Studie belegt: Gewicht allein führt im Skispringen nicht zum Erfolg Shutterstock.com/Andrey Yurlov

Studie belegt: Gewicht allein führt im Skispringen nicht zum Erfolg

  • Stefan Petri
Für großes Aufsehen sorgte vor ein paar Tagen eine Studie der EBS Business School in Wiesbaden. Diese untersuchte die Entwicklung des BMI der Skispringer seit der Reglementierung 2004 und zeigte gleichzeitig anhand der Wettkampfergebnisse der letzten zehn Jahre auf, dass ein niedriges Gewicht der Springer nicht automatisch bessere Ergebnisse mit sich bringt. Der Herausgeber der Studie, Prof. Dr. Sascha Schmidt, stellte sich unseren Fragen.

Jetzt hat man es Schwarz auf Weiß: Skispringen wird nicht nur durch das Gewicht entschieden. Damit hat die EBS sicherlich nicht nur den einen oder anderen Zuschauer am Fernsehen überrascht, der Martin Schmitt oder Sven Hannawald vor ihren Sprüngen gerne ein saftiges Steak angeboten hätte, damit sie nicht vom Fleisch fallen.

Nein, auch die Springer selbst dürften letztendlich über die Folgen ihrer Hungerkuren erstaunt sein. Denn weiter sind sie durch diese nicht wirklich gesprungen, besagt die neue Studie von Prof. Dr. Schmidt. Er hat die Weltcups der letzten zehn Jahre analysiert und kommt zu dem Ergebnis, dass die extrem leichten Springer im Schnitt nicht weiter geflogen sind als andere.

BMI-Regelung trägt Früchte

Außerdem sei das Gewicht der Springer durch den mittlerweile vorgegebenen BMI innerhalb der letzten sieben Jahre stetig angestiegen, die extrem leichten Springer dadurch aus den Wettbewerben verschwunden. Und zu guter Letzt geht aus der Studie hervor, dass Springer mit höherem BMI auch bei den Fans die besten Karten hätten – also noch mehr Motivation für die Springer, mit der Kalorienaufnahme nicht ganz so streng zu sein, wie noch vor ein paar Jahren.

Placebo-Effekt, aber auch mehr Spielraum

Diplom-Betriebswirtin Verena Jung vom EBS, die ebenfalls an der Studie mitgearbeitet hat, kann die Überraschung der Athleten über die Ergebnisse bestätigen. Es sei allerdings auch für sie nachvollziehbar, da z.B. Thomas Morgenstern, der überragende Springer des letzten Winters, ein athletischer Springertyp mit einem relativ hohen BMI ist.

Warum also Hungern? Ein langjähriger Springer erklärte gegenüber Jung, dass er persönlich das Gefühl habe, bei weniger Gewicht einen größeren „Fehlerkorridor“ im Sprung zu haben. Ein größeres Gewicht dagegen verzeihe einfach weniger Fehler. In solchen Fällen - wobei die Eindrücke des Springers nicht belegbar sind – ist ein niedriger BMI nachvollziehbar. Jung schließt aber auch einen simplen Placebo-Effekt nicht aus: Wer daran glaubt, mit wenig Gewicht größere Weiten erzielen zu können, schafft es dann auch.

 

Interview mit dem Herausgeber der Studie

Im Interview mit netzathleten.de sprach Prof. Dr. Schmidt über die Erkenntnisse aus seiner Studie (einzusehen ist sie hier):

Ihre Studie belegt, dass die Springer nicht aufgrund ihres Gewichtes gewinnen oder verlieren. Kann man das so sagen?

Prof. Dr. Sascha Schmidt: Gewicht spielt natürlich schon eine Rolle beim Springen. Es ist ja nicht so, dass überhaupt kein Effekt davon ausgeht. Am Ergebnis unserer Studie war aber interessant, dass man nicht allein durch den Windkanal oder die Computersimulation die Komplexität des Springens, so wie es dann im Wettkampf stattfindet, begreifen kann. Sonst hätte ja dieser monokausale Zusammenhang „weniger Gewicht führt immer zu größerer Weite“ aus den Wettkampfdaten hervorgehen müssen.

