Ljubomir Vranjes: Keine Angst vor Misserfolg SG Flensburg-Handewitt

Ljubomir Vranjes: Keine Angst vor Misserfolg

  • Redaktion
Er ist einer der angesagtesten und gefragtesten Trainer der Szene: Ljubomir Vranjes, Trainer der SG Flensburg-Handewitt. Befragt von Frank Schneller und Frank Heike, gewährt der 43-Jährige, der bei der WM in Frankreich als TV-Experte tätig ist, Einblicke in seine Gedankenwelt und seine Philosophie, die ihn zu einem außergewöhnlichen Coach macht.
Herr Vranjes, warum sieht man bei den großen Turnieren – WM, EM und Olympia – selten, wie attraktiv Handball sein kann?
Bei einer WM unmittelbar nach einem olympischen Jahr kann die Qualität nicht so hoch sein. Es gibt viel Kampf, je länger das Turnier läuft, desto mehr. Und im Endspurt ist dann alles Kampf. Also kein schöner Handball. Wer die beste Abwehr und den besten Torwart hat, wird Weltmeister. Es geht alles über die Kraft. Werbung für den Handball ist bei solchen Voraussetzungen nicht zu erwarten. Wir verlieren den attraktiven Handball ohnehin, wenn es so weiter geht. Seit Jahren gab es keine guten großen Turniere. Es ist einfach zu viel Handball – vor allem in olympischen Jahren. Wir müssten es besser steuern.

Diese Forderung scheint unerhört zu bleiben. Funktionäre setzen offenkundig oft und gerne andere Prioritäten.
Weil zu viele zu viel Geld mit Handball verdienen. Auf Kosten der Aktiven. Es kann daher auch sein, dass es bergab geht für unseren Sport.

Dann müssen die Aktiven, die Spieler und Trainer sich bemerkbarer machen.
Ich will das auch nicht so hinnehmen. Nur: Wir bestimmen ja nicht. Es gibt ja Menschen, die in diesen Fragen ihren Rat geben – aber das sind ältere Personen, die weit weg vom Handballalltag sind. Da fehlt mir die Unterstützung, auch von der HBL. Die Belastung für Kiel, Löwen, Flensburg ist beispielsweise einfach zu hoch. Wir sprechen so lange drüber, es ändert sich nur nichts. Wenn ich nicht Trainer wäre, hätte ich mich mit Belastung beschäftigt. Ich hätte eine Beratungsagentur gegründet.

Sie als Unternehmensberater für Handball?
Ja, so ungefähr. Ich habe noch so viele Ideen! Auch für Schiedsrichter. Die Schiris haben keine Hilfe außerhalb des Feldes. Ich habe oft überlegt: Lasst sie doch Hilfe von außen kriegen bei strittigen Szenen!

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©Frank Molter

Was halten Sie vom Ansatz, ehemalige, hochklassige Spieler zu Unparteiischen auszubilden?
Das wäre auch interessant – und gut. Aber das müsste dann in einem, ich will mal sagen: geordneten Schnellverfahren, und zu anderen finanziellen Bedingungen, stattfinden. Die Ex-Profis dürften nicht jahrelang untere Klassen durchwandern. Sie müssten Quereinsteiger sein. Ich war ja selbst Spieler und kann viele Szenen instinktiv sicher besser beurteilen, auch spontan, als Schiedsrichter ohne hochklassige, aktive Erfahrung. Die erkennen eben nicht, dass manche Bewegungsabläufe bis zum Torwurf gar nicht ohne Schrittfehler möglich sind. Ich schon. Ich habe diese Bewegungen ja selbst ausgeführt.

Wie gefällt Ihnen die neue Regel mit dem zusätzlichen Feldspieler?
Ich mag die Regel nicht. Aber andere benutzen den siebten Feldspieler – und sie machen das gut. Vor allem Mannschaften aus dem unteren Tabellenbereich. Sie spielen sieben gegen sechs und haben dann eine Chance. Für die kleinen Klubs ist es super. Aber für den Handball ist es Mist. Ich hätte fünf Spieler gemacht statt sieben! Dann wäre mehr Platz, dann wäre das Spiel interessanter, mehr Tempo, schönere Tore, mehr Einzelaktionen. Die neue Regel macht Handball langsam und statisch. Der lange Wurf des Torwarts ins Tor ist kein Handball. Das ist doch nicht schön. Ich bin nicht dafür. Aber ich kann ja nicht die Regeln ändern.

Frage an den Trainer – und an den ‚Consultant’ in spe: Ist der Handball zu hart, zu brutal geworden?
Das Spiel hat sich enorm entwickelt. Es spielen große, schnelle, impulsive Zwei-Meter-Männer. Unser kommender Neuzugang Magnus Röd hat erst mit zwölf Jahren Handball gespielt, weil seine Eltern fanden, Handball sei zu brutal. Das muss man ja manchmal auch echt zugeben. Einige Teams definieren sich über die Härte. Das tut schon manchmal weh. Aber das ist ja auch reizvoll, dagegen muss ich mir als Trainer etwas einfallen lassen. Ein eigenes, anderes Konzept entwickeln. Auch mit Blick auf den Nachwuchs. Auf die Talente.

