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Das Iliosakralgelenk und seine Funktion

Das Iliosakralgelenk, kurz ISG, übernimmt eine zentrale Funktion bei unserer Bewegung. Blockaden dieses Gelenks führen häufig zu Fehlbelastungen und Rückenschmerzen. Drei Fragen zum ISG an den Arzt und Sportwissenschaftler Dr. Dr. Homayun Gharavi.
netzathleten.de: Welche Bedeutung und Funktion hat das Iliosakralgelenk im Körper? Warum ist es so wichtig?
Dr. Dr. Homayun Gharavi: Das ISG, also das Iliosakralgelenk, bildet die Schnittstelle bei der Kraftübertragung zwischen der unteren Extremität und dem Oberkörper. Es gibt je eines auf jeder Seite. Das ISG ist ein dreidimensionales Gelenk, das heißt es kippt nicht nur vor und zurück, sondern es kippt auch seitlich. Dadurch erlaubt es auch die Beweglichkeit der einzelnen Beckenhälften zueinander. Zudem hängen die Iliosakralgelenke direkt mit dem Sacrum zusammen, also dem Kreuzbein, auf dem die Wirbelsäule lastet. Wenn man also in einem der beiden ISG Laufschwierigkeiten hat, wirkt sich das direkt auf die Führung der Wirbelsäule aus und in der Folge auf die Beweglichkeit im Rücken. Diese Kettenreaktion setzt sich nach oben und unten fort.

netzathleten.de: Stichwort Rückenschmerzen – immer wieder liest man in diesem Zusammenhang von einer Blockade des Iliosakralgelenks. Inwiefern hängt das zusammen?
Dr. Dr. Homayun Gharavi: Das stimmt, man hört häufig von diesem Zusammenhang. Es gibt allerdings viele, die nicht von einer Blockade des Gelenks ausgehen, sondern von einer neuronalen Fehlansteuerung der Muskulatur. Generell gilt, dass bei einer Blockade die extreme Beweglichkeit des ISG eingeschränkt ist. Dadurch kommt es zu einem unrunden Gang und einer Kompensationsbelastung beziehungsweise einer Kompensationsbewegung der angrenzenden Gelenke. Diese müssen dann Bewegungen ausführen, für  die sie eigentlich nicht ausgerichtet sind. Das wiederum kann zu Schmerzen führen. Oft hängen Rückenschmerzen also vom ISG ab. Aber genauso können auch Probleme am Sprunggelenk vom ISG kommen und umgekehrt. Es hängt im Körper und bei Bewegungen immer alles zusammen. Wenn jemand Probleme im ISG hat muss man den kompletten Bewegungsapparat in die Untersuchung einbeziehen. Diesen Weitblick sollte man wahren.

netzathleten.de: Und welche Möglichkeiten gibt es, ein ISG-Problem wieder in den Griff zu bekommen?
Dr. Dr. Homayun Gharavi: Eines vorweg: Die Mittel der Wahl muss man individuell von Fall zu Fall finden. Falsch ist es in jedem Fall, aufgrund der Schmerzen die Bewegung einzuschränken. Ziel muss es also sein, über weiche Bewegungen und Dehnbewegungen aber auch Kraftaufbau die Beweglichkeit wieder zurückzubekommen. Es gibt dazu verschiedene Möglichkeiten. Beispielsweise bieten sich Übungen an, die eine Bewegung über ganze Ketten fordern, etwa von der Wirbelsäule über das Becken bis hinunter zu Achillessehne. Der ideale Ratgeber ist hierbei in meinen Augen ein manuell arbeitender Physiotherapeut. Ganz im Gegensatz zu einem Arzt, der direkt mit der Spritze droht. Die Spritze ist in meinen Augen aber die letzte Instanz. Ärzte sind häufig auf eine schnelle Aktion und eine kurzfristige Lösung bedacht.

Allerdings muss man ehrlicher Weise auch sagen, dass man den Teufelskreis (vgl. Schaubild) auch mit einer Spritze durchbrechen kann. Wenn man keine Schmerzen mehr hat, bewegt man sich wieder normal und kann dadurch die Blockade lösen. Wichtig ist aber auch hier: Die schmerzfreie Zeit muss dazu genutzt werden, um die Beweglichkeit wieder herzustellen. Die Kraft der Medikamente besteht nur darin, normale Bewegung wieder zuzulassen. Über diese kommt man in die Funktion und damit in die Schmerzfreiheit. Bevor man aber Medikamente einsetzt, sollte man die vielen manuellen Möglichkeiten wie Physiotherapie oder Osteopathie ausnutzen, denn die Chancen ohne Spritze auszukommen, stehen in der Regel sehr gut.

Schaubild des Blockade-Teufelskreises


Eine Blockade verursacht eine Fehlbewegung, diese wiederum Schmerzen. Genauso kann aber die Blockade durch eine Fehlbewegung erst ausgelöst werden und dann wiederum die Schmerzen auftreten. Oder aber es kommt zu Schmerzen, beispielsweise im Sprunggelenk, dadurch zu einer Fehlbewegung und dadurch zur Blockade. Um Schmerzfreiheit zu erreichen, muss dieser Teufelskreis durchbrochen werden.

Zur Person

Dr. Dr. Homayun Gharavi ist seit 1997 weltweit als Teamarzt und Fitness-Coach verschiedener Olympiamannschaften im Einsatz. Unter anderem betreute er die Schwimmer Russlands und Großbritanniens und arbeitete während der WM 2014 mit Jürgen Klinsmann bei der US-Fußball-Nationalmannschaft zusammen. Gharavi ist zudem Präsident der Deutschen Akademie für angewandte Sportmedizin und Entwickler des 4D Pro Reaction Trainers.

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