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Der Mythos vom Dehnen

  • Redaktion
Verletzungen vermeiden, geschmeidig bleiben und die Leistung verbessern - es gibt viele Gründe, warum sich Sportler vor dem Wettkampf dehnen. Leider bewirkt man mit Stretching oft das Gegenteil. Es wird Zeit, mit einigen der größten Mythen beim Dehnen aufzuräumen.

Jeder Hobbysportler dehnt sich schon aus reiner Gewohnheit während des Trainings und vor einem Wettkampf. Nachdem man sich kurz aufgewärmt hat, werden die wichtigsten Muskelgruppen gedehnt. Schließlich will man für sportliche Höchstleistungen fit sein. Was das Dehnen wirklich bringt, weiß aber kaum jemand. Darum halten sich auch hartnäckig viele Mythen über das Dehnen, das von vielen überschätzt wird. Beispielsweise schützt es nicht vor Verletzungen. Wenn man falsch dehnt, kann Stretching sogar Verletzungen verursachen.

Mythos I: Dehnen verhindert Verletzungen und Muskelkater

Ein Grund, warum viele Sportler sich dehnen, ist die Verletzungsprophylaxe. Denn Stretching soll die Muskeln geschmeidig halten. Dadurch will man Muskelverletzungen wie eine Zerrung oder einen Muskelfaserriss vermeiden. Leider ist ein gedehnter Muskel weder belastbarer noch elastischer. Das sagt Uli Kussin, der Leiter des Gesundheits-Trainingszentrum der Universität Paderborn (GTZ): „Es gibt neue Erkenntnisse zum Thema Dehnen, weil die Struktur des Muskels besser erforscht ist. Als gesichert gilt dabei, dass sich das Dehnen nicht direkt auf die Länge der Muskulatur auswirkt, sondern mehr auf den Sehnen- und Bandapparat.“

Für den Muskel kann übertriebenes Dehnen weit über der Schmerzgrenze sogar gefährlich sein. Die Gelenkreichweite nimmt durch das Stretching zu. Dadurch wird man beweglicher. Gleichzeitig nimmt die Schmerzgrenze ab. Dadurch lässt sich der Muskel weiter dehnen. Leider merkt man durch die gestörte Schmerzempfindung nicht, wenn der Muskel bis zum Zerreißen gespannt ist. Dadurch kann es zu hohen Spannungen und sogar zu Mikrorissen in der Muskulatur kommen, ohne dass man es sofort bemerkt.

Beim starken statischen Dehnen wird außerdem die Blutzufuhr im Muskel unterbrochen. Das hat negative Auswirkungen auf den Aufwärmprozess.

Um zu erklären, wann man dehnen sollte, nennt Kussin ein Beispiel aus der Tierwelt: „Hunde oder Katzen dehnen und strecken sich auch. Allerdings nicht vor einer anstehenden Belastung, sondern nachdem sie sich längere Zeit nicht bewegt haben. Dadurch halten sie die Muskeln beweglich. Es wäre ja auch unsinnig, wenn sich ein Hund erst dehnen müsste, bevor er einer Katze nachjagt.“

 


Mythos II: Dehnen verbessert die Leistung

Erst wenn der Muskel gedehnt, gelockert und entspannt ist, kann er seine wahre Stärke entfalten. Das ist der zweite, weit verbreitete Irrglaube. „Diese Aussage ist ebenso falsch wie gefährlich“, sagt Diplom-Sportwissenschaftler Uli Kussin. „Statisches Dehnen ist ähnlich anstrengend wie eine Kraftbelastung und ermüdet die Muskulatur, da der Muskel einer einwirkenden Kraft von außen widerstehen muss.“

Dazu gab es schon Untersuchungen mit Sprintern, die bestätigt haben, dass der Muskel durch Dehnen ermüdet. Die Läufer wurden in zwei Gruppen unterteilt und mussten zwei 40-Meter-Sprints absolvieren. Zwischen den beiden Sprints legten sie eine 15-Minütige Pause ein. Die eine Gruppe konnte sich zwischen den Läufen ausruhen, die andere absolvierte ein intensives Dehnprogramm.

