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Zum Erfolg verdammt – Erwartungsdruck im Sport

  • Christian Riedel
Wer im Sport erfolgreich sein möchte, muss auch lernen, mit Druck umzugehen. Wohl keiner hat uns das so oft gesagt, wie der frühere Nationaltorwart Oliver Kahn. Während die einen unter dem Druck zusammenbrechen ist er für die anderen eine zusätzliche Motivation. Insofern ist es für jeden wichtig, der erfolgreich sein will, dass man dem Druck standhalten kann.

Wahrscheinlich hat kein anderer Sportler so oft über das Thema Druck gesprochen wie der „Titan“. Das Thema hat sich zu so etwas wie dem Spezialgebiet des 86-fachen Nationalspielers entwickelt. Und Oliver Kahn weiß, wovon er redet, denn während seiner Karriere war er immer Druck ausgesetzt. Schon als Spieler des FC Bayern München wurden von ihm Titel und Top-Leistungen erwartet, schlechte Leistungen wurden besonders kritisch gesehen. Aufgrund seines extrovertierten Charakters setzte er sich noch zusätzlichem Druck aus. Kahn stand im Tor des besten deutschen Fußballvereins, hütete zwölf Jahre das Tor der Nationalmannschaft und ging immer voran, wenn es darum ging, sich der Öffentlichkeit zu stellen. Das machte ihn als Spieler angreifbar und schneller zum Opfer von Attacken der Medien sowie der gegnerischen Fans. Fehler von Kahn wurden auch immer kritischer gesehen, da er mehr im Fokus der Öffentlichkeit stand und immer auch einem höheren Erwartungsdruck ausgesetzt war. Aber bei Oliver Kahn konnte man den Eindruck gewinnen, dass er diesen Druck brauchte, um seine Topleistung abrufen zu können. Andere Sportler dagegen würden an solche einem Druck dagegen zerbrechen. Doch bevor wir uns die Frage stellen, wie man mit Druck umgehen kann, müssen wir zunächst zwischen verschiedenen Arten des Drucks unterscheiden.

Druck von außen


Druck von außen ist leichter wahrzunehmen. Ihn gibt es auf verschiedenen Ebenen, die vom Sportler mehr oder weniger intensiv wahrgenommen werden. Am auffälligsten und für Außenstehende am deutlichsten ist die Erwartungshaltung der Medien. Hier werden häufig schon vor dem Wettkampf Erfolge und Siege eingefordert. So konnte man bei vergangenen Fußball-Großereignissen entsprechend martialisch anmutende Schlagzeilen lesen, in denen die Nationalspieler zum Siegen verdammt werden. „Adios Diego! Dein Messi kriegt heute auf die Fressi“ (BILD, 3. Juli 2010) oder „Jetzt plätten wir die Letten“ (BILD, 16. Juni 2004) sind nicht nur klare Gewinn-Ansprüche an die Mannschaft, sondern bieten bereits Zündstoff für eventuelle Niederlagen. Gerade wenn der Gegner im Vorfeld kleingeredet wird, kann eine Niederlage medial leichter ausgeschlachtet werden. Zudem suggeriert eine solche Überschrift, dass ein Sieg beinahe eine Selbstverständlichkeit ist. Eine Niederlage schlägt gleich doppelt schwer zu buche.

Sobald ein Sportler die ersten Erfolge gefeiert hat, steigt auch die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit. Ein erfolgreicher Sportler ist durch seine Präsenz in den Medien eine Person des öffentlichen Interesses, der bei Großereignissen sein Land nach außen vertritt. Ein Misserfolg kann so auch auf die Nation übertragen werden. Dies wird besonders deutlich bei Ländern, die sich, auch über sportliche Erfolge definieren, wie beispielsweise China oder ehemals die DDR. Entsprechend wird von diesen Athleten auch mehr Leistung erwartet und zusätzlicher Druck aufgebaut. Diese Erfolgserwartung wird entsprechend höher, je erfolgreicher ein Sportler in der Vergangenheit war. Von einem Tennisspieler, der auf Platz 129 der Weltrangliste liegt und gerade sein erstes Turnier gewonnen hat, erwartet niemand einen Sieg in Wimbledon, auch wenn in einigen Boulevard-Medien in solchen Fällen darauf spekuliert wird. Von einem zweifachen Olympiasieger hingegen wird dagegen bei einer Europameisterschaft ein Sieg erwartet. Umso heftiger fällt die Kritik aus, wenn der Erfolg ausbleibt.

