Interview mit Extremkletterer Stefan Glowacz istockphoto.com/syagci; Glowacz' letzte Expedition: Der Fitz Roy in Patagonien (Argentinien)

Interview mit Extremkletterer Stefan Glowacz

  • Nils Borgstedt
Stefan Glowacz ist einer der bekanntesten deutschen Extremkletterer und eine feste Größe in der internationalen Kletterszene. Wir haben uns mit Glowacz über seine Motivation, den „Kick“ und warum er nie ans Ziel kommt, unterhalten.

Stefan Glowacz ist Extremkletterer, Motivationscoach und erfolgreicher Unternehmer. Bei unserem Interview mit ihm haben wir unseren Fokus auf seine extremen Expeditionen und seine Erfahrungen als Kletterer gerichtet.

Netzathleten: Hallo Stefan. Zum Einstieg eine Frage, die Du bestimmt schon sehr oft gehört hast: Wie bist Du zum Klettern und Bergsteigen gekommen?
Stefan Glowacz: Eigentlich über meine Eltern. Die sind extra zum Bergsteigen aus dem Norden nach Garmisch gezogen und haben diese Bergbegeisterung auch uns Kindern vermittelt; vor allem meiner Schwester und mir. Irgendwann reichte mir das Bergwandern, das sie betrieben haben, einfach nicht mehr. Ich habe mit Eisklettern angefangen, was mir allerdings nicht so gefallen hat. Als ich dann einen Felskurs gemacht habe, habe ich gemerkt, dass ist genau das, was ich machen will und was ich mir vorgestellt habe.

Netzathleten: Neben dem Klettern hältst Du auch regelmäßig Vorträge über Deine Expeditionen. So zum Beispiel vor der WM 2006 vor der Deutschen Fußballnationalmannschaft. Was versuchst Du anderen Sportlern – und auch Managern – zu vermitteln?
Stefan Glowacz: Es geht erst einmal um die Frage, warum ich diese Expedition, die Unternehmung, eigentlich mache und wie ich meine Aufgabe sehe. Bei der Fußballweltmeisterschaft war es für die Nationalspieler sehr ähnlich wie bei einer Expedition. Du hast einen Berg vor dir, den du besteigen möchtest. Man bereitet sich intensiv auf diese Aufgabe vor und hat natürlich bei einer solchen Expedition entsprechende Abschnitte, die man absolvieren muss bevor man an den nächsten Abschnitt denken kann. Und so baut sich ja auch mehr oder weniger ein WM-Turnier auf. Du konzentrierst dich im Grunde immer von einem Spiel auf das nächste und eigentlich ist jedes Spiel schon ein Endspiel, weil du es gewinnen musst. Genauso ist es bei einer Expedition im Grunde auch. Es dürfen keine Fehler unterlaufen, jeder Abschnitt ist genauso wichtig, wie der Gipfelgang selber. Wie man sieht sind da also ganz viele Parallelen verankert, die aber auch auf den Wirtschaftsbereich übertragen werden können.

Netzathleten: Braucht man ab einem bestimmten Level den Kick, mit dem Tod zu spielen?
Stefan Glowacz: Nein, braucht man nicht. Das ist so ein Vorurteil, das natürlich auch von bestimmten Profi-Kletterern bedient wird. Genau diese Sensation ist es ja, die sich in der breiten Öffentlichkeit am leichtesten verkaufen lässt. Auch das Free-Solo, also das seilfreie Klettern, lässt sich natürlich besser vermarkten, als eine Expedition an einen Berg, den eigentlich gar keiner kennt. Dadurch entsteht ein wenig die Problematik, dass das Bergsteigen öffentlich in einer nicht ganz richtigen Art dargestellt wird. Wir Kletterer haben in keinster Weise eine Todessehnsucht oder müssen jeden Tag „on the edge“ sein, damit unsere Glückshormone ausgeschüttet werden. Im Gegenteil! Wir lieben das Leben, um eben auch noch möglichst lange das machen zu können, was unsere größte Leidenschaft ist. Es ist aber auch vollkommen klar und uns allen bewusst, dass bestimmte Berge und Routen beziehungsweise das Bergsteigen allgemein auch mal gefährlich sein kann. Aber nur insofern gefährlich, wenn man sich nicht richtig darauf vorbereitet – nicht nur körperlich, sondern auch mental. Wir versuchen immer, das Risiko so gering wie möglich zu halten. Trotzdem bleibt aber ein Restrisiko bestehen. Häufig wird es in der Öffentlichkeit so dargestellt, dass wir Kletterer immer dort durch gehen, wo der Feind am dichtesten steht, also das größte Risiko zu erwarten ist. Genau das Gegenteil ist aber der Fall. Genau das ist es, was wir umgehen möchten.


