Dysfunktionen erkennen - Der Functional Movement Screen Marco Heibel

Dysfunktionen erkennen - Der Functional Movement Screen

  • Dr. med. Markus Klingenberg
Die Ursache vieler Sportverletzungen liegt in ausgeprägten Asymmetrien und Dysbalancen im Bewegungsapparat. Werden diese schon vor einer Verletzung im Rahmen eines Screens erkannt und durch korrigierende Übungen behoben, lassen sich viele Verletzungen im Vorfeld vermeiden. Das ist das Ziel des Functional Movement Screen.

Sportler verletzen sich häufig wiederholt an der gleichen Stelle und leiden an sportartspezifisch typischen Beschwerden (Sprunggelenkdistorsion, Tennisellenbogen, etc.). Oft sind Asymmetrien und Dysbalancen schuld, die langfristige Probleme verursachen. Rechtzeitig erkannt und behandelt, würden aus diesen Schwachstellen weniger Probleme entstehen. Hier kann ein Functional Movement Screen frühzeitig helfen.

Eine typische Situation:
Ein Sportler versucht, bei gestreckten Knien mit den Fingerspitzen die Zehen zu erreichen und schafft es nicht. Schmerzen bereitet ihm die Bewegung nicht.

Warum?

Geschätzt 80-90 Prozent der Trainer und Orthopäden werden auf eine verkürzte ischiocrurale Muskulatur der Oberschenkel Rückseite tippen und eine entsprechende Dehnung verordnen. Ein an sich logischer Schluss möchte man meinen, der in einigen Fällen auch richtig ist. Untersuchungen an ausreichend großen und repräsentativen Sportlergruppen haben aber gezeigt, dass in nur etwa 25 Prozent der Fälle eine ein- oder beidseitigen Verkürzung der Oberschenkelrückseite die alleinige Ursache für die Unbeweglichkeit darstellt.

Dysfunktionen

Weitere Dysfunktionen im Bereich der Rumpfmuskulatur, der Lendenwirbelsäule und der Hüftgelenke werden leicht übersehen. Wir vermuten die wahrscheinlichste Ursache aufgrund unserer Erfahrung und Gedankenmodelle und liegen damit auch oftmals richtig, aber eben nicht immer.

Es ist sinnvoll und hilfreich, Beschwerden wenn möglich auch zu objektivieren. In der modernen Medizin erwarten wir das von unserem Arzt als Standard. Je nachdem um welches Gewebe es sich handelt, wählen wir die entsprechende Diagnostik:

Schmerzen an den Knochen - Röntgen, CT, ggf. MRT
Schmerz oder Schwellung an den Weichteile - Ultraschall, MRT
Schmerzen oder Rhythmusstörung am Herz - EKG

Aber wie erkennt man Dysfunktion am Bewegungsapparat?

Es ist Standard, den Fokus auf ein Gelenk oder eine bestimmte Muskelgruppe zu legen und das auch mit aktiven und passiven Untersuchungstechniken zu diagnostizieren und entsprechend zu bekämpfen. Doch bei keiner Bewegung ist nur ein Gelenk oder ein einzelner Muskel beteiligt. Komplexe Bewegungsabläufe werden sehr viel seltener überprüft. Praktisch ist es, wenn eine Dysfunktion möglichst reproduzierbar und objektiv festgestellt und dann möglichst zielgerichtet korrigiert werden könnte.

FMS & SFMA

Einen erfolgreichen Ansatz hierfür bietet ein „Screen“. Der von Gray Cook entwickelte FMS (Functional Movement Screen) wird in den USA und in Europa bereits häufig im Spitzensport verwendet. Dieser Screen wird bei gesunden Sportlern ohne Schmerzen eingesetzt, um Dysfunktionen in den Bereichen Mobilität und Stabilität noch vor Auftreten einer Verletzung oder Überbeanspruchung festzustellen.

Ergänzend liefert der SFMA (Selective Functional Movement Assesment) für Sportler und Patienten mit Schmerzen im Bereich des Bewegungsapparats eine „gemeinsame Sprache“ für Physiotherapeuten und Ärzte, um schon bestehende Beschwerden zielgerichtet diagnostizieren zu können.

Im Fokus des Screen (FMS) stehen nicht einzelne Muskeln, sondern komplexe Bewegungsmuster, die die Muskulatur und Gelenke unter Belastung testen.

Beispiel: Ein in Rückenlage bei einer orthopädischen Untersuchung frei bewegliches Hüftgelenk bedeutet noch lange nicht, dass ein Sportler unter Belastung (Kniebeuge, Richtungswechsel beim Laufen, etc.) diese Hüfte ausreichend kontrolliert bewegen kann. Chronische Überbelastungen im LWS Bereich oder im Knie, die die Basis für eine Verletzung bilden können, werden dann schnell übersehen.