Wieso nehmen Springer dann so ab?

Prof. Dr. Sascha Schmidt: Sicherlich wurde das Gewicht überbewertet. Die BMI-Regel wurde ja schon vor sieben Jahren eingeführt. In der Zwischenzeit hat sich natürlich einiges getan, was weitere Verfeinerung der Technik angeht, was das Material angeht, Anzüge, Bindung, die Ski an sich. Es sind andere Faktoren wichtiger geworden als damals.

Aber damals wurde dieser Zusammenhang von Gewichtsverlust und Weite natürlich unterstützt durch die Ergebnisse aus dem Windkanal und aus Computersimulationen - und dann vielleicht subjektiv höher eingeschätzt als er letztendlich war.
Das heißt nicht, dass dadurch die Windkanal- und Computersimulationen falsch sind. Es heißt nur, dass sich Ergebnisse aus dem Labor und aus der „freien Wildbahn“ unterscheiden. Im Wettkampf sind Faktoren, die auf Skisprung und gesprungene Weite einwirken, ziemlich vielschichtig. Man kann nicht einfach sagen: Weniger Gewicht führt zu mehr Weite.

Dennoch haben die Springer in der Regel immer stark abgenommen. Haben sie sich dadurch vielleicht besser gefühlt? Dachten sie, dass sie weiter springen, obwohl sie es gar nicht taten?

Prof. Dr. Sascha Schmidt: Das ist natürlich eine Mutmaßung. Sehr viel hängt von der psychologischen Verfassung eines Springers ab. Und wenn ihm persönlich eine Gewichtsreduktion größere Sicherheit gibt oder sich positiv auf seine psychologische Verfassung auswirkt, dann wird das auch für ihn einen subjektiv positiven Einfluss haben.

Gab es deswegen auch Protest von einigen Springern gegen die neue Regel (den BMI noch einen halben Punkt höher zu setzen)? Andreas Goldberger zum Beispiel hält sie für sinnlos.
("Die Spitzenleute im Weltcup werden alle mit einer fixen Stab-Bindung springen, da es dort keine fixe Reglementierung gibt. […] Durch die flache Skiführung springt inzwischen jeder einen kürzeren Ski, kann also auch mit dem Körpergewicht jonglieren", sagte Ex-Springer Andreas Goldberger (Österreich) dem Internetportal sport10.at: "Ich würde wetten, dass von den 30 Topspringern im Weltcup höchstens fünf mit der maximalen Skilänge springen. Diese Situation müsste einem zu denken geben. […]Im Endeffekt hat die Hebung des BMI nichts gebracht, wenn die Bestrafung durch die Kürzung der Ski so gering ist. Da kann man sich sagen: 'OK, ich habe zwei Kilo weniger, dann springe ich eben mit einem drei Zentimeter kürzeren Ski.'")

Prof. Dr. Sascha Schmidt: Man muss natürlich schauen, in welchem Zusammenhang sie [die protestierenden Springer] das sagen. Das Goldberger-Zitat wurde in Zusammenhang mit der Bindung gemacht. Er meinte, dass der Effekt der Bindung so hoch sei, dass selbst die verkürzten Ski kein richtiger Nachteil mehr sind. In der Kombination mit den neuen Bindungen ist die Länge der Ski gar nicht mehr so entscheidend. Man kann also ruhig bestraft werden, wenn man zu dünn ist, weil es im Endeffekt andere Einflüsse gibt, die stärker sind. Darauf bezog er sich.

Das ist kein Gegensatz. Es zeigt einfach diesen komplexen Zusammenhang zwischen Bindung, Flugverhalten, psychologischer Verfassung des Springers, den Windverhältnissen, Absprungluke, Schanzenbeschaffenheit, usw. Das macht die Sportart auch so interessant. Wenn man alles im Windkanal oder per Computersimulation abbilden könnte, wäre der Wettkampf relativ uninteressant. Man könnte bereits schon vorher sagen, wer gewinnen wird.