Netzathleten: Ist die Natur für Dich eher Freund oder Feind? Es kann ja doch einiges passieren, seien es Wetterumschwünge, abbrechende Felsbrocken…
Stefan Glowacz: Ich denke, wer die Natur als Feind sieht, der lebt nicht lange. Ich bin eigentlich, und das stelle ich bei den Expeditionen immer wieder fest, nur Spielball der Natur. Ich bin derjenige, der genau herausfinden muss, wann ich weiter gehen kann und wann ich mich eingraben muss, weil die Witterungsverhältnisse einfach nicht passend sind. Das heißt im Klartext, ich muss mich auf die Natur einstellen und nicht umgekehrt. Andersherum würde das auch nie funktionieren. Zum Bergsteigen braucht man eine gewisse Demut. Man muss auch umkehren können. Ich muss akzeptieren können, dass auch mal nicht die idealen Voraussetzungen herrschen. Wenn ich nach Patagonien fahre und ich sehe, dass viel zu viel Schnee liegt, dann muss ich eben etwas anderes machen. Ich kann beim Bergsteigen nichts erzwingen und wer das versucht, der geht natürlich ein extrem hohes Risiko ein.

Netzathleten: Bist Du süchtig nach Extremen?
Stefan Glowacz: Süchtig – ich mag dieses Wort überhaupt nicht gerne; von irgendwas abhängig sein. Ich meine, jeder der irgendetwas sehr intensiv betreibt, der verbindet natürlich eine Leidenschaft für das, was er tut. In meinem Fall ist es eben das Extremklettern. Was mich treibt ist sicherlich die Neugier herauszufinden, wie man sich in Extremsituationen verhält und was man in der Lage ist zu leisten. Dabei muss aber Todesgefahr keine Rolle spielen. Eine Extremsituation kann auch sein, zwei Monate auf engstem Raum in einem Team zusammenleben zu müssen. Es ist sehr interessant, sich selbst dabei zu beobachten.

Netzathleten: Welche Charaktereigenschaften muss man mitbringen, um so extreme Klettertouren meistern zu können?
Stefan Glowacz: Die wichtigste Grundvoraussetzung ist natürlich die körperliche Leistungsfähigkeit. Die muss gegeben sein, da brauchen wir gar nicht darüber reden. Vor jeder Expedition muss man ein Anforderungsprofil erstellen, um genau zu wissen, auf was man sich speziell vorbereiten muss. Was kann ich gut? Was kann ich vernachlässigen? Und was kann ich eben nicht so gut? In welchem Bereich muss ich mehr trainieren? Ich denke, ein ganz wesentlicher Faktor – und zwar in allen Bereichen – ist die mentale Leistungsfähigkeit. Ich muss mich auch schon im Vorfeld immer wieder geistig mit dem auseinandersetzen, was ich vorhabe. Man muss sich das ganze Unternehmen immer wieder Abschnitt für Abschnitt visualisieren und in Gedanken durchspielen, um sich auf die Härte, die Ausgesetztheit, die Unannehmlichkeiten vorzubereiten und sie zu erspüren. Auf der anderen Seite ist das Visualisieren ein wichtiger Schritt, um auf Gefahrensituationen zu stoßen, an die man bei der analytischen Planung noch gar nicht gedacht hat.


Netzathleten: Du hast bereits die körperliche Leistungsfähigkeit angesprochen. Du selbst bist jetzt Mitte 40. Wie hältst du Dich fit?
Stefan Glowacz: Das ist für jedes Projekt verschieden. Am 25. Februar steht schon die nächste Expedition auf dem Plan. Wir werden nach British Guiana reisen. Dort müssen wir uns den Weg durch den Urwald zu einem 900 Meter hohen Tafelberg bahnen. Diese Wände wollen wir dann auf einer neuen Route durchsteigen und dann auf Venezolanischer Seite absteigen. Ich analysiere auch dieses Projekt, schaue, was am meisten gefordert ist und bereite mich gezielt darauf vor. Klar ist aber natürlich auch, dass man solche Leistungshöhepunkte nicht mehr so lange halten kann wie mit 16 oder 20. Ich muss mich inzwischen wesentlich gezielter auf die Unternehmungen vorbereiten und immer genügend Regenerationszeit dazwischen lassen. Die Regenerationszeit wird, obwohl ich fast täglich trainiere, schon immer länger im Alter.

