Rafael Fuchsgrubers Erfahrungsbericht vom Ultra Africa Race www.canal-aventure.com

Rafael Fuchsgrubers Erfahrungsbericht vom Ultra Africa Race

  • Nils Borgstedt
Extremläufer Rafael Fuchsgruber hat im November das Ultra Africa Race absolviert und ist Zweiter geworden. Auf netzathleten.de schildert er seine Erlebnisse.

Douala bei Nacht: Wir kommen von Paris am Abend in der mit 5 Millionen Einwohnern größten Stadt Kameruns an. Das Jet Hotel in der Nähe des Airports zwischen tausenden von Wellblechhütten ist sehr angenehm. Monsieur Ali ist unser Mann. Er behauptet von sich der Chef des Hotels zu sein. Ich bin mir sicher er ist eher der Fahrer des hoteleigenen Shuttles. Wir sind in Afrika und man kann nicht alles ernst nehmen. Monsieur Ali entführt uns in das Gewimmel der Hütten, in das sich von uns keiner alleine reingetraut hätte. Und so eine Ansammlung von Extremläufern aus den verschiedensten Ecken der Welt ist eigentlich nicht besonders ängstlich. Unglaublich viele Mopeds, Regen bei knapp 30° und überall Chaos. Die Klamotten kleben, aber alles ist ganz entspannt. Wir landen in einem Restaurant, das gar keines ist. Es handelt sich eher um eine Diskothek mit der Möglichkeit sehr schnell Kontakte zu knüpfen. Monsieur Ali organisiert eine Ecke für uns und unser Essen wird von den Ständen auf der Straße herbeigeschafft. Wer sich bis hierher getraut hat, ist nicht feige und isst. Es schmeckt sehr gut. Dazu gibt es Bier und Cola - kalt und viel. Alle Klischees - außer der Magenverstimmung - werden erfüllt. Die Größe der Kakerlaken ist beeindruckend. Hier und da gibt es eine Telefonnummer und wir sollen die Dame unbedingt noch heute Nacht anrufen, aber wir folgen Monsieur Ali zurück zum Jet Hotel. Die Nacht bleibt ruhig. Bis auf das Gestöhne der Klimaanlage – Toshiba: Baujahr vor 1990.

Am nächsten Tag geht es mit dem Flieger tausend Kilometer in den nördlichsten Zipfel Kameruns zwischen Nigeria und Tschad. Wir landen in Maroua und werden die nächsten fünf Tage in der Sahelzone laufen. Da die Regenzeit erst vor wenigen Wochen endete, ist es verhältnismäßig grün.

Jacob Hastrup und ich unternehmen einen kleinen Erkundungslauf, der uns den ungewollten Kontakt zu schwerstbewaffneten Soldaten verschafft. Wir werden festgehalten und müssen uns erklären. Wir sind dem Wohnsitz des Gouverneurs zu nahe gekommen und für Weiße, die grundlos durch die Gegend laufen, hat hier keiner eine nachvollziehbare Erklärung.

Zum Start am nächsten Tag steht gleich die längste Etappe mit 49 Kilometer auf dem Plan. Neben den Läufern aus Kanada, Australien, Asien und Europa hat der Veranstalter sechs Läufer aus Kamerun eingeladen. Diese sind sehr jung, schnell, schlank und sehen aus wie die Spitzengruppe beim Berlin Marathon. Ganz schwer einzuschätzen. „Die jungen Wilden“ (auf den Satz habe ich mich die ganze Zeit schon gefreut) machen auch das Tempo vom Start weg. Die Jungs aus Kamerun machen das gut. Toni ist trotzdem bald in ihrer Nähe und ich folge mit dem jungen Franzosen Cederic Masip in Sichtweite. Es ist heiß – auf der Strecke knapp über 40°C – und die Luftfeuchtigkeit deutlich höher als in der Wüste. Dadurch wird es ungleich anstrengender als in derSahara. Bei Kilometer 16 nähern wir uns dem ersten Checkpoint. Cederic lasse ich vor dem Checkpoint hinter mir.

Erstaunlicherweise treffe ich hier die Jungs aus Kamerun beim Wasseraufnehmen und Schwatzen. „Meine Chance!“, denke ich mir und bin schnell wieder weg. Toni kann ich vor mir sehen. Ich versuche einen Abstand zwischen mich und die Kollegen zu bekommen. Alles gelingt und ab Kilometer 25 kann ich vor mir und hinter mir niemanden mehr sehen. Das war mein Plan vor dem Rennen und ich bin gut unterwegs. Der Strategie mit nur zwei Checkpoints auf 49 km geht nicht auf. Gegen Ende der Etappe komme ich das erste Mal bei all meinen Rennen in den Bereich der Dehydrierung. Ich weiß nicht, wie weit es noch bis zum Ziel ist und muss aus Sicherheitsgründen marschieren. Ich stolpere vor mich hin. Laufen kosten zuviel Energie – ich habe kein Wasser mehr.

In jeder Hütte frage ich nach, aber es gibt kein Wasser in geschlossenen Gefäßen und der Brunnen, den ich am Weg finde, macht mir mehr Angst als Mut. Im Ziel angekommen, trinke ich in wenigen Minuten drei Liter Wasser. Ich bin ausgetrocknet wie ein Schwamm. Toni und Cederic ergeht es ebenso. Toni hat 40 Minuten Vorsprung und gewinnt die Etappe. Cederic kommt 20 Minuten nach mir und wird Dritter. Kurz nach ihm kommt Sini Teriva aus Kamerun auf Platz Vier. Am ersten Tag gibt es einige Ausfälle, aber alle kommen irgendwie gesund ins Ziel.

