„Klare Handlungsaufforderung für uns alle“ picture alliance / DBS
DBS-Präsident Friedhelm Julius Beucher im Interview

„Klare Handlungsaufforderung für uns alle“

  • Redaktion
Die anstehenden sportlichen Höhepunkte sowie die Themen Nachwuchsgewinnung, barrierefreie Sportstätten und die UN-Behindertenrechtskonvention – DBS-Präsident Friedhelm Julius Beucher wagt im Interview nach einem Resümee des zurückliegenden Para Super-Jahres einen Ausblick auf 2019 und die Ziele des Verbands.
Das Para Super-Jahr ist Geschichte. Wie fällt Ihr Fazit für 2018 aus?

Für den Deutschen Behindertensportverband war es ein historisches Jahr, in dem der Para Sport in Deutschland so viel Aufmerksamkeit erlangt hat, wie wohl noch nie zuvor. Das lag nicht zuletzt an den herausragenden Erfolgen bei den Paralympics in PyeongChang sowie den sportlichen Großveranstaltungen hierzulande; der Rollstuhlbasketball-WM in Hamburg und der Para Leichtathletik-EM in Berlin. Dazu kamen 32 Titel bei Welt- und Europameisterschaften sowie viele weitere Spitzenresultate. Deshalb blicken wir zufrieden und mit Stolz auf ein außergewöhnliches Jahr zurück.

Auch 2019 wird spannend. Was sind die Highlights?

Der Höhepunkt des Para Sports in Deutschland wird die Goalball-Europameisterschaft vom 8. bis 13. Oktober in Rostock, auf die wir uns schon jetzt sehr freuen. Insgesamt werden wir in 2019 über 30 Welt- und Europameisterschaften in 28 Sportarten erleben, darunter auch die Weltmeisterschaften in Para Ski alpin, Para Ski nordisch, Para Schwimmen, Para Radsport und Para Leichtathletik. In den Sommersportarten wird es zudem im Jahr vor den Paralympics in Tokio das große Kräftemessen mit der Weltspitze geben, es geht sowohl um Medaillen als auch um die Qualifikation für die Spiele. Fest steht: Wir dürfen uns auf unseren Erfolgen der Vergangenheit nicht ausruhen, sonst werden wir im Spitzensport international abgehängt. Wichtig ist darüber hinaus aber auch eine stärkere Fokussierung auf den Breitensport sowie den Nachwuchsleistungssport.

Was sind weitere Ziele in diesem Jahr?

Der paralympische Leistungssport ist sicherlich das Aushängeschild, allerdings nur die Spitze der Pyramide und eine unserer Aufgaben. Ein Blick in die Statistik stimmt uns sehr nachdenklich: Wenn fast jeder zweite Mensch mit Behinderung angibt, nie Sport zu treiben, dann können und dürfen wir uns nicht zurücklehnen. Diese Zahlen sind eine klare Handlungsaufforderung für uns alle. Es ist eine Herausforderung für die gesamte Gesellschaft und insbesondere für die deutsche Sportlandschaft, mehr Menschen mit Behinderung zum Sport zu bringen. Davon profitiert mittelfristig sicher auch der paralympische Leistungssport. Und vor allem: Bewegung fördert die Mobilität im Alltag, Sport erhöht die Lebensqualität. Für dieses große Ziel des gesamten Deutschen Behindertensportverbandes mit all seinen Mitgliedern müssen alle an einem Strang ziehen. Gemeinsam mit unseren 17 Landes- und zwei Fachverbänden wollen wir zudem den Nachwuchs begeistern, in der Breite und in der Spitze.

Dazu passt auch ein Jubiläum in 2019: Die Ratifizierung des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen durch den Deutschen Bundestag jährt sich zum zehnten Mal.

Der 26. März 2009 war mit der Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention ein bedeutender Tag. Zweifelsfrei hat sich seitdem einiges getan. Dennoch muss sich noch vieles mehr ändern, damit eine gleichberechtigte Teilhabe in der Gesellschaft Wirklichkeit wird. Unüberwindbare Hürden sind in der Praxis viel zu häufig noch Sportstätten, die nicht barrierefrei sind und somit das wohnortnahe Sporttreiben für Menschen mit Behinderung einschränken. Diese Barrieren müssen abgebaut werden: Im öffentlichen Raum, in Sportstätten – und auch in den Köpfen. Darüber dürfen wir nicht nur reden, sondern müssen handeln und Änderungen einfordern.

Welche Rolle kann bei diesen Zielen die Deutsche Paralympische Mannschaft spielen?

Eine bedeutende Rolle. Wir haben in 2018 wieder erlebt, dass bei den Paralympics, bei der Rollstuhlbasketball-WM oder bei der Para Leichtathletik-EM neben der Berichterstattung über die sportlichen Wettkämpfe auch gesellschaftliche Themen transportiert werden. Das ist doch die große Besonderheit am Para Sport: Unsere Athleten sind Vorbilder für Menschen mit und ohne Behinderung sowie Mutmacher für die Gesellschaft. Der Para Sport vereint Höchstleistungen und menschliche Botschaften. Auch dient er dazu, den Finger in die Wunde zu legen, wenn es beispielsweise um die Barrierefreiheit im öffentlichen Raum geht.

Und mit Blick auf den Nachwuchs?

Unsere Top-Athletinnen und -Athleten sind die Leuchttürme, zu denen Jungen und Mädchen mit Behinderung aufblicken, denen sie nacheifern. Ihre Lebensleistungen faszinieren, ihre sportlichen Highlights animieren junge Menschen. Auch dafür sind unsere Aushängeschilder so wichtig. Und deshalb müssen sie noch mehr ins Schaufenster der öffentlichen Wahrnehmung gerückt werden.

Wie wichtig ist dabei der deutliche Aufwuchs an Sportfördermitteln für den paralympischen Leistungssport in 2019?

Es zeigt die große Anerkennung der fantastischen Leistungen der Para Sportler und ist zugleich ein wichtiger Schritt hin zur weiteren Professionalisierung, wobei sportliche Top-Leistungen letztlich auch für öffentliche Aufmerksamkeit sorgen. Dieser in unseren Augen dringend benötigte Aufwuchs soll künftig zu einer spürbaren Verbesserung der Bedingungen für die Spitzenathleten führen. Das versetzt uns in die Lage, den Nationalmannschaften mehr Lehrgänge zu ermöglichen und endlich mehr hauptamtliches Trainerpersonal engagieren zu können. Diese Mittel sind zweckgebunden und stehen ausschließlich für den paralympischen Leistungssport zur Verfügung. Für spürbare Verbesserungen in den Bereichen Nachwuchs- und Breitensport oder öffentliche Aufmerksamkeit benötigen wir weitere Mittel – und starke Partner an unserer Seite, um den Verband zukunftsfähig aufzustellen und die sportlich und gesellschaftlich bedeutenden Ziele zu erreichen.

Was erhoffen Sie sich mit Blick auf die internationale Sportpolitik in 2019?

Dass die Glaubwürdigkeitsverluste im Sport gestoppt werden, doch dafür muss der Sport in erster Linie selbst sorgen. Mit großem Bedauern blicke ich auf den Schleuderkurs der Welt-Anti-Doping-Agentur und deren Inkonsequenz beim Durchsetzen selbst aufgestellter Regeln. Wer so handelt und Verstöße nicht konsequent ahndet, gibt sich der Beliebigkeit hin und wird zum zahnlosen Tiger. Wir werden uns hingegen auch in 2019 wieder für eine kompromisslose Anti-Doping-Politik stark machen.

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