Was zählt für Sie mehr: Talent oder Charakter?
Bei jungen, neuen Spielern gehe ich zunächst einmal vom Charakter aus. Und dann erst von den Fähigkeiten.

In Flensburg gibt es inzwischen auch eine moderne Akademie für den Nachwuchs. Wie eng haben Sie mit dieser Einrichtung und ihren Verantwortlichen bisher zusammen gearbeitet?
Mit der Akademie haben wir im Sommer 2016 angefangen zu kooperieren. Das war ein Meilenstein in der Zeit seit ich hier bin. Ich habe ihnen Richtlinien aufgezeigt, oder sagen wir: vorgeschlagen, und jetzt verfolgen sie die seit rund einem halben Jahr. Man sieht eine Richtung. Jede Mannschaft von der C-Jugend bis zum Juniorteam hat nun die gleiche Strategie. Das ist das erste Mal! Ich frage Sie mal: Wie viele Bundesligatrainer auf diesem Niveau kümmern sich so um den Nachwuchs? Keiner, denn keiner nimmt sich die Zeit.

Warum Sie? Sie sollen doch als Coach einer Spitzenmannschaft Titel holen. Wie kann man da noch Ausbildungstrainer sein?
Ich glaube nicht, dass ich den Weg anderer Spitzenteams gehen und nur fertige Spieler kaufen würde, selbst wenn das Geld dafür da ist. Ich glaube an den Flensburger Weg. An meinen Weg. Ich bin seit 25 Jahren Profi und weiß, worüber ich rede. Meine Erfolge sind kein Zufall. Ich arbeite Tag und Nacht. Ich liebe Handball. Und darum finde ich die Akademie super. Die Jungs wohnen und leben da. Sie brennen für Handball. Ich war mit der Ausrichtung in der Vergangenheit nicht einverstanden. Jetzt sind alle Beteiligten bereit, einen Weg zu gehen, den ich schätze. Dafür lohnt es sich, ein paar Stunden mehr zu opfern. Ich möchte ja anderen helfen. Man muss die Jugendtrainer unterstützen, sie trainieren ja die Profis von morgen.

Wie sieht Ihr Weg denn aus? Was macht Sie aus?
Ich bin geradeaus – ich gehe nicht links oder rechts. Mich interessiert nicht, was andere sagen. Ich sage den Spielern die Wahrheit. Ich habe keine Angst, zu verlieren, Fehler zu machen – deswegen sind wir gut und erfolgreich. Natürlich kann es schief gehen, junge Spieler zu entwickeln. Unser Etat ist kleiner als der von Kiel oder Mannheim, aber trotzdem haben wir die Champions League gewonnen. Ich möchte alles gewinnen – aber ich verknüpfe das nicht mit meinem eigenen Seelenheil. Es ist mir persönlich egal, wenn wir es nicht schaffen. Ich bin vom Handball nicht abhängig, könnte morgen aufstehen und etwas ganz anderes machen. Insofern unterscheide ich mich wohl schon von anderen Trainern.

Sie haben keinerlei Angst vor Misserfolg?
Man darf keine Angst haben oder zweifeln. Ich bin Trainer und soll vorangehen. Es kann ja verkehrt sein – aber wenn du selbstbewusst nach vorn gehst, kann das nicht so schief gehen. Das Risiko liegt bei mir. Wenn ich manchmal verliere, denke ich kurz: Ist der Preis zu hoch? Nein. Ich kaufe das. Ich habe keine Angst, meinen Job zu verlieren – obwohl diese Art für mich als Trainer gefährlich ist. Ich kann ja scheitern. Aber: Ich glaube an mich und meine Leute. Auch an die ganz jungen Spieler.

Viele junge Spieler sind in ihrer ‚Azubi-Phase’ oft und lange nur ‚Bankdrücker’ ...
Das hat auch etwas mit Vertrauen seitens des Trainers zu tun. Nicht nur mit mangelnder Erfahrung des jungen Spielers. Wenn ich einem 17-Jährigen sage, ich glaube an dich, dann ist das auch so. Ich bin verantwortlich für die Mannschaft, die spielt und gebe denen Vertrauen, die da sind.

Ihre Philosophie impliziert, dass man auch den Mut zu Umbrüchen haben muss – als Verein und als Trainer.
Ja. Man darf eine Verjüngung nicht zu spät beginnen. Ich habe keine Angst davor, entsprechende Entscheidungen zu treffen. Man soll keine Angst haben vor der Zukunft. Und auch nicht vor Veränderungen. Es wird immer so sein, dass gute, routinierte Spieler einen Klub verlassen. Es kommt dann aber auch immer jemand, der übernimmt. Das ist ja Profisport. Ich bin ein Trainer, der einen Spieler gerne anhand seiner individuellen Stärken in der Mannschaft platziert. Ich habe nicht nur ein Spielsystem, das ich für alle und mit allen spiele. Ich sehe die individuellen Fähigkeiten – die muss ich dann auf dem Feld einsetzen wie Schachfiguren und so die beste Leistung für die Mannschaft rauskitzeln. Ich rede auch nie darüber, dass ich einen verletzten Spieler habe. Wenn das so ist, zählt es nicht für mich. Meine Philosophie ist, dass wir trotzdem gut sind, wenn zwei, drei Spieler fehlen oder weg gehen. Die SG sollte und wird nie von Individuen abhängig sein.

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