Schlussfolgerung: Den Bewegungsapparat sollte man wenn möglich auch in Bewegung und unter Belastung untersuchen.

Mobilität und Stabilität

Überprüft werden beim FMS sieben grundlegende Bewegungsmuster und deren Bewegungsqualität im Hinblick auf Mobilität und Stabilität bei der Ausführung. Das Zusammenspiel verschiedener Muskeln und Gelenke und deren zentral gesteuertes Bewegungsmuster stehen im Vordergrund der Analyse. Der Functional Movement Screen dient nicht dazu, orthopädische Beschwerden zu diagnostizieren. Es werden Asymmetrien und schmerzfreie Bewegungseinschränkungen festgestellt. Diese Defizite bilden die Grundlage für das folgende korrigierende Training. Aus welchem Bereich der Arzt, Trainer oder Physiotherapeut anschließend die ausgleichende Übungen (corrective exercises) wählt, bleibt ihm überlassen. Auf diese Weise können bei Bedarf die unterschiedlichen Fachgruppen effektiv zusammen arbeiten.

Die Bewegungsmuster

Die folgenden sieben Bewegungsmuster werden wenn möglich beidseits überprüft:
- Überkopfkniebeuge
- über eine Hürde steigen
- Ausfallschrittkniebeuge mit beiden Füßen auf einer Linie
- Schulterbeweglichkeit
- gestrecktes Beinheben in Rückenlage
- Rumpfstabilitäts-Liegestütz
- Rotationsstabilität im Vierfüßlerstand

Treten bei der Ausführung der Bewegungen Schmerzen auf oder stellt sich ein Sportler/Patient direkt mit Schmerzen vor, eignet sich der SFMA zur Diagnose der zu Grunde liegenden Störung. Die Ursache der Beschwerden liegt dabei ja häufig nicht an der Stelle im Körper, die sich primär als schmerzhaft präsentiert. Ein typisches Beispiel sind Schmerzen hinter der Kniescheibe (lat.: retropatellar), deren Ursache in einer Bewegungseinschränkung des oberen Sprunggelenks (= Störung eine Etage tiefer) oder einem Stabilitätsdefizit der Hüftmuskulatur liegt (Störung eine Etage höher).

Die Bewertung - Du kannst nichts managen, was du nicht auch misst
Die Bewegungsmuster werden qualitativ nach einem einfachen Punktesystem erfasst. Drei Punkte werden vergeben, wenn eine Übung perfekt ausgeführt wird. Zwei Punkte werden vergeben, wenn das Bewegungsmuster nur mit Kompensations- oder Ausweichbewegungen durchgeführt werden kann. Kann die Übung nicht durchgeführt werden, gibt es einen Punkt und bei Schmerzen während der Bewegungsausführung null Punkte. Maximal können also 21 Punkte erreicht werden. Prospektive Studien haben ergeben, dass ein Sportler mit einem Punktwert unter 14 ein über 50-prozentiges Verletzungsrisiko im Bereich des Bewegungsapparates besitzt. (http://functionalmovement.com/de/articles/research)

Der Ablauf

Die Durchführung des Tests dauert ca. 10-15 min. Bei Defiziten werden individuell abgestimmte Korrekturübungen (corrective exercises) mit dem Sportler besprochen. Diese werden möglichst täglich und beim Training für wenige Minuten zusätzlich durchgeführt. Dazu existiert auch online und kostenfrei eine Exercise Libary auf der FMS Seite (http://functionalmovement.com/de/exercises).

Ein erneut durchgeführter Screen nach wenigen Wochen objektiviert anschließend die erzielten Verbesserungen.

Umfangreiche weitere Informationen sind auch auf folgenden Webseiten zum Teil frei verfügbar:
www.functionalmovement.com
www.graycook.com
www.movementbook.com
www.move2perform.com

Details

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  • Star Vita: Dr. med. Markus Klingenberg arbeitet und als Arzt mit den Schwerpunkten Sport- und Ernährungsmedizin und Personal Trainer in Bonn und in der Sportorthopädie der Klinik-am-Ring in Köln. Mehrmals pro Jahr arbeitet er zudem als Tauchmediziner im indischen Ozean. Seine Schwerpunkte umfassen ein Personal Training, Ernährungs-Coaching, und die Leistungsdiagnostik. Als ehemaliger Leistungssportler kombiniert Dr. med. Markus Klingenberg sein Wissen als Sportmediziner und Personal Trainer, um für seine Kunden nachhaltig erfolgreiche individuelle Konzepte zu entwickeln und umzusetzen.
  • Star Erfolge: Arzt, Sportmediziner, Notarzt

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