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Interview mit Prof. Dr. Jürgen Beckmann – Depressionen und Leistungssport

  • Prof. Dr. Jürgen Beckmann
Prof. Dr. Beckmann, Sportpsychologe von der TU München, spricht über den Fall Robert Enke und über die Krankheit „Depression“. Prof. Beckmann erklärt, wie Depressionen im Zusammenhang mit dem Leistungsport zu sehen sind und welche Auswirkungen die Krankheit auf den Menschen haben kann.

Der Suizid vom Fußballnational-Torwart Robert Enke hat ganz Deutschland bestürzt und traurig gestimmt. Obwohl der Fall des 32 jährigen Enke in unserer Gesellschaft kein Einzelfall ist, ist man immer wieder gleichermaßen schockiert und ohnmächtig. Der Nationalspieler hinterlässt nach seinem Freitod seine Ehefrau Teresa Enke und die kleine Adoptivtochter Leila.

Sah man die junge Witwe bei der Pressekonferenz zu Robert Enkes Suizid, wie sie zwischen Selbstbeherrschung, Verzweiflung und vollkommener Trauer schwankte, überkam selbst dem Unbeteiligten Kummer und Mitgefühl. Bei Teresa Enkes Erklärungsversuchen fiel ein signifikantes Wort: Depression.

„Depression“ ist im Sprachgebrauch ein gängiges Wort. Man benutzt es, um eine negative Stimmung oder eine schwere Zeit, die man gerade durchmacht, zu beschreiben. Was jedoch die Krankheit „Depression“ ist, was sie für den Betroffenen und seine Angehörigen bedeutet und inwiefern im Fall Robert Enke der Leistungssport ein Katalysator für sein Schicksal war, wollen wir an dieser Stelle mit Professor Doktor Beckmann, Sportpsychologe an der TU München, klären.

netzathleten:
Prof. Dr. Beckmann, Sie sind Experte im Bereich Sportpsychologie, können Sie uns erklären, warum Leistungssportler besonders anfällig für Depressionen sind?
Prof. Dr. Beckmann: Leistungssportler stehen naturgemäß unter einem starken Leistungsdruck. Damit sind einerseits Versagensängste verbunden und natürlich auch tatsächliche Misserfolge. Angemessene Bewältigungsstrategien sind hier entscheidend dafür, in wieweit dies zu einer erhöhten Anfälligkeit führt. Ferner führt die Trainings- und Wettkampfbelastung leicht in einen Zustand des Burnout, der die Entstehung einer Depression begünstigen kann.

netzathleten: Was genau beinhalten diese besagten Bewältigungsstrategien?
Prof. Dr. Beckmann: Bei den Bewältigungsstrategien geht es um die Frage „wie bewältige ich den Misserfolg für mich“. Unter Misserfolg versteht man, dass die eigene Leistung hinter der persönlichen Erwartung zurücksteht. Zur Bewältigung solcher Erlebnisse kann man angemessene und unangemessene Strategien entwickeln. Unangemessene Strategien sind dabei solche, die vom eigentlichen Problem ablenken zum Beispiel Rauchen oder Alkohol. Eine angemessene Bewältigungsstrategie ist es durch kognitive Arbeit dem Misserfolg auf konstruktiver Ebene zu begegnen. Der Depressive muss lernen, Misserfolge nicht dauernd auf seine eigene Unzulänglichkeit zurückzuführen. Man spricht also von kognitiver Verhaltenstherapie.


netzathleten: Was genau ist eine Depression?
Prof. Dr. Beckmann: Eine Depression geht über normalen Kummer oder normales Trauern hinaus. Sie stellt sich dar als erlebnisreaktive Anpassungsstörung oder als majore Depression mit massiven Schuldvorstellungen. Hauptsymptome sind: gedrückte Stimmung, Interessen- und Freudlosigkeit mit starken Schuldgefühlen und Antriebsstörungen.

netzathleten: Welche Ursachen kann sie haben?
Prof. Dr. Beckmann: Eine genetische Prädisposition liegt zu 41 Prozent vor. Ob die Depression zum Ausbruch kommt, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Unangemessen kognitive Bewertungsmuster scheinen eine wichtige Rolle zu spielen: Die Patienten erleben sich als Versager (gelernte Hilflosigkeit), übertreiben kleine Fehler und sehen sehr pessimistisch in die Zukunft. Sie neigen zum Grübeln (sog. Lageorientierung kann eine ungünstige Bedingung sein). Die eigene Person wird in ihren Fähigkeiten allgemein als negativ eingestuft. Entsprechend gehen mit Depression oft Ängste einher. Burnout und Erschöpfungszustände bahnen der Depression oft den Weg. Im Gehirn gibt es eine Störung im Bereich der Botenstoffe (Neurotransmitter und –modulatoren, vor allem Serotonin und Noradrenalin).