Je nachdem, wie viel Aufmerksamkeit die Medien einem Sportler im Vorfeld einer Veranstaltung schenken, kann diese Erwartungshaltung Belastung sein oder einen zusätzlichen Schub geben. Dies hängt immer von der individuellen Psyche des Athleten ab. Für den einen kann der mediale Druck Ansporn sein, da er immer wieder auf die eigene Leistungsstärke aufmerksam gemacht wird. Weiter kann er sich der Unterstützung aller Leser oder Zuhörer sicher sein, die ihn im entscheidenden Moment anfeuern oder ihm zumindest die Daumen drücken. Auf der anderen Seite können sich auch Versagensängste einstellen. Mit der Angst vor der Niederlage im Kopf, können die Gedanken zu den Konsequenzen hin abschweifen oder man ist weniger bereit, Risiken einzugehen bzw. hat Angst, Fehler zu machen, worunter die sportliche Leistungsfähigkeit leidet.

Am Druck zerbrochen


Besonders deutlich wurde der mediale Druck bei Ex-Fußballprofi Sebastian Deisler. Der Mittelfeldspieler wurde in einer Zeit, als es im deutschen Fußball wenige Talente gab, von den Medien zu einer Art Heilsbringer stilisiert. Doch zahlreiche Verletzungen warfen Deisler immer wieder weit zurück, sodass er nur selten sein Talent zeigen konnte. 2003 musste er aufgrund von Depressionen eine weitere Pause einlegen. Nach zahlreichen Knieverletzungen und Krankheiten erklärte Deisler Anfang 2007 sein Karriereende. Neben den körperlichen Problemen war vor allem der enorme Druck der Öffentlichkeit und der Medien, dem er seiner ganzen Karriere über ausgesetzt war, dafür verantwortlich, dass Deisler die Lust am Sport verlor.

Auch die deutsche Fußball-Nationalmannschaft der Damen scheiterte bei der Heim-WM 2011 nicht zuletzt auch am öffentlichen Druck, wie Siegfried Dietrich, Manager des 1.FFC Frankfurt der »Münchner Abendzeitung« sagte: „Die Erwartungen waren zu hoch. Die Spielerinnen sind wahrscheinlich daran gescheitert, dass alles nur auf den WM-Sieg ausgerichtet war. Dieser Druck war ein ständiger Begleiter für alle – auch die Verantwortlichen.“ Die deutschen Spielerinnen waren es nicht gewohnt, permanent im Fokus der Öffentlichkeit zu stehen. Sie gingen als Titelverteidiger und großer Favorit ins Turnier und verloren im Viertelfinale gegen Japan, nachdem sie bereits in den Spielen zuvor gehemmt schienen.

Druck aus dem Umfeld


Ob ein Athlet Zeitung liest oder Vorberichte für seine Wettkämpfe anschaut, ist jedem überwiegend selber überlassen. Schwieriger wird es, wenn aus dem direkten Umfeld Druck auf den Sportler ausgeübt wird. Zum direkten Umfeld zählen hier Menschen, die dem Athleten nahe stehen. Freunde und Familienmitglieder, vor allem aber Trainer und Mannschaftskollegen können dieser Gruppe zugeordnet werden. Problematisch ist vor allem die direkte menschliche Nähe. Dadurch kommt zur Erwartungshaltung eine persönliche Komponente hinzu. Wenn in den Medien Druck aufgebaut wird, kann man diesen eher ignorieren, als wenn ein Trainer unter Androhung von Konsequenzen Erfolge einfordert.

Profisportler sind noch einem zusätzlichen Druck ausgesetzt. Denn bei ihnen spielt neben dem reinen sportlichen Erfolg auch die Existenzangst mit. Sportler werden zum großen Teil für ihre Leistung bezahlt. Bleibt diese Leistung aus, werden weniger Prämien bezahlt oder das Gehalt reduziert. Insofern stehen Profis unter größerem Druck als Hobby-Sportler.

Besonders bei Kindern ist es schwierig, wenn die Eltern Druck auf junge Sportler ausüben. Zeigt der Nachwuchs beispielsweise Talent für Tennis, haben einige Eltern bereits die Hoffnung, den nächsten Boris Becker großzuziehen. Entsprechend müssen die Kinder bei ihrem Sport erfolgreich sein. Zudem werden die Kinder öfter zum Training geschickt, teure Trainer engagiert und die beste Ausrüstung gekauft. Diese zeitlichen und finanziellen Investitionen können dann auch den Kindern vorgehalten werden, wenn sich der Fortschritt nicht direkt einstellt. Gleichzeitig üben viele Eltern Kritik an den Kindern, wenn sie nicht erfolgreich sind. „Streng dich doch mal an“, „das kannst du doch besser“ oder „warum gibst du so schnell auf“ sind häufige Sätze, wenn Kinder Sport treiben. Diese Kritik, teilweise sogar verbunden mit der Androhung von Strafen, setzt viele Kinder unter enormen Druck. Das führt meistens dazu, dass die Kinder schnell die Lust am Sport verlieren.

