Rollstuhlbasketball - Von Rammbügeln und Schubfehlern netzathleten.de

Rollstuhlbasketball - Von Rammbügeln und Schubfehlern

  • Derk Hoberg
Rollstuhlbasketball unterscheidet sich nicht sehr vom herkömmlichen Basketball: Fünf Spieler pro Team und der Korb hängt ebenfalls in 3,05m Höhe. Es geht aber lauter zu, weil die Spieler häufig mit ihren Sportrollstühlen zusammenrasseln. Der Sport bietet also mehr Action, als vielleicht erwartet.

Rollstuhlbasketball wurde 1946 parallel in Großbritannien und in den USA von ehemaligen Basketballern erfunden. Sie wollten ihren Sport trotz ihrer im zweiten Weltkrieg erlittenen Verletzungen ausüben. Zusätzlich diente der Sport ihrer medizinischen Rehabilitation. Mit der Eröffnung der Olympischen Spiele 1948 in London startete im englischen Stoke Manderville das erste Sportfest für Rollstuhlfahrer. Die Stoke Manderville Games sind die Vorläufer der Paralympics und werden noch heute jährlich ausgetragen.

Schätzungen zu Folge spielen heute über 25.000 Männer und Frauen in etwa 80 Ländern im Rollstuhl sitzend Basketball. In Deutschland wurde Rollstuhlbasketball erstmals von den Behindertensportgemeinschaften in Bochum, Frankfurt, Duisburg und München, anfangs der 60er Jahre angeboten. 1965 ließ sich der RSC Duisburg als erster eigenständiger Rollstuhlclub ins Vereinsregister einschreiben.

Die Regeln

Die Regeln und die Rahmenbedingungen entstammen dem klassischen Basketball. Jedes Team besteht aus fünf Feldspielern und maximal sieben Ersatzspielern. Es wird über vier Viertel gespielt, die jeweils 10 Minuten dauern. Dabei hat jede Mannschaft 24 Sekunden Zeit, ihren Angriff abzuschließen. Freiwürfe zählen einen, Körbe innerhalb der Dreipunktlinie zwei und Treffer außerhalb dieser Linie drei Punkte. Innerhalb von acht Sekunden muss der Ball in der gegnerischen Hälfte sein und auch die Drei-Sekunden Regel hat hier Gültigkeit: Ein Spieler darf nicht länger als drei Sekunden in der gegnerischen Zone bleiben. Es sei denn er hat die Arme in der Luft, ist in der Wurfbewegung, oder durch einen anderen Spieler blockiert.


Es gibt verständlicherweise weitere Besonderheiten im Regelwerk dieses Sportes, der bereits seit 1960 Disziplin der Paralympics ist. Die Spieler müssen Dribbeln, ebenso wie beim Fußgängerbasketball. Zieht der Spieler aber mehr als zweimal am Greifring des Rades während er den Ball führt, hat er einen Schubfehler begangen – dem Äquivalent zum Schrittfehler. Während des Spieles darf kein Spieler den Boden mit den Füßen berühren. Dadurch sollen sich die nicht körperlich behinderten Spieler, die ebenfalls Rollstuhlsbasketball spielen dürfen, keinen Vorteil verschaffen können, um beispielsweise mit den Füßen zu bremsen.

Die Funktionale Klassifizierung

Aus diesem Grund gibt es noch eine weitere Regelung, die einen Ausgleich zwischen Menschen mit unterschiedlichem Behinderungsgrad herstellen soll. Die so genannte Funktionale Klassifizierung unterscheidet dabei acht verschiedene Stufen. Angefangen bei der höchsten Behinderungsstufe, die mit einem Wert von einem Punkt bemessen wird. Die 1-Punkte Spieler können die Beine nicht bewegen und haben geringe bis gar keine Kontrolle über ihren Rumpf. So geht es in 0,5er Schritten bis zu einem Wert von 4,5 Punkten, den gänzlich unbehinderte Spieler haben. Die Werte der Spieler werden schließlich addiert und die Mannschaften dürfen jeweils die Gesamtpunktzahl von 14 nicht überschreiten. In den obersten deutschen und der österreichischen Liga gilt die Gesamtpunktzahl 14,5.

In Deutschland treten die Teams in gemischter Besetzung an, das heißt Männer und Frauen spielen zusammen. Die Frauen erhalten beim Spiel in gemischten Mannschaften auf ihre reguläre Klassifizierung einen Punktebonus von -1,5 Punkten und sind somit chancengleich und effektiv im Spiel integriert.


