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Fußball als Gladiatorenkampf: Das Calcio Storico

  • Stefan Petri
Nur die Harten kommen in den Garten, heißt es. In Florenz muss man diesen Spruch ein wenig modifizieren. Passender wäre: Nur die Härtesten der Harten kommen in den Sandkasten. Genauer gesagt auf die Piazza Santa Croce in Florenz, auf der am 24. Juni seit Jahrhunderten das berühmt-berüchtigte „Calcio Storico Fiorentino“ ausgetragen wird. Was das ist? Eigentlich eine Art Fußballspiel - obwohl: Der Ball ist zwar vorhanden, aber ein „Spiel“ ist das Calcio Storico für die Teilnehmer ganz sicher nicht…

Moderne Gladiatoren

Am Tag des San Giovanni, des Schutzheiligen der Stadt, versammeln sich jedes Jahr bis zu 5000 Zuschauer, um vier Teams aus den vier alten Stadteilen der Stadt anzufeuern. Ein Platz aus Sand, 100m lang und 50m breit, ist in den Tagen zuvor auf der Piazza aufgeschüttet worden. Die Spieler marschieren in einer feierlichen Prozession durch die Stadt und schließlich in die Arena, und werden dabei von 500 kostümierten Bewohnern flankiert. Sie tragen kaum mehr als ein Paar Renaissance-Hosen, die an die Ursprünge des Sports erinnern. Wer sich so langsam an Gladiatorenkämpfe aus der Zeit des alten Roms erinnert fühlt, liegt gar nicht so verkehrt.

Regeln…?

Der Ball ist rund. Ein Spiel dauert 50 Minuten. Ach ja, und Tore erzielt man, indem der Ball in die Netze geworfen oder geschossen wird, die auf der Bande angebracht sind und sich über die 50 Meter der beiden Grundlinien erstrecken. Das war’s. Mehr würde nur von der Action ablenken, die sich auf dem gesamten Platz abspielt. Der Ball spielt dabei oft nur eine Nebenrolle.

„Eigentlich punktet man dadurch, dass man die Gegenspieler platt macht.“

So formuliert es Simone Calonaci, Besitzer einer Trattoria in Florenz, in der Zeitschrift „The Florentine“ – und der muss es wissen, schließlich gehörte er von 2000 bis 2006 siebenmal zu den Bianchi, den „Weißen“ aus Santo Spirito. Aber der Reihe nach: 27 Spieler gehören zu einer Mannschaft. Sobald ein Schiedsrichter (es gibt insgesamt acht) den Ball ins Feld wirft, ist eigentlich alles erlaubt: Stöße mit Kopf und Ellbogen, Würgegriffe, Sand in die Augen werfen, und so weiter und so fort. Tritte zum Kopf und Schläge von hinten werden mit Disqualifikation bestraft. Immerhin.

Mann gegen Mann

Rudelbildung, so wie wir sie aus dem Fußball kennen, gibt es nicht. Man sucht sich seinen Gegner und es kommt zum Eins-gegen-Eins. Die Folgen sind einzelne Scharmützel überall auf dem Platz. Wer die Oberhand gewinnt, bleibt am besten einfach auf seinem Opfer liegen und nimmt ihn damit aus dem Spiel. Verstauchte Gliedmaßen und ausgekugelte Schultern sind da keine Seltenheit. Hat man jemanden so verletzt, dass er nicht mehr weiterspielen kann, umso besser. Denn Auswechslungen gibt es nicht. Entweder hält man durch, oder das eigene Team spielt in Unterzahl weiter.

Bizarre Choreographie

Taktiken gibt es durchaus, allerdings haben diese weniger mit Angriffsspielzügen und Ball-Raum-Verteidigung zu tun: Als erstes kommen die Boxer. Dann die Ringer. Irgendwann, wenn der Gegner ausreichend einstecken musste, spritzen die Angreifer mit dem Ball durch die verstaubten, schwitzenden Kämpfer und versuchen, irgendwie das Tor zu erreichen. „In 90 Prozent aller Fälle gewinnt das stärkere Team. Körperkraft und Ausdauer machen den Unterschied.“ sagt Calonaci. Ein Lionel Messi würde wohl keine zwei Minuten durchhalten.

Blut, Schweiß und Tränen mit Tradition

Die Regeln des Calcio Storico wurden 1580 in Florenz festgeschrieben, nachdem es 1530 während einer Belagerung durch die Franzosen eingeführt wurde, um Bevölkerung abzulenken. Damals war es ein Spiel für Aristokraten. Sogar zukünftige Päpste aus dem Hause Medici sollen damals dem Reiz des Calcio Storico erlegen sein. Nachdem das Spiel zwei Jahrhunderte ausgesetzt wurde, erweckte man es 1930 wieder zum Leben.

Preise gibt es nicht, aber ein Sieg beim Storico wäre für die vier Teams aus Florenz auch nicht mit Geld zu bezahlen. Das harte Training, „Trainingsspiele“ inklusive, beginnt schon im Januar. In der Vorbereitung kochen die Emotionen der Teilnehmer oft so hoch, dass es schon vor dem Spiel zu Handgreiflichkeiten kommt, verrät Calonaci. „Es ist Sport, aber auch Tradition. Wir spielen, weil wir Florenz lieben.“

 

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