Erst der Spanier Luis Enrique brachte Paris St. Germain den ganz großen Erfolg. Auf seine Weise. Mit spanischen Zutaten: Effizient, Disziplin und Teamgeist. Mit weniger Glamour, dafür viel Herz. Man könnte es so zusammenfassen: „Geld schießt (wirft) Tore, Spanier gewinnen Titel“. Eine sportart-übergreifende Kolumne von Lars Schneller.
Nun haben sie’s also doch (noch) gepackt! Ausgerechnet in dem Jahr in dem sie keiner auf dem Zettel und man es ihnen am wenigsten zugetraut hatte.
Wer nach den Abgängen von Mbappé, Messi, Neymar, Ramos (um nur einige zu nennen) vor der Saison auf Paris St.-Germain gewettet hat, hätte wohl ebenso gut auf Arminia Bielefeld als Pokalfinalist setzen können.
Bis zum Finale in München unlängst war Paris SG DER Inbegriff und bestes Beispiel dafür, dass Erfolg nicht käuflich ist. Was für absurde Gelder hatte man jahrelang in die Hand genommen – die Ablösesummen und Gehälter erreichten neue Dimensionen, übertrafen alles bisher da gewesene und lösten einmal mehr heftige Diskussionen über Obergrenzen sowie umstrittene Investoren und Mäzene aus.
Ein Starensemble bestehend aus Individualisten, großen Namen und noch größeren Egos. Der große Wurf aber blieb aus. Bis jetzt. Bis neulich. Dass der so lange, verzweifelt herbei gesehnte und fast schon nicht mehr für möglich gehaltene Gewinn des Henkelpotts kein Zufall ist, dürfte allen voran auf das klare Konzept und die Vision des spanischen Coaches Luis Enrique zurück zu führen zu sein. Mit weniger Glanz und deutlich weniger klangvoller Namen hat er eine Mannschaft geformt, die seine Handschrift trägt. Enrique hat ihr das Siegergen eingeimpft. Im Kollektiv haben sie nun das geschafft was der Creme de la Creme des Weltfußballs zuvor mit PSG verwehrt geblieben ist: Weah, Ronaldinho, Anelka, Ibrahimovic, Beckham, Ramos, Messi, Neymar, Mbappé… Erst kaufte man die Stars, danach wurde ein Trainer gesucht – oder auch entlassen: Carlo Ancelotti (vorher zwei CL-Siege mit Milan und hinterher drei mit Real), Thomas Tuchel (später CL-Sieger mit Chelsea) …
Man sollte den Wunschzettel seines Kindes vor der Bescherung gesehen haben; nicht erst hinterher. Wenn ich mir zu Weihnachten den Saloon und das Sheriff-Office von Playmobil wünsche kann ich mit dem viel teureren Piratenschiff trotzdem keine Banditen einbuchten. Als die Bayern Pep Guardiola nach München holten, wussten sie was auf dessen Wunschzettel stand: „Ich will Thiago! Nur Thiago; sonst nix!“ Also bekam er Thiago … Die beiden iberischen Coaches haben klare Vorstellungen, wie sie sich ein Team bauen wollen. Was es braucht, um erfolgreich zu sein. Eine speziell spanische Fähigkeit?
Parallelen scheint es nicht nur zwischen Enrique und Guardiola, sondern auch zu deren Landsmännern und Trainer-Kollegen Xabi Alonso, Rapha Benitez, Vicente del Bosque und vielen mehr zu geben.
Auch bei einem Blick über den Tellerrand hinaus scheint sich die These „Geld schießt (wirft) Tore, Spanier gewinnen Titel“ zu bestätigen. Die Liste der sportlich Verantwortlichen bei den europäischen Top-Clubs und ehemaligen CL-Siegern im Handball liest sich gleichermaßen beeindruckend: Valero Rivera, Antonio Ortega (beide Barcelona), Talant Dushebajew (Ciudad/Kielce), Roberto Garcia Parrondo (Melsungen/Skopje), Pascual (Barcelona/Veszprem), Raul Gonzalez (Paris/Skopje), Juan Carlos Pastor (Valladolid/Szeged), Xavi Sabate (Plock)… Sie alle scheinen diesen (spanischen) X-Faktor zu haben und mit ihrer Perfektion, Disziplin, Akribie und taktischem Verständnis nicht nur Spieler, sondern ganze Mannschaften besser zu machen und sie auf ein neues, höheres Level zu heben.
Zufall, oder lässt sich daraus ein Muster erkennen? Was macht sie so besonders? Versuchen wir der Sache auf den Grund zu gehen…
Zum einen haben Enrique, Guardiola, Alonso, Rivera, Ortega, Parrondo und Co. allesamt die ganz großen Titel als Spieler gewonnen. Sie sind daher nicht nur authentisch, sondern verkörpern obendrein auch eine Siegermentalität – Mia san mia sozusagen. Somos quienes somos!