Neben den nationalen Ligen, in Deutschland gibt es insgesamt fünf verschiedene Spielklassen (von der Landes- bis zur Bundesliga), gibt es zahlreiche internationale Wettbewerbe, vom europäischen Champions Cup, bis hin zu Europa- und Weltmeisterschaften und den Paralympics, die jeweils im Anschluss an die Olympischen Spiele alle vier Jahre stattfinden. Die International Wheelchair Baskeball Federation ist seit 1993 eine unabhängige Sportorganisation, die heute bereits über 50 Mitgliedsstaaten hat. Die erfolgreichsten Mannschaften auf europäischer Ebene sind die französische Herren-Nationalmannschaft und die der deutschen Damen, mit je fünf EM-Titeln. Dass die deutschen Damen so stark sind, hat einen guten Grund. Da sie in gemischten Mannschaften antreten, messen sie sich ständig mit den Männern und haben so natürlich Vorteile gegenüber anderen Nationen.


Wir haben mit dem Spielertrainer des Basketball-Zweitligisten USC München II und Deutschem Meister von 1996, Rainer Schmelzer, über die besonderen Herausforderungen des Rollstuhlbasketballs gesprochen:

netzathleten: Hallo Rainer, erkläre uns doch mal, worauf es beim Rollstuhlbasketball ankommt?
Rainer Schmelzer: Der Hauptunterschied zum normalen Basketball besteht darin, dass wir die Arme zur Fortbewegung benötigen. Nach einigen Angriffen werden die natürlich müder. Wenn man dann versucht mit „dicken“ Armen den Korb zu treffen, fällt das natürlich schwerer. Bei uns kommt es auch viel mehr auf ein funktionierendes Team an. Durch unsere körperliche Einschränkung können wir selten 1 gegen1 gehen, sind vielmehr auf unsere Mitspieler angewiesen, die entweder blocken oder anspielbar sind.

netzathleten: Euer Rollstuhl ist ja eher ein Sportgerät, wo liegen denn die Unterschiede zu herkömmlichen Modellen?
Rainer Schmelzer: Unsere Rollstühle sind auf den jeweiligen Spieler abgestimmt und komplett verschweißt. Auch das Regelwerk gibt einige Parameter vor, so zum Beispiel die maximale Sitzhöhe, die nicht überschritten werden darf. Vorne am Rollstuhl ist ein Rammbügel, bei allen Stühlen auf gleicher Höhe, damit es beim Zusammenstoß glimpflich ausgeht. Ein weiterer sehr auffälliger Unterschied ist der Sturz der Räder. Diese Neigung der Antriebsräder beträgt bis zu 20 Grad und soll nicht etwa dazu dienen, die Finger zu schützen, sondern macht uns einfach viel wendiger.

netzathleten: Wie sehen denn Eure Trainingseinheiten aus? Wo liegen die Schwerpunkte?
Rainer Schmelzer: Wir haben eine ganze Reihe spezieller Übungen. Zunächst mal ist Rollstuhlbasketball ein Schnellkraftsport, der erste Armzug entscheidet, ob man einen Vorteil gegenüber seinem Gegenspieler hat. Deshalb trainieren wir häufig Stop and Go Sprints. Oft auch mit Gewichten auf dem Rollstuhl oder dass ein Spieler den anderen ziehen muss. Als nächster wichtiger Punkt ist natürlich das Wurftraining zu nennen. Aufgrund der Belastung unserer Arme im Spiel trainieren wir das auch unter Belastung. Als drittes steht dann Taktik auf dem Programm. Wir üben Spielzüge ein, jeder muss seine Position und seine Fahrwege kennen. Das beginnt zunächst langsam, von Mal zu Mal wird das Tempo aber gesteigert.

netzathleten: Ihr stoßt recht häufig zusammen und hin und wieder kommt es vor, dass ein Spieler samt Rollstuhl umkippt. Wie groß ist denn die Verletzungsgefahr in Eurem Sport?
Rainer Schmelzer: Die Verletzungsgefahr ist bei uns nicht größer als beim normalen Basketball. Es gibt die üblichen muskulären Probleme, da zwickt es schon mal in der Schulter. Kapselverletzungen an den Fingern gehören auch dazu. Dass aber jemand nach einem Sturz von einem anderen angefahren wird, erlebt man ganz selten.

netzathleten: Bis in welches Alter kann man Rollstuhlbasketball auf höherem Niveau spielen?
Rainer Schmelzer: Ich denke bis 40 kann man unter Umständen noch in den höchsten Ligen mithalten. Danach wird es schwer. Wie gesagt, wir betreiben einen schnellen Sport und sind keine Profis. Da fällt es schwer sich auf höchstem Niveau fit zu halten. Als Hobbyspieler kann man den Sport aber bis ins hohe Alter betreiben.

netzathleten: Vielen Dank Rainer für das nette Gespräch. Wir wünschen Dir und Deinem USC München alles Gute für die Rückrunde. (Der USC München II überwintert derzeit in der zweiten Bundesliga auf einem guten vierten Platz, mit Kontakt zur Spitze)

 

Weitere Informationen zum Rollstuhlbasketball und zum USC München findet Ihr hier:

Deutscher Rollstuhl-Sportverband

www.usc-rollstuhlsport.de

Derk Hoberg

 

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