Der zweite Tag über 43 km ist das Ebenbild der ersten Etappe. Die jungen Läufer übernehmen sich in den ersten Stunden und die Alten machen das Rennen.

Hier beginnt das Elend mit meinem Knie. Zu diesem Zeitpunkt halte ich Platz zwei mit 60 Minuten Vorsprung auf Cederic Masip und muss meine Taktik ändern. Wollte ich ursprünglich viel alleine Laufen, versuche ich nun den Abstand zu Platz Drei im Auge zu behalten.

Die dritte Etappe geht erneut über 48 km. Wir sind wie bisher auf kleinen Trails oder befestigten Wegen unterwegs, die die einzigen Verbindung zwischen den Mini-Dörfern der Region darstellen. Die Kinder entlang der Wege lachen mit uns. Manchmal laufen sie auch einige Zeit mit. Es gibt viele Schulen und manchmal hört man aus dem Klassenzimmer singende Kinder. Ein anderes Mal sind die Kinder auf dem Schulhof und die halbe Schule läuft mit einem bis zum Ortsrand. Diese Momente sind wunderbar und prägen die Bilder meiner Erinnerung an das Ultra Africa Race. Toni, Cederic und ich laufen an diesem Tag nach circa fünf Stunden gemeinsam im Ziel ein.

Allerdings machte mein Knie weiterhin Probleme. Ohne die Unterstützung von Isabelle und Silvan von der medizinischen Abteilung hätte ich das Rennen nicht beenden können. Danke dafür und besonderen Dank an Isabelle. Man trifft sich immer zwei Mal. Die Welt der Extremläufer ist riesig – ihre Anzahl überschaubar. Isabelle und ich stellten bereits am Flughafen in Paris fest, dass wir uns kennen. Bei der Libyan Challenge in 2008 hatte mich nach 200 km Nonstoplauf eine Thrombose erwischt und sie war damals schon meine Retterin.

Am vierten Tag befindet sich der erste Checkpoint in Rhumsiki, der Heimat vom Viertplatzierten Sini Teriva.
Wir lassen den kameruner Jungs auf diesem Abschnitt den Vortritt. Die gefühlte Hälfte des Dorfes steht am Checkpoint: Trommeln, Flöten, tanzen und singen. Keine Inszenierung für uns Touristen, sondern gelebte Freude über die Führung der fünf schwarzen Läufer zu diesem Zeitpunkt. Weiter geht’s nach 10 Minuten und die Jungs bedanken sich bei uns für diese Geste, als wir sie außerhalb des Dorfes überholen. Wir sind wieder zu Dritt unterwegs, aber ab Kilometer 30 habe ich Schwierigkeiten dranzubleiben. Das langsame und vollkommen ungewohnte Tempo bis Rhumsiki hat dem Knie den Rest gegeben. Es besteht die Gefahr, dass ich abreißen lassen muss. Aber ich bin besser geworden über die Jahre. Auch in Sachen „Taktik“: „Jungs, wenn hier irgendwo eine Kneipe kommt, geb‘ ich ne Runde Cola aus“. Wunder gibt es immer wieder – und ich bekomme meine kleine Kneipe. Cederic will eigentlich weiter. Unser Vorsprung ist groß und er beugt sich dem Ältestenrat. Der Plan geht auf. Es gibt Cola und die Pause für mein Knie. Eine Stunde später kann ich gemeinsam mit den Jungs finishen. Mit kaputtem Knie, aber guter Taktik wird Kamerun zu meinem bisher schnellsten Extremlauf. Meine Suche nach dem perfekten Rennen hat eine neue Facette bekommen. Hier zu finishen hat nach durchwachsener Vorbereitung und den gesundheitlichen Problemen im Lauf einen extrem hohen Stellenwert für mich.

Am letzten Tag sind es nur noch 19km. Zu wenig für Cederic um mich auf Platz Zwei angreifen zu können.
Am nächsten Morgen begleiten mich drei Jungs aus der Gegend fast die ganze Strecke. Wir teilen meine letzten Energieriegel und mein Wasser. „ Bon courage, bon courage“ sind ihre Worte zum Abschied. Der Zieleinlauf wenig später ist magisch. Überall Menschen – viele, viele Kinder. Einer der Jungs hat keine Schuhe und seine Füße sind groß genug. Er bekommt meine Schuhe. Ungläubiges Schauen dann ein „Merci“ und riesige Freude auf seinem Gesicht. Danach nichts wie weg, die Schuhe in Sicherheit bringen. Alles andere, was ich jetzt nicht mehr brauche, kommt auch unter die Menschen.

Das Ultra Africa Race wird für mich immer einen ganz besonderen emotionalen Wert haben – der Kinder wegen. Die Kontakte sind bereits geknüpft…

Ich bin normal hart im Nehmen und ich frage mich unterwegs deshalb immer: „Stell ich mich wegen dem Knie an oder ist es ernst?“. Wie sich nach der Untersuchung im MRT zeigte, ist das Ganze viel ernster als befürchtet. Befund: mittelschwere Arthrose! Als ich die Bilder sah, war ich bedient und unter uns: das ist noch die harmlose Formulierung dafür. Im Moment versuche ich damit klar zu kommen, verbringe viel Zeit mit meiner kleinen Tochter (O-Ton: „ Aua Afrika“) und esse viel Marzipan. Das hilft beides.

Wir werden sehen was kommt. Die Zukunft hängt ja bekanntermaßen von vielen Faktoren ab. Aber zunächst von einem selbst. Und im Ernst: so hart, wie ich die letzten Jahre fürs Laufen trainiert habe, werde ich mich nun auf die Genesung des Knies konzentrieren.

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