Netzathleten: Wie sieht so ein Training aus?
Stefan Glowacz: Momentan mache ich, wie zu jedem Jahresanfang, einen reinen Kraftblock. Ganz normales Krafttraining im Studio, um die Muskelgruppen, die beim Klettern nicht so stark beansprucht werden, also gerade die Gegenspieler, wieder zu trainieren. Auch eine gewisse Beweglichkeit muss immer wieder trainiert werden, um Verletzungen vorzubeugen. Das betrifft vor allem den Schulterbereich. In einer zweiten Phase geht’s Richtung Grundlagenausdauertraining. Im Sommer, wenn es dann wieder ans schwere Klettern geht, baue ich dann wieder kletterspezifisches Krafttraining und Schnellkrafttraining mit ein.

Netzathleten: Du hast zusammen mit Deiner Frau Drillinge, schon wieder ein Extrem, wenn auch auf eine andere Art und Weise. Wie schwer fällt es Dir, die Familie immer wieder „alleine“ zu lassen und sich auf gefährliche Expeditionen zu begeben?
Stefan Glowacz: Wir versuchen natürlich, Risiken schon im Vorfeld soweit wie möglich auszuschließen. Es ist aber auch immer eine Gratwanderung. Wenn ich längere Zeit zu Hause bin, sehne ich mich wieder nach dem Aufbrechen beziehungsweise freue mich richtig darauf. Ich bin einfach von meine Grundcharaktereigenschaften eher ein Nomade. Ich bin unheimlich gern unterwegs, bin unheimlich gern auf Reisen. Mir macht es nichts aus, wenn ich lange in einem Zelt schlafen muss oder nicht weiß, wo ich am Abend übernachten werde. Wenn man dann unterwegs ist, sieht man natürlich auch mal von außen auf seine familiäre Situation und es wird einem bewusst, wie wichtig auch dieser familiäre Rahmen ist.

Netzathleten: Wie kommt Deine Familie damit klar, dass Du immer wieder für längere Zeit nicht daheim bist?
Stefan Glowacz: Sie kennen mich ja nicht anders. Für die ist das ganz normal, dass ich dann mal wieder für eineinhalb Monate auf Expedition bin. Die gehen sicher am besten damit um, aber natürlich ist es auch schwierig. Sie wissen ja, dass das, was ich mache, nicht absolut risikolos ist. Es erfordert schon sehr viel Größe und sehr viel Toleranz, mit so jemandem wie mir zusammen zu leben.

Netzathleten: Jetzt hast Du angesprochen, dass Du Dich immer wieder nach dem Aufbruch sehnst… Nervt Dich Alltag?
Stefan Glowacz: Nein, das möchte ich überhaupt nicht sagen. Ich kann den Alltag wesentlich besser genießen, wenn ich immer wieder mehr oder weniger aus diesem Alltag ausbrechen kann. Alltag ist aber extrem wichtig. Beispielsweise, wenn man sich um die Kinder kümmert. Vor allem aber auch, wenn man ein bestimmtes Training absolvieren muss, bei dem man an einen bestimmten Ort gebunden ist, wie zum Beispiel das Krafttraining. Ohne Alltag, ohne alltägliche Strukturen, wäre so ein Training gar nicht möglich. Man muss seinen Tag planen, muss das einplanen. Ich genieße auch das sehr. Vielleicht aber auch aus dem Grund, da ich genau weiß, es geht bald wieder los.

Netzathleten: Beschreibe doch zum Abschluss bitte in fünf Stichworten den Menschen Stefan Glowacz.
Stefan Glowacz: Oh, das ist schwierig (lacht). Ungeduldig, leidenschaftlich, besessen, ehrgeizig, sehnsüchtig.

Netzathleten: Danke für das nette Gespräch, hat mir viel Spaß bereitet. Viel Erfolg für alle kommenden Expeditionen.
Stefan Glowacz: Danke, gerne.

Das Interivew führte Nils Borgstedt

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