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Aufgedeckt: Gibt es verkürzte Muskeln?

  • Nils Borgstedt
Wer sich schlecht bewegen kann, bekommt häufig zu hören: „Das liegt an Deinen verkürzten Muskeln“. Verkürzte Muskeln – gibt es das überhaupt?

Stelle Dich mit durchgestreckten Beinen schulterbreit hin, beuge Dich nach vorne und versuche, mit Deinen Händen den Boden zu erreichen. Klappt nicht? Dann sind Deine Muskeln verkürzt. Doch ganz so einfach ist es nicht!

Denn: Es gibt keine verkürzten Muskeln, wenn der Muskel gesund ist. Ein Muskel bleibt in seiner Länge unverändert, auch wenn man ihn nicht trainiert oder dehnt. „Die strukturelle Länge eines Muskels per se ist immer gleich, denn eine Veränderung der Anzahl und Länge der Sarkomere in Serienschaltung konnte in vivo beim Menschen bisher nicht nachgewiesen werden“, schreibt der Sportmediziner Dr. Kurt A. Moosburger in seinem Aufsatz „Was ist dran am Dehnen (Stretching) – Fakten und Mythen.“

Und auch Dr. Dr. Homayun Gharavi, Arzt und Sportwissenschaftler, bekräftigt diese Sicht aus seiner beruflichen Erfahrung. „Ein gesunder Muskel ist nicht verkürzt, sondern die neuronale Ansteuerung hält ihn in einer Position, die ihn verkürzt aussehen lässt. Sobald man die Nerven in der Anästhesie „schlafen gelegt“ hat, ist die vermeintliche Verkürzung nicht mehr gegeben. Man kann dann beispielsweise das gestreckte Bein bis ans Ohr legen“, erklärt er gegenüber netzathleten.de.

Und hier können Faszien eine entscheidende Rolle (Was sind Faszien) spielen. „Wie die Muskeln selbst, verfügen auch die Faszien über zahlreiche Rezeptoren, unter anderem Schmerz- und Dehnungsrezeptoren. Je nachdem welcher Reiz nun gesetzt wird, sendet die Faszie über das Rückenmark Signale an den Muskel und kann damit seine An- und Entspannung direkt beeinflussen.“, sagt Experte Gharavi. Sind die Faszien nicht intakt, nicht geschmeidig oder weisen kleine Verletzungen oder Verfilzungen auf, könnten – vereinfacht ausgedrückt – falsche Signale an die Muskulatur gesendet werden. In der Folge verspannt sich die Muskulatur. Das zeigen auch die Forschungen von Dr. Robert Schleip an der Universität Ulm, an der er der Fascia Research Group, Division of Neurophysiology als Direktor vorsteht. Und damit schließt sich der Kreis, dass eine falsche Kontraktion des Muskels zu einer vermeintlichen Verkürzung führt, strukturell der Muskel aber seine Länge nicht verändert.

Wer seine Faszien regelmäßig trainiert und geschmeidig hält, sollte folglich auch mit „verkürzten“ Muskeln keine Probleme mehr haben.

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