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Interview mit Tolga Öngören – „Die Zahl der Deutschen muss sich ändern!“

Im großen Crossover-Interview spricht Tolga Öngören (Foto), der neue Head Coach von EnBW Ludwigsburg, über die letzte Saison, die Quote im deutschen Basketball, die NBA-Stars Hedo Turkoglu und Mehmet Okur sowie die bevorstehende Europameisterschaft in Polen.

Crossover: Wenn Sie auf die vergangene Saison zurückblicken, wie bewerten Sie diese?
Tolga Öngören: Ich denke, wenn man die Saison bewerten möchte, muss man zunächst in die Sommerpause zurückschauen. Letzten Sommer hatten wir einige Schwierigkeiten, und es war schwer, ein Team zusammenzustellen. Mit ein wenig Glück haben wir es geschafft und uns zwei Ziele gesetzt. Das erste: Wir wollten uns im Vergleich zur Vorsaison weiterentwickeln, das heißt mehr Spiele gewinnen, die Persönlichkeit des Teams und die Art und Weise, wie wir Basketball spielen, verbessern. Das zweite Ziel war die zweite Mannschaft in die 1. Regionalliga zu führen.

Natürlich hätten wir drei oder vier Spiele mehr gewinnen können, aber man hat eben gute und schlechte Tage und mit unserem Kader waren Verletzungen natürlich doppelt so schlimm. Viele Einzelspieler haben sich weiterentwickelt, das Team hat sich weiterentwickelt. Ich denke, wir haben den Fans viel Spaß bereitet und konnten natürlich einige Ausrufezeichen setzen, indem wir sehr starke Teams zuhause schlagen konnten und auswärts ebenfalls sehr enge Spiele hatten. Ich kann mich über die Saison nicht beschweren, es war eine gute Saison.

Was würden Sie anders machen?
Der Schüssel ist natürlich immer die Sommerpause. Dort muss man schauen, was man anders hätte machen können. Wenn ich den Kader betrachte, hätten die Tigers einen weiteren Combo-Guard benötigt, der in engen Situationen das Spiel in die Hand hätte nehmen können. Außerdem wäre ein athletischerer Ersatzmann für Rasko Katic wichtig gewesen. Des Weiteren hätte ich noch gerne bessere Defensivspieler gehabt. Leider war das nicht möglich, wir hatten ja schon so genug Probleme, zehn Mann zusammenzubringen. Auch dass wir Michael Haynes als Power Forward einsetzen mussten, stellte uns vor gewisse Probleme. Normalerweise spielt er Small Forward. Zwar hat er uns in der Offensive ein schnelles Spiel ermöglicht, dennoch hatte er in der Defensive einige Probleme mit den größeren und kräftigeren Spielern. Ich hätte mir mehr professionelle Strukturen, vor allem für das Team gewünscht. Dies sind alles Dinge, die man in der Sommerpause anpacken muss, die dann während der Saison kaum zu verbessern sind.


Wie bewerten Sie die Deutschquote in der BBL? – ist diese notwendig?
Ich denke, dass etwas korrigiert werden muss. Es gibt keine andere Liga in Europa, wo nur vier Einheimische und acht Ausländer spielen. Als Herr Bauermann dieses Problem angesprochen hat, hatte ich die gleiche Meinung. In der Türkei hatten wir ähnliche Probleme, konnten diese aber durch konsequentes Durchgreifen beheben. Die Anzahl der deutschen Spieler muss sich in der BBL ändern.

Dirk Bauermann fordert eine konsequentere Quote, würde dies in der BBL funktionieren?
Ja, natürlich kann das funktionieren. Aber nichts ändert sich in Tagen oder Wochen. Es ist eine Investition in die Zukunft. Wenn jeder daran glaubt, dass mehr Zuschauer kommen, wenn mehr Deutsche spielen; wenn man mehr gute deutsche Spieler für den nationalen Wettbewerb und die Nationalmannschaft braucht, dann gibt es kein Argument, dies nicht zu tun!