“Der spanische Einfluss auf den Sport hat besonders mit der Persönlichkeitsstruktur ihrer Trainer zu tun. Es geht um starke Charaktere auf der Bank, aber auch im persönlichen Umgang abseits des Spielfelds, um Persönlichkeit und Ausstrahlung”, sagte einst ExHandballnationalspieler Uli Derad, heute Geschäftsführer des Landessportverbands Baden-Württemberg. Für ihn das beste Beispiel: Valero Rivera, Handball-Trainerlegende des FC Barcelona – “eine echte Persönlichkeit – und zu seiner Zeit prägend.”
Hinzu kommt, dass viele bereits während ihrer aktiven Zeit große Strategen waren – Denker und Lenker. Alonso auf Guardiola auf der „6“, Dushebajew, wenn auch nicht gebürtiger Spanier, so doch spanisch ‚sozialisiert‘, beim Handball auf Rückraum Mitte, der Spielmacher-Position dieses Sports. Roberto Parrondo, Erfolgscoach bei der MT Melsungen, sagt über sich: „Ich habe schon als Spieler versucht, wie ein Trainer zu denken, habe taktische Übungen und Konzepte hinterfragt, um sie besser zu verstehen.“ Der spanischen Mentalität entspreche, so der gebürtige Madrilene, dass sie alles für ihren Verein geben würden, sprich: Fleiß ist eine ihrer ureigenen Eigenschaften. Dem Zufall soll möglichst nichts überlassen werden. Spielkontrolle ist das Credo – und das bedeutet vor allem auch: eine starke Defensive. In der Abwehr soll der Grundstein für den Erfolg gelegt werden. Offensivspektakel sind schön, zielführend jedoch sind sie längst nicht immer.
Eine weitere Parallele: Ihre Trainerkarrieren starteten quasi unmittelbar nach ihrer aktiven Laufbahn; und keiner von ihnen wurde als Feuerwehrmann und kurzfristiger Motivator geholt, sondern aufgrund ihrer Authentizität, ihres klaren Sachverstands (Spielverständnis), ihrer Visionen und Vorstellungen als Architekten und Strategen für langfristigen Erfolg verpflichtet – was ein besonderes Maß an Vertrauen und Handlungs-/Entscheidungsfreiheit (Kaderplanung/Zusammenstellung etc.) seitens des Vereins voraussetzt. Vertrauen, dass sie allesamt mit Erfolg zurück zu zahlen scheinen! „Er ist gewiss fordernd“, beschreibt MT-Sportchef Michael Allendorf, der Parrondo nach Nordhessen holte, seinen Coach, „aber ich war nach unseren Gesprächen sicher: Er ist der Trainer, den wir brauchen, um endlich erfolgreich zu sein. Eine Linie und die richtige Mentalität reinzukriegen“.
Noch ein Beispiel für spanisch (mit-)geprägte Sportarten? Bitte: Tennis. Insbesondere auf Sand, wo man sich Grand Slams nicht erspielt, sondern erkämpfen muss, dominieren spanische Spieler-/innen seit Jahrzehnten das Geschehen! Wodurch? Richtig. Durch ihre unbequeme Spielweise, ihre Mentalität und ihr Kämpferherz, das sie stets auf dem Platz lassen. Sie gewinnen ihre Matches zumeist nicht mit spektakulärem Offensivspiel, sondern zermürbten ihre Gegner durch ihre – Achtung: Parallele – Defensivkünste, ihre Laufarbeit und nahezu fehlerfreies Grundlinienspiel. Wie war das gleich? Offensive gewinnt Spiele, Defensive gewinnt Meisterschaften. Auch im Tennis.
Die Liste spanischer Tennis-Asse ist ähnlich lang wie in den Mannschaftssportarten Fußball und Handball: Nadal (vormals Weltrangliste 1), Alcaraz (1), Moya (1), Ferrero (1), Corretja (2), Ferrer (3), Brugera (3), Sanchez-Vicario (1), Muguruza (1), Martinez (2), Badosa (2) und viele mehr. Allesamt akribische Arbeiter*innen, gepaart mit enormer Spielübersicht und -Intelligenz. Schachspieler auf dem Tennisplatz Platz – und großem Kämpferherz. Etwas weniger Glanz und noch weniger Allüren. Nicht wenige zählen heute zu den begehrtesten Coaches auf der Tour.
Hier schließt sich der Kreis, denn hier ist sie wieder: Diese besondere spanische Mentalität, die prädestiniert ist für sportlichen Erfolg!