. Leider kann man bei vielen Mahlzeiten nur grob schätzen, wie viele Kalorien man möglicherweise damit zu sich nimmt und noch viel gröber, wie viele Kalorien man davon tatsächlich während des Verdauungsprozesses aufnimmt. Zudem schwankt die Zusammensetzung unserer Lebensmittel. Alles in allem halte ich Diätkonzepte, die auf bloße Kalorien-Zählerei und -Reduzierung beruhen, daher für ungeeignet.

Damit will ich aber nicht grundsätzlich behaupten, dass man so viel essen kann, wie man will, ohne Konsequenzen zu fürchten. Es geht mir lediglich um das Thema Kalorien als Maßeinheit für eine erfolgreiche Diät.

Statt sich mit dem Energiegehalt von Lebensmitteln zu beschäftigen und komplizierte Konzepte zu verfolgen, die „so das Ergebnis der Forschergruppe um George Bray vom Pennington Biomedical Research Center in Baton Rouge“, am Ende selten von den Diätwilligen eingehalten werden, plädiere ich für eine bewusste Ernährung.

Was wirklich hilft


Weniger Alkohol, weniger Zucker, weniger industriell gefertigte Produkte und stattdessen ein Zurückbesinnen auf natürliche Lebensmittel, die man im Idealfall selber zubereitet, ist die beste und langfristig einzig funktionierende Diät. Die bewusste und ausgewogene Ernährung führt nämlich langfristig zu einer ausgewogenen Energiebilanz, weil der Körper einem die entsprechenden Signale gibt. Dafür muss man am Ende keine Kalorien zählen und sich auch nicht selbst kasteien.

In Kombination mit einem gesunden Maß an Bewegung sind dann auch ein Glas Rotwein, ein Stück Schokolade oder ein Eis als Nachtisch kein Problem mehr für die Figur. Auch dafür brauche ich keine Studien, sondern kann es selber ausprobieren.

Übrigens: Die Studie, die im Beitrag die Kalorienlüge erwähnt wird, hat Dariush Mozaffarian von der Havard Medical School durchgeführt. Untersucht wurden Datensätze von 98.320 Frauen und 22.557 Männern. Die Daten umfassen Ernährungsprotokolle aus 20 Jahren.Über diesen Link kommst Du zur Studie.

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