Wenn Sie die jungen deutschen Spieler betrachten: Welche haben Ihrer Meinung nach das größte Potential?
Ich kenne viele gute Spieler mit großem Potential. Ich denke, Johannes Lischka ist sehr gut, Phillipp Heyden hat ein großes Potential. Ich habe diese Spieler noch nie trainiert, ich sage nur meine Meinung, wie ich sie in der BBL oder ProA spielen sehe. Aber bei Lischka denke ich, er hat die größten Chancen, ein sehr guter Spieler zu werden. Er bekommt Spielzeit, das ist das wichtigste, wenn man jung ist.

Wie wird in der Türkei die Jugend gefordert? Gibt es dort ebenfalls eine „Ausländerbeschränkung“, wie sieht diese aus?
Ja, natürlich. Aber die Jugendarbeit ist viel härter. Die Spieler trainieren meist zwölf Monate. Ich kenne kein türkisches Talent zwischen 15 und 18 Jahren, das mehr als eine Woche Ferien macht. Ein 17-jähriger Nachwuchsspieler spielt in der Türkei mit seinem Verein und der Jugendnationalmannschaft ca. 60 bis 70 Spiele im Jahr. Dies ist sehr wichtig.


Wie professionell sind deutsche Vereine, welche Strukturen fehlen in Deutschland, um Basketball auf einem sehr hohen Niveau zu spielen?
Es gibt viele deutsche Vereine, die sehr professionell geführt werden. Manche müssen sich natürlich noch verbessern. Wenn man professionell Basketball spielt, müssen natürlich gewisse Strukturen vorhanden sein. Diese sind in den großen europäischen Ligen vorhanden. Deutsche Vereine, die diese Strukturen noch nicht haben, wissen natürlich, wie diese Strukturen auszusehen haben und müssen auch darin investieren.

Wo sehen Sie die BBL im europäischen Vergleich? – Was muss sich ändern?
Die BBL ist auf einem guten Weg. Wenn man eine starke heimische Liga hat, sieht man dies auch im europäischen Vergleich. Der Unterschied der BBL zu anderen europäischen Ligen ist der, dass es in der BBL ein offeneres Spiel mit wenig Körperkontakt ist. Das ist in Ordnung, nur muss man dann diese Spielweise perfektionieren und auf einem sehr hohen Level praktizieren. Im europäischen Vergleich steht die BBL zwischen Platz sechs und acht. Je besser das Management und die Strukturen sind, desto mehr kann man natürlich auch im europäischen Wettbewerb erreichen.

Die Tigers haben Ihren Vertrag nicht verlängert. Wo sehen Sie Ihre sportliche Zukunft? Werden Sie in Deutschland bleiben?
Als ich die Türkei verlassen habe, war dies eine große Entscheidung für mich und meine Familie. Wir haben eine Reise angetreten und möchten diese noch nicht beenden. Am liebsten würden wir in Deutschland bleiben. Ich mag Deutschland sehr, habe sehr gute Freunde in Tübingen und meine Familie hat sich sehr gut eingelebt. Meine Tochter wird demnächst auf eine staatliche Schule gehen, auch um die Kultur kennenzulernen. Wenn ich in Deutschland keinen neuen Arbeitsgeber finde, werde ich mich in Europa umschauen.

Anmerkung der Redaktion: Das Interview wurde vor der Bekanntwerden geführt, dass Öngören nächste Saison als Head Coach von EnBW Ludwigsburg tätig ist.


Tübingen war Ihre erste Station als Trainer in Europa. Welche Unterschiede gibt es?
In der Türkei habe ich fast jedes Niveau trainiert. Ich habe Euroleague-Vereine trainiert, habe meinen Heimatclub beim Neuaufbau geholfen und habe mit der türkischen Nationalmannschaft gearbeitet. In der Türkei hat Basketball eine andere Dimension. Dort muss man auch nicht für die Übertragungen bezahlen. Der größte Unterschied ist aber die Jugendarbeit. Deutsche Vereine sind im Bereich der Ticketvermarktung besser aufgestellt, aber die Jugendarbeit ist in der Türkei viel stärker, es wird mehr investiert, die Vereine stecken Geld in Jugendtrainer. Dies sind sehr gute Trainer, die auch problemlos eine professionelle Mannschaft trainieren könnten. Das sind für mich die größten Unterschiede zu Deutschland.