Der innere Druck


Viele Sportler setzen sich selber einem permanenten Druck aus, um in ihrem Sport erfolgreich zu sein. Dabei erwarten sie von sich selbst teilweise mehr als das Umfeld. So werden zweite Plätze von diesen Sportlern bereits als Niederlage betrachtet, was dazu führt, dass man nur im absoluten Erfolgsfall zufrieden ist. Diese extreme Erwartungshaltung kann sowohl gesundheitliche wie auch psychische Probleme nach sich ziehen.

Wer von sich selber immer Top-Leistungen verlangt, neigt dazu, länger und härter zu trainieren und dadurch zu viel zu geben. Zudem läuft man Gefahr, Verletzungen nicht ausheilen zu lassen oder trotz Problemen weiter zu trainieren. Ohne dem Körper eine Pause zu gönnen, kommt man schnell in ein Übertraining. Dadurch bleibt auch der Trainingsfortschritt aus. Und wenn man Verletzungen nicht ausheilen lässt, verschlimmern sich die Probleme oder es können sogar dauerhafte gesundheitliche Schäden entstehen.

Auch die Psyche kann unter dem permanenten Druck leiden. Wenn man sich selber gegenüber die Erwartung hat, immer Erfolg zu haben und immer seine optimale Leistung abzurufen, kann das zum einen lähmen, da auch hier die Angst vor dem Versagen oder der Niederlage eine große Rolle spielt. Zum anderen drohen schwere Probleme, wie Burnout oder Depressionen.

Grundsätzlich ist es nicht falsch, gewisse Erwartungen an sich selber zu haben. Das kann die Motivation fürs Training und für den Wettkampf steigern und so die Leistung verbessern. Zudem wird man in der Regel konzentrierter und ehrgeiziger agieren, wenn man Spannung verspürt. Einige Athleten, wie eben Oliver Kahn, setzen sich persönlich dem extrem großen Druck aus, immer der Beste sein zu wollen. Das beste Beispiel ist hierfür allerdings Ex-Schwergewichtschampion Muhammad Ali, der von sich selber gerne behauptete, der Größte zu sein („I´m the greatest“). Andere Sportler geben gerne große Ziele an, etwa Wimbledon gewinnen oder die Tour de France gewinnen zu wollen. Gelingt das, wie bei Lance Armstrong, steigt ihr Ruhm. Gelingt es nicht, wie bei Ivan Lendl, der seine ganze Karriere niemals in Wimbledon gewinnen konnte, müssen sie mit öffentlicher Kritik oder sogar mit Spott leben.

Sich selber große Ziele zu setzen, kann hilfreich sein, solange man den Sinn für die Realität nicht aus den Augen verliert. Denn auch wenn man einmal der Beste war, muss man akzeptieren, wenn man älter wird oder wenn ein anderer Sportler besser ist. Solange man dies als Ansporn betrachtet und sich nicht selber unter noch größeren Druck setzt, ist das kein Problem und kann sogar die Leistung noch einmal verbessern bzw. eine Niederlage nicht zur persönlichen Katastrophe werden lassen.

Grundsätzlich muss Druck nichts Schlechtes sein. „Druck ist okay, doch man sollte ihn als Herausforderung begreifen - als etwas Positives“, sagte Oliver Kahn in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“. „Aber das ist leicht gesagt. Wenn du im Tunnel steckst, wenn du merkst, du wirst besser und besser, dann wird der Druck irgendwann immer größer. Und man dringt als Mensch in extreme Bereiche vor - in Bereiche, in die man nie kommen wollte.“ Ein Allheilmittel gegen Druck gibt es nicht, da die Psyche jedes Athleten zu unterschiedlich ist. Hier muss jeder für sich selber entscheiden, ob er lieber etwas Druck von sich nimmt und auch sein Umfeld darum bittet, weniger Druck aufzubauen oder ob er mehr Druck braucht, um mehr Leistung aus sich herauszukitzeln. Es ist eben der schmale Grat, wie man selber mit dem Druck umgeht, dem man beim Sport ausgesetzt ist.

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