netzathleten:
Warum können Erfolge und wirtschaftlicher Wohlstand (etc.) eine Depression nicht aufheben bzw. heilen?
Prof. Dr. Beckmann: Aufgrund der ungünstigen Interpretationsmuster haben Erfolge beim Depressiven keine nachhaltig positive Wirkung. Je länger die Depression anhält und je tiefer der Depressive in sie hineingerät, umso weniger wird er überhaupt noch Emotionen erleben.

netzathleten:
Man könnte meinen, dass erfolgreiche Sportler, wie Robert Enke, willensstarke und stabile Menschen sind, denen eine Depression nichts anhaben kann. Spielt denn der Wille eine solche Phase durchzustehen keine Rolle? Kann man eine Depression nicht bewusst zerschlagen?
Prof. Dr. Beckmann: Es ist tatsächlich so, dass ein starker Wille Depressionen Aufschub gewähren kann. Gerade Sportler entwickeln eine starke Persönlichkeit und einen starken Willen. Jedoch ist die Kapazität zeitlich begrenzt. Fällt die kognitive Selbstbewertung immer negativ aus, und wird das Selbstwertgefühl nicht durch sich selbst zugestandene Erfolge gestärkt, so kann sich auch die größte Willenskraft erschöpfen. Weshalb dies so ist, in welchen Gehirnbereichen diese Energiequellen liegen und wie man diese positiv beeinflussen kann, wird im nächsten Jahr Gegenstand eines Forschungsprojekts der Universität sein.

netzathleten: Ist ein Selbstmord eine „logische Konsequenz“ für einen depressiven Menschen? Warum?
Prof. Dr. Beckmann: Logische Konsequenz kann man nicht sagen. Aber je tiefer sich ein Mensch in die Depression hinein bewegt, umso negativer seine Selbstbewertung ausfällt, umso weniger wertvoll er sich und je weniger sinnhaft er sein Leben erlebt, umso wahrscheinlicher wird der Selbstmord. Ca. 15 Prozent aller Depressiver bringen sich um.

netzathleten: Warum kann die Familie und eine bestehende Verantwortung einen depressiven Menschen nicht von dem radikalen Entschluss, sich das Leben zu nehmen, abhalten?
Prof. Dr. Beckmann: Je weiter die Depression voranschreitet, umso weniger können andere Menschen den Depressiven erreichen. Grundsätzlich ist es aber bei einer Reihe von Depressiven immerhin möglich, einen Pakt mit ihnen zu schließen (z.B. hinsichtlich ihrer Verantwortung für Partner oder Kinder), der helfen kann, sie von einem Selbstmord abzuhalten.


netzathleten: Wie erkennt man eine Depression bei sich? Wie bei anderen?
Prof. Dr. Beckmann: Ein Zeichen, dass man an sich selbst beobachten kann, ist eine länger anhaltende Traurigkeit, die zunehmend von Verlust an Interesse begleitet wird. Es stellt sich auch zunehmend ein Gefühl der Leere ein. Bei anderen kann man auch den Verlust an Interessen beobachten, dass sie sich nicht mehr freuen können, dass ihr Gesicht keine emotionalen Regungen mehr zeigt. Unklare körperliche Symptome (Schwindel, Kopfschmerz, Kloßgefühl im Hals, undefinierte Schmerzen in der Brust) können in Kombination mit den anderen Merkmalen ebenfalls ein Hinweis sein.

netzathleten: Warum wird diese Krankheit so oft unterschätzt? Warum kommt bei Vielen die Hilfe zu spät?
Prof. Dr. Beckmann: Zwar hat die Depression als Krankheit in der Öffentlichkeit mittlerweile mehr Akzeptanz gefunden, aber Menschen versuchen immer noch zu verbergen, dass sie an einer psychischen Erkrankung leiden. Zum Teil werden dann die körperlichen Beschwerden in den Vordergrund gestellt. Damit wird das eigentliche Leiden maskiert.