Welche Rolle spielte Frankfurts Trainer Murat Didin bei Ihrer Entscheidung, nach Deutschland zu gehen?
Eine sehr große Rolle. Als Spieler und Trainer war ich schon sehr oft in Deutschland, aber noch nie in Tübingen. Er hat mir viele gute Dinge über den Verein und die Menschen dort erzählt. Er hat zu mir gesagt: „Du bist jung, komm einfach, mach das Team besser und dann wird das schon.“

Mit 17 Jahren wurden Sie in die türkische Jugendnationalmannschaft berufen. Wie hat Sie die Zeit dort geprägt?
Das Programm der türkischen Jugendnationalmannschaft durchzumachen, war großartig für mich. Dort fiel die Entscheidung, professionell Basketball zu spielen. Ich war ein guter Schüler und habe mich dann mit meinen Eltern und meinem Trainer zusammengesetzt und entschieden, dass dies der richtige Weg ist. Es war eine harte Zeit, ich hatte kein anderes Leben außer Basketball und Schule. Mit 17 habe ich gleichzeitig mit der Nationalmannschaft, dem Jugendteam und dem Profiteam in drei Wettbewerben gespielt. Selbst als ich verletzt war, konnte ich keine Ferien machen.


Ihre Karriere als Spieler lässt sich auf drei Vereine beschränken, mit Efes Pilsen Istanbul haben Sie den Pokal und die Meisterschaft gewonnen, dann sind Sie zu Tofas Bursa gewechselt und blieben neun Jahre! In der Nationalmannschaft haben Sie fast 50 Länderspiele absolviert. Was waren Ihre Höhe- und Tiefpunkte während dieser Zeit?
Es war eine sehr schöne Zeit. Efes Pilsen und Tofas spielen auf einem hohen Niveau. Ich habe mit großartigen Head Coaches zusammengearbeitet, habe mit tollen Spielern gespielt und sehr viel gelernt. Ich habe meiner Mutter vor dem Wechsel nach Bursa gesagt, dass ich zwei Jahre dort bleibe, am Ende waren es neun erfolgreiche Jahre.

1997 haben Sie Ihre Karriere beendet und haben ein Jahr lang als Assistenz-Trainer an der Purdue University im US-Bundesstaat Indiana gearbeitet. Ihr Mentor dort war kein geringerer als Gene Keady. Was haben Sie von ihm gelernt, und wie hat Sie diese Zeit beeinflusst?
Dies war das beste, was mir als Trainer geschehen konnte. Ich hatte einige Optionen, wohin ich gehen konnte, habe mich aber für Gene Keady und sein Basketballprogramm entschieden. Ich war dort ein Jahr Mitglied des Trainerstabs und kann nicht beschreiben, was ich dort alles gelernt habe. Mit Bruce Weber, Keadys damaliger Assistent und einer der besten College-Coaches, habe ich immer noch sehr engen Kontakt. Diese Zeit war eine sehr wichtige Zeit für meine Perspektiven im Basketball.


Mit Hedo Turkoglu und Mehmet Okur haben Sie zwei NBA-Stars trainiert. Haben Sie schon damals deren Potential gesehen?
Mit Hedo habe ich in der Nationalmannschaft gearbeitet, mit Okur auch bei Tofas Bursa. Beide sind sehr gute Basketballspieler. Hedo war bereits mit 17 Jahren in der Startformation von Efes Pilsen. Er kann auf dem Platz einfach alles machen, was du von ihm möchtest; er ist ein echter Prototyp Basketballspieler. Mehmet ist ein talentierter Big Man, er hat eine sehr harte Mentalität. Er weiß, was er möchte und weiß auch, was er erreichen kann. Als wir Mehmet unter Vertrag genommen und mit ihm gearbeitet haben, wussten wir, dass er eines Tages in der NBA spielen wird. Wir hatten keine Zweifel, dass er im Draft gezogen wird.

Turkoglu steht mit den Magic in den NBA Finals, was trauen Sie den Magic zu?
Die Magic und Hedo hatten ein großartiges Jahr. Wenn man mich nach dem Team des Jahres fragen würde, würde ich Orlando wählen. Aber wenn man mich fragt, wer näher an der Meisterschaft ist, würde ich die Lakers auswählen. Das Team, Kobe Bryant und der Trainerstab haben eine Menge Erfahrung und arbeiten seit Jahren zusammen. Es ist nicht einfach, die Lakers im Staples Center zu schlagen. Es ist nicht einfach, aber die Magic haben bereits gegen die Cleveland Cavaliers gezeigt, was für eine gute Mannschaft sie sind.