Der BMI für die maximale Skilänge steht jetzt bei mindestens 21. Wird das so bleiben, oder wird es weiter regelmäßige Änderungen geben? (Zum Vergleich: Thomas Morgenstern, der Titelverteidiger des Gesamtweltcups und der Vierschanzentournee, gibt bei 1,84m Größe ein Gewicht von 68kg an. Das entspräche einem BMI von 20,1.)

Prof. Dr. Sascha Schmidt: Ich glaube nicht, dass das jetzt Jahr für Jahr so weitergehen wird. Aus Sicht des Verbandes ist es wichtig, dass die Springer einen gesunden BMI aufweisen, damit es kein Problem mehr mit dem Thema „Magersucht“ gibt, weil die Springer zu leicht sind. Das wollte der Verband mit der Regel erreichen, und das hat er ja effektiv auch geschafft. Sie haben ihr Ziel erreicht, aber ohne einen negativen Effekt auf den Wettkampf. Das ist für mich das Spannende an der Geschichte.

Wissen Sie, ob die Springer aufgrund des neuen BMI ihre Ernährung umgestellt haben?

Prof. Dr. Sascha Schmidt: Wir haben mit einigen Springern gesprochen und auch Zitate aufgenommen, aber das Thema Ernährung in dem Sinne nicht vertieft. Mein Eindruck war, dass die anderen Faktoren neben dem Gewicht wieder einen größeren Raum einnehmen. Die Frage der Athletik beschäftigt die Springer zum Beispiel heute stärker, als das in der Vergangenheit der Fall war. Rein wissenschaftlich müsste man eine Interviewserie von 2004 und eine von heute haben, um das wirklich belegen zu können. Es ist eher ein Eindruck aus meinen Gesprächen, dass heute Athletik und die technische Ausrüstung bei den Springern einen weitaus größeren Raum einnehmen als das Gewicht.

Sie haben andere Studien zitiert, die zu einem anderen Ergebnis kamen. Wie erklären Sie sich das?

Prof. Dr. Sascha Schmidt: Die Studien, auf die wir uns bezogen haben, sind Windkanalstudien und Computersimulationen. Dort wurde dieser Zusammenhang zwischen BMI und Sprungweite klar nachgewiesen, und ist so auch absolut logisch. Aus biomechanischer Sicht macht das Sinn. Wir kommen zu einem anderen Ergebnis, weil wir Wettkampfdaten analysiert und dabei eine Reihe von  Kontrollgrößen einbezogen haben, wie die Absprungluke, die Schanzenbeschaffenheit, usw. Und aus der Wettkampfanalyse zeigt sich, dass dieser Einzelzusammenhang [zwischen niedrigem Gewicht und größerer Weite] nicht mehr signifikant ist. Biomechanisch ist das eine andere Frage. Das heißt also nicht, dass die biomechanischen Studien nicht stimmen. Es gibt schon einen Zusammenhang zwischen Gewicht und Weite. Aber was den Zuschauer interessiert, ist ja das, was im Wettkampf letztendlich gesprungen wird.

Sie haben auch untersucht, welche Springer am beliebtesten sind. Gibt es da Verbindungen zum BMI?

Prof. Dr. Sascha Schmidt: Gregor Schlierenzauer, der in unserer Umfrage der beliebteste Athlet unter den Fans ist, hat einen überdurchschnittlich hohen BMI. Man sieht insgesamt schon die Tendenz, dass die athletischen Springer, die einen höheren BMI aufweisen, bei den Fans besser ankommen.

Herr Professor Dr. Schmidt, wir bedanken uns für das Gespräch.

Prof. Dr. Sascha Schmidt

Kontakt

Copyright © 2017 netzathleten