Das Ergebnis spricht klar gegen das Dehnen. Während sich die Zeiten der Dehner deutlich verschlechterten, blieben die Laufzeiten der Kontrollgruppe nahezu gleich.

Der Grund für den Leistungseinbruch liegt im Aufbau der Muskulatur. Im Muskel überlagern sich kleinste Muskelfasern, die so genannten Aktin- und Myosinfilamente. Je weiter sich diese Muskelfasern überlappen, desto mehr Kraft kann der Muskel entfalten. Wenn man einen Muskel dehnt, zieht man auch die Aktin- und Myosinfilamente auseinander. Da es dann weniger Verbindungen zwischen den Filamenten gibt, kann der Muskel weniger Kraft entwickeln. Je weiter man also einen Muskel dehnt, desto weniger Kraft kann er entfalten. Kussin empfiehlt: „Vor einer körperlichen Belastung sollte man höchstens leichte dynamische oder federnde Dehnübungen machen, da sie die Muskulatur aktivieren.“


Mythos III: Dehnen wirkt einer Muskelverkürzung entgegen

Wenn man einen Muskel längere Zeit nicht dehnt, verkürzt er sich. Wenn das stimmen würde, könnten unsportliche Menschen nach ein paar Jahren wohl ihre Gliedmaßen kaum noch bewegen. Ein Muskel verkürzt sich nicht. Seine Gesamtlänge bleibt immer gleich. Darum kann ein Muskel durch Dehnen auch nicht verlängert werden. Aber die Beweglichkeit kann verbessert werden.

Wenn man von einem verkürzten Muskel spricht, meint man meistens, dass er wenig flexibel und seine Dehnfähigkeit stark eingeschränkt ist. Wenn diese „Verkürzung“ eintritt, sollte man nicht den verkürzten Muskel, sondern dessen Gegenspieler trainieren. Dann kann ein Kraft-Gleichgewicht hergestellt und Ruhespannung auf beiden Seiten erzeugt werden.

Es bleibt die Frage, ob Dehnen überhaupt etwas bringt und wann, bzw. wie man sich dehnen sollte.

Gerade während einer längeren Verletzung verliert der Muskel an Beweglichkeit. Dehnen spielt darum in der Prävention und Rehabilitation eine große Rolle und sollte nicht vernachlässigt werden. Uli Kussin rät dazu, nicht aufs Dehnen zu verzichten: „Durch Dehnen lässt sich die Gelenkreichweite verbessern und genau dafür sollte man es verwenden. Die Beweglichkeit wird verbessert aber weder schützt es vor Verletzungen noch hilft es bei Muskelkater. Deshalb sollte fürs Dehnen ein separater Trainingstag gewählt werden.“

Richtig Dehnen

Das Dehnen ist ein wichtiger Teil im Sport. Dabei gibt es ein paar Regeln, die man beachten sollte:
1. Niemals dehnen, solange die Muskulatur nicht aufgewärmt ist.
2. Dehnen darf niemals zur Qual werden. Es macht nichts, wenn Du beispielsweise bei einer Übung mit den Händen die Fußspitzen nicht berühren kannst.
3. Dehnen sollte immer in entspannter Haltung durchgeführt werden. Konzentriere Dich auf den Muskel nicht aufs Gleichgewicht.
4. Das Dehnen sollte an der Schmerzgrenze aber niemals darüber hinaus stattfinden. Ohne Spannungsgefühl kann auch kein Dehnungseffekt stattfinden.
5. Unterstütze die Dehnung durch bewusstes und betontes Ausatmen. Versuche nicht, den Atem anzuhalten.
6. Dehne über einen Zeitraum von mindestens 15 Sekunden oder vier bis fünf Atemzügen, um eine Wirkung zu erzielen.

Christian Riedel

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