Anmerkung der Redaktion: Die Lakers sind mittlerweile Champion, das Interview wurde während der Finals geführt.

Wie wichtig ist dabei Turkoglu?
Ich habe einige Playoff-Spiele von ihm gesehen, bei denen er zwölf oder 13 Assists hatte. Er trifft Buzzerbeater, spielt manchmal als Aufbauspieler. Hedo kann das Spiel mit seinen Pass-, Rebound- und Wurffähigkeiten an sich reißen. Er kann aus dem Dribbling werfen, zum Korb ziehen und wenn er seinen Rhythmus findet, wird es schwer, ihn zu stoppen.

Macht es Sie stolz, dass zwei ehemalige Schützlinge von Ihnen in der NBA spielen?
Natürlich, es ist ein großartiges Gefühl, dass diese Jungs die Türkei vertreten. Jeder in der Türkei mag sie, und sie machen eine großartige Arbeit.


Im September ist die Europameisterschaft in Polen. Wie sehen Sie die Chancen für Ihr Heimatland?
Wenn man heutzutage die europäischen Nationalmannschaften betrachtet, gibt es dort zehn oder elf Länder, die die Europameisterschaft gewinnen können. Die entscheidende Rolle spielt dabei natürlich der Kader, ob man seinen Rhythmus finden und sich in dieser Zeit als Mannschaft weiterentwickeln kann. Das türkische Team hat viel Potential, selbst ohne die NBA-Spieler, aber die Frage ist natürlich, wie gut die Mannschaft während dieser zwei Wochen ist. Natürlich spielen dabei Verletzungen eine wichtige Rolle, aber entscheidend ist, dass man als Team auftritt und sein Ego zur Seite stellt.

Wie wichtig ist es, dass die beiden NBA-Stars dabei sind?
Natürlich sind diese Spieler wichtig. Aber es ist noch wichtiger, ob diese Spieler überhaupt spielen möchten, ob sie alles für ihr Land geben. Wenn sie nur zeigen möchten, wie gut sie sind, bringt das für das Team nichts. Bei Basketball auf diesem Niveau muss man als Team auftreten, sonst hat man keine Chance, den Titel zu gewinnen.

Wie sehen Sie die Chancen der Deutschen?
Immer wenn Deutschland es schafft als Team zu agieren, waren sie großartig. Sie haben in den letzten zehn Jahren immer das Maximum für ihre Verhältnisse erreicht. Das kommt vor allem wegen dem grandiosen Trainerstab und Dirk Nowitzki. Nowitzki wirft sein ganzes Ego und seine Berühmtheit beiseite, wenn er in der Nationalmannschaft spielt. Er ist ein wichtiger Teil der Mannschaft, aber entscheidend ist, dass er seinen Mannschaftskollegen helfen möchte. Ich denke, Chris Kaman hat letztes Jahr eine Menge in der Nationalmannschaft gelernt, und wenn er zusätzlich zu Dirk dazu stößt, kann die deutsche Mannschaft den Titel gewinnen.

Kann der DBB auch ohne Dirk Nowitzki bestehen?
Wenn er nicht kommt, ist das natürlich ein Problem. Ich kann mich an so viele Spiele erinnern, in denen er die Würfe nicht erzwungen hat. Er schaut nach seinen Kollegen, aber wenn er dann in die Bresche springen muss, kann er in der Offensive natürlich sehr viel übernehmen. Ich denke, Nowitzki ist der beste Spieler, der jemals aus Europa kam.

Wer ist Ihr Favorit auf den Titel?
Ich denke, dass die Spanier und Serbien die beiden Favoriten auf den Titel sind. Aber der Sommer ist lang, da kann noch viel geschehen. Es ist schwierig, einen klaren Favoriten zu nennen, denn es gibt so viele starke Mannschaften wie Griechenland, Russland oder Frankreich. Da ist diese Frage nicht ganz leicht zu beantworten.

Johannes Beyer