Eine Fußballmannschaft ist wie eine Seilschaft - Interview mit Stefan Glowacz Klaus Fengler

Eine Fußballmannschaft ist wie eine Seilschaft - Interview mit Stefan Glowacz

  • Derk Hoberg
Extremkletter Stefan Glowacz im Interview. Er zeigt Parallelen zwischen Bergsport und Fußball auf. Schon 2006 referierte er vor der deutschen Nationalmannschaft.

Anlässlich der Fußball-Europameisterschaft 2008 zeigte sich die deutsche
Nationalmannschaft in einem TV-Spot als Seilschaft im Aufstieg zum Gipfel des Matterhorns. 2010 will das Team rund um Joachim Löw in Südafrika erneut hoch hinaus. Bereits vor der WM 2006 referierte der Profibergsteiger Stefan Glowacz vor der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Kürzlich kam es erneut zu einem Wiedersehen mit Teammanager Oliver Bierhoff im Trainingslager in Südtirol. Seine jahrelange Erfahrung im Spitzensport reflektiert der Extremkletter Stefan Glowacz im Interview und zeigt Parallelen zwischen Bergsport und Fußball auf.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen Bergsport und Fußball?
Eine Fußballmannschaft ist eine Seilschaft. Sie funktioniert als Team. Den Titel kann man nur gemeinsam gewinnen. Ob im Fußball oder im Alpinismus: Wer den Gipfel erreichen will, muss teamfähig sein. Einer für alle. Alle für einen.

Wie bereitet man sich auf eine so große Herausforderung vor?
Große Expeditionen oder Erstbegehungen bedürfen einer akribischen Vorbereitung, die oft Monate in Anspruch nimmt. Nationaltrainer Joachim Löw überließ nichts dem Zufall. Von der Auswahl der Spieler, der Hotelwahl über den Ablauf des Trainingslagers bis hin zur Taktik an jedem Spieltag: Das „Unternehmen WM“ wird detailliert geplant. So ist auch am Berg minutiöse Vorbereitung die Voraussetzung, um am Gipfel zu stehen, oder im schlimmsten Fall zu überleben.

Wie funktioniert ein Team?

Eine Expedition kann nur dann funktionieren, wenn die einzelnen Bergsteiger miteinander harmonieren, sie das gemeinsame Ziel vor Augen haben. Der Einzelne muss bereit sein, seine eigenen Bedürfnisse zurückzunehmen, um die gemeinsame Sache voran zu bringen. Im Fußball ist es ähnlich: Jeder Spieler muss ein Teil der Mannschaft sein. Ein guter Stürmer mag viele Tore schießen. Aber auch er ist auf einen guten Pass eines Mannschaftskollegen angewiesen. Das Kollektiv zählt, nicht die Einzelleistung. Wer am Berg erfolgreich sein will, braucht ebenfalls starke, verlässliche Teammitglieder: Sicherungs- und Kletterpartner, die Vorstieg oder Spurarbeit in Wechselführung übernehmen. Essentiell sind Menschen, die im Notfall Entscheidungen treffen. Der Weg vom
Basislager bis zum Gipfel ist lang. Der Weg vom Trainingslager bis ins Finale ebenso. Es braucht jeden Einzelnen, um ganz oben zu stehen.

Ist Angriff die beste Verteidigung?
Kein Bergsteiger weiß vor einer Expedition im Detail, was ihn erwartet. Es gibt Parameter,
die man nicht vorhersehen kann, wie das Wetter oder die Bedingungen am Berg. Daher ist
es überlebenswichtig, jede Eventualität durchzuspielen: Schnee, Wind, Hitze, Krankheit. Ein
Trainer wie Joachim Löw übt mit seiner Elf unterschiedlichste Spielzüge, trainiert das
Elfmeterschießen, plant eine Verlängerung, lässt über Scouts die gegnerische Mannschaft
beobachten und feilt an der Taktik. Wer zum Beispiel nur verteidigt und keine Tore schießt,
wird auch keinen Titel holen. Wer aufhört zu agieren – und nur noch reagiert – hat am Berg
wie auf dem Fußballplatz bereits verloren.

Wie funktioniert die Führung des Teams?
Ähnlich wie bei einer Fußballmannschaft sind auch innerhalb einer Seilschaft Disziplin und
Ordnung Grundvoraussetzung für ihr Funktionieren. Der Führungsstil wird heute jedoch auf
dem Fußballplatz, wie am Berg wesentlich moderner und weniger hierarchisch als früher
interpretiert. Jeder Spieler ist ein Spezialist auf seinem Gebiet und ein individueller
Leistungsträger. Ein junger Fußballer kann von einem erfahrenen profitieren und umgekehrt.
Es kommt auf die richtige Zusammensetzung an. Ähnliches gilt am Berg: Eine Seilschaft
braucht eine gute Mischung aus Erfahrung und Leistungsstärke. Jedes Teammitglied bringt
seine Vorteile ein, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen, den Gipfel. Dabei ist gute
Stimmung im Team der Grundstein für Erfolg.

Wie sollte das Team am Besten mit Rückschlägen umgehen?
Jeder große Bergsteiger kennt das Gefühl des Rückschlages, des Lagerkollers: Wenn man
bei Schlechtwetter im Zelt ausharrt und den „Warte-Marter“ ertragen muss, der oft in Frust
umschlägt. Gelingt es, die Stimmung im Team hoch und den Fokus auf dem Ziel zu halten,
kann es bei Schönwetter wieder aufwärts gehen. Ähnlich muss eine erfolgreiche
Fußballmannschaft dazu fähig sein, Rückstände während des Spiels oder gar verlorene
Spiele wegzustecken. Das „Wir Gefühl“ muss bewahrt werden, um bei der nächsten Chance
wieder erfolgreich zu sein.

 

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