netzathleten: Wie muss man mit einer Depression umgehen, was kann man für sich tun. Was kann man für den anderen tun?
Prof. Dr. Beckmann: Es ist dringend anzuraten, möglichst frühzeitig einen Experten (Arzt für Psychiatrie, Psychotherapeuten) aufzusuchen. Eine Depression lässt sich heutzutage sehr gut heilen. Allerdings muss sie konsequent und eben möglichst frühzeitig durchgeführt werden. Die Therapie wird aus (richtig – nicht zu niedrig dosierten) Antidepressiva (möglichst Serotonin oder Noradrenalin Wiederaufnahme-Hemmer) und einer Psychotherapie bestehen. Diese sollte auch lang genug fortgeführt werden, um einen Rückfall zu vermeiden, der dann alles verschlimmern würde. Anderen kann man helfen, sich auf diesen Weg zu begeben und deutlich machen, dass Depression ein ernst zu nehmendes aber heilbares Leiden ist, das man nicht verbergen muss.

netzathleten: Wir haben darüber gesprochen, dass Leistungssportler aufgrund der Gegebenheiten Depressionen bekommen können. Können Sport, Zusammenhalt in einer Mannschaft, körperliche Fitness auch vor Depressionen schützen oder diese sogar heilen?
Prof. Dr. Beckmann: Wenn man vom Breitensport ausgeht, kann man das durchaus bejahen. Studien haben bewiesen, dass Sport depressionspräventiv beziehungsweise heilend wirken kann, vorausgesetzt es handelt sich um eine leichte bis mittelschwere Depression. Bei schwereren Depressionen ist Sport allein nicht ausreichend. Hier ist ein Gesamtprogramm notwendig. In vielen Kliniken wird die körperliche Betätigung neben der psychologischen Behandlung eingesetzt. Oftmals wird hier das Salutogenese-Modell befolgt. Dieses Modell befasst sich mit der Frage, wie Gesundheit entsteht und beleuchtet dabei körperliche, geistige und soziale Aspekte. Insbesondere der gemeinsame Sport mit anderen Menschen kann hinsichtlich aller Aspekte positiven Einfluss entwickeln und so die Anfälligkeit gegenüber Krankheiten erheblich senken.

netzathleten: Was ist Angehörigen anzuraten, die durch Suizid ein Familienmitglied bzw. einen Freund verloren haben? Sind solche Menschen automatisch auch potentiell depressionsgefährdet?
Prof. Dr. Beckmann: Potentiell besteht natürlich eine gewisse Gefahr. Schließlich ist der Tod eines geliebten Menschen ein traumatisierendes Ereignis. Wie die Verarbeitung verläuft, ist natürlich sehr stark von der Persönlichkeit und der genetischen Prädisposition des Betroffenen abhängig. Falsch wäre es jedenfalls zu versuchen, die Situation ganz allein bewältigen zu wollen. Es ist sehr ratsam, Menschen um sich zuhaben, die einem helfen und Trost spenden. Ein guter Freund kann hier schon ausreichen. Allerdings sollte man gut beobachten, in welche Richtung sich die Verfassung des Betroffenen entwickelt und bei einer eintretenden Depression so früh wie möglich professionelle Hilfe in Anspruch nehmen.

netzathleten:
Prof. Dr. Beckmann, vielen Danke für Ihre Zeit und das aufschlussreiche Interview.

Wir möchten unser herzliches Beileid Teresa Enke und der kleinen Leila ausdrücken und wünschen ihnen viel Kraft und Halt für die schwere Zeit.

Das Interview führte Maria Poursaiadi.

Details

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  • Star Vita: Prof. Dr. Beckmann promovierte in Psychologie an der Universität Mannheim 1984. Er habilitierte mit venia legendi für Psychologie in Mannheim 1987 und München (LMU) 1992. Er war Gastprofessor am Center for Complex Systems der Florida Atlantic University; Boca Raton, USA 1993; Von 1997 – 2006 war er Professor für Sportpsychologie an der Universität Potsdam. Er war Präsident der Arbeitsgemeinschaft für Sportpsychologie von 2005-2009.
  • Star Erfolge: Dekan der Fakultät für Sportwissenschaft der Technischen Universität München, Lehrstuhlinhaber für Sportpsychologie an der TUM, Direktor Sportpsychologisches Zentrum TU München

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