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Die Reiss-Methode

  • Marco Heibel
Zahlreiche Sporttrainer vertrauen der Reiss-Methode. Dieses Verfahren soll ihnen dabei helfen, ihre Schützlinge besser zu verstehen und so zu wissen, wie sie sie „anpacken” müssen, um das Maximale aus ihnen herauszuholen.

Handball-Bundestrainer Heiner Brand, Hoffenheim-Coach Ralf Rangnick und Frank Mantek, der Trainer von Gewichtheber-Olympiasieger Matthias Steiner, setzen auf die so genannte Reiss-Methode. Ihre Erfolge geben ihnen scheinbar Recht. Doch was verbirgt sich überhaupt hinter dieser Methode?

Die Reiss-Methode: Kann man Persönlichkeit messen?


Begründer und Namensgeber dieses psychologischen Verfahrens ist der mittlerweile emeritierte US-amerikanische Psychologieprofessor Steven Reiss. Er vertritt die Ansicht, dass die Erfolgsaussichten – sei es im Sport, im Beruf oder in alltäglichen Situationen, im Team oder alleine – umso größer sind, je genauer man weiß, was einen individuell antreibt.



Das Verfahren findet nicht nur im Sport, sondern vor allem auch in der Wirtschaft Anwendung. Große Konzerne lassen ihre potenziellen Angestellten gerne einen solchen Test absolvieren. Hierbei werden den Kandidaten mehr als 100 Aussagen im Stile von „Prestige ist sehr wichtig für mich“ vorgelegt, die die Teilnehmer nun auf einer Skala von plus drei (völlig richtig) bis minus drei (völlig falsch) bewerten müssen.

Der Test orientiert sich hierbei an den von Reiss ermittelten 16 grundlegenden Lebensmotiven. Hierzu zählen u.a. das Streben nach Macht, Prestige oder Unabhängigkeit, aber eben auch nach Ruhe oder Gerechtigkeit. Am Ende steht ein individuelles Motivprofil.

Anhand der Testergebnisse entscheiden viele Unternehmen, ob der Bewerber XY in ihr Team passen könnte. Gruppendynamische Erwägungen spielen bei der Entscheidungsfindung immer eine Rolle. Schließlich will man in einem Team weder zu viel Harmonie noch zu viel Sprengstoff haben. An dieser Stelle setzen die Kritiker der Reiss-Methode an: Kann man die Persönlichkeit eines Menschen anhand seiner Antworten auf einem Fragebogen wirklich bewerten? Und kann dann nicht jemand, der die Denkweise der Auswerter kennt, sein Antwortverhalten einfach manipulieren?

Die Reiss-Methode im Sport


Die zu Anfang dieses Artikels aufgeführten Trainer belegen, dass die Reiss-Methode zum Erfolg führen kann – wobei es natürlich im Nachhinein schwer ist, zu beurteilen, wie groß der Beitrag der Erkenntnisse aus den Tests war. Doch nehmen wir das Beispiel Heiner Brand: Der Handball-Bundestrainer hat bereits ein Jahr vor der Heim-WM 2007 seinen potenziellen Kandidaten einen Reiss-Bogen in die Hand gedrückt. Anhand der Ergebnisse hat er so u.a. über die Zimmerbelegung entschieden. Außerdem erfuhr er so, welchen Spieler er mehr bei der Ehre packen kann und bei welchem er eher eine ruhige Ansprache wählen muss.

Natürlich werden nun Einige sagen, dass das alles Erkenntnisse sind, zu denen auch ein guter Menschenkenner hätte kommen können. Doch um ein anderes weniger offensichtliches Beispiel zu nennen: Wer hätte schon gedacht, dass der wenig medienscheue brasilianische Stürmer Ailton, der in der Saison 2004/2005 bei Schalke 04 unter Trainer Ralf Rangnick gespielt hat, in seinem Bogen angegeben hatte, ein extrem ruhebedürftiger Mensch zu sein?

Ein Trainer, der darüber Bescheid weiß und nicht nur auf das schaut, was der Spieler nach außen trägt, weiß diesen vielleicht auch so anzupacken, dass er der gesamten Mannschaft mehr nützen kann – ehrliche Antworten vorausgesetzt. Oder er kann verhindern, den Sportler auf dem falschen Fuß, also an einem wirklich wunden Punkt, zu erwischen. Das gilt natürlich auch für eine Mannschaft als Ganzes. Hier kann man natürlich nicht erwarten, 7, 11 oder 18 gleiche Typen vor sich zu haben (das wäre wahrscheinlich dem Erfolg auch nicht gerade zuträglich). Eine total individuelle Ansprache, etwa in einer 15-minütigen Halbzeitpause, ist natürlich kaum zu bewerkstelligen; doch wenn die Ansprache so ausfällt, dass sich jeder angesprochen fühlt, könnte das die Siegchancen erhöhen.

Doch auch der Sportler selbst kann aus seinem Profil Schlüsse ziehen: Wer sich darüber bewusst ist, was ihm wirklich wichtig ist, kann sich womöglich leichter motivieren. So kann ein materieller Typ vielleicht mehr aus sich herauskitzeln, wenn er an wachsende Einnahmen bei einem guten Abschneiden denkt. Jemand, der auf Anerkennung aus ist, kann dagegen durch Gedanken an seine Familie oder Freunde ein paar Prozent mehr abrufen.

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