Positiv denken, eventuelles Scheitern relativieren
Entscheidender ist da schon, wie es beim Schützen innen drin aussieht: „Ich kann jedem Elfmeterschützen nur raten, die Bedeutung dieses einen Schusses zu relativieren. Etwa indem er sich vor Augen führt, dass er kein schlechterer Fußballer ist, falls er den Elfmeter verschießt. Dieses Thema sollte ein potentieller Elfmeterschütze allerdings im Vorhinein und nicht unmittelbar vor dem Schuss für sich erarbeiten, da er andernfalls misserfolgsorientiert denken würde“, erläutert der Sportpsychologe.
Generell rät Heuer zu einer positiven Denkweise: „Der Schütze sollte sich auf die positive Möglichkeit konzentrieren und sich seine Fähigkeiten vor Augen führen. Diese Überzeugung sollte allerdings nicht in Arroganz ausarten.“
Kleine Randnotiz: Der norwegische Sportpsychologe Geir Nordet ist in einer kürzlich veröffentlichen Studie zu der Erkenntnis gelangt, dass Spieler, die den Blickkontakt mit dem Keeper scheuen und/oder den Elfmeter schnell ausführen, häufiger scheitern als Kollegen, die sich Zeit nehmen und eine positive Körpersprache haben.
Versagensängste: Wenn ein Scheitern nicht erlaubt ist
Manchmal ist es jedoch so, dass die ganze Welt auf den Elfmeterschützen schaut. Sich da nur auf den Schuss zu konzentrieren und sich nicht mit den möglichen Konsequenzen des Scheiterns auseinander zu setzen, ist schwer. David Beckhams Elfmeter in den Nachthimmel bei der Euro 2004 ist ein Paradebeispiel für das „Versagen“ eines großen Spielers in einem wichtigen Moment. Gerade in seinem Fall kamen mehrere negative Einflussfaktoren zusammen: Beckham war damals Kapitän und Führungsspieler der „Three Lions“. Er trug die Hoffnungen einer ganzen Nation ebenso mit sich herum wie die sichere Medienhäme im Falle des Versagens. Hinzu kam ein Extraballast, für den er gar nichts konnte: die Niederlagen-Serie seiner Vorgänger im englischen Nationaltrikot beim finalen Shoot-out (fünf von sechs Elfmeterschießen gingen verloren).
Sportpsychologe Jens Heuer rät dazu, sich in solchen Situationen nicht zum Schießen drängen zu lassen: „Wenn ein Spieler nicht an sich glaubt, sollte er insofern Verantwortung für die Mannschaft übernehmen, dass er nicht schießt. Wird er von seinem Trainer und seinen Kollegen trotzdem zum Schießen gedrängt, ist das eine sehr heikle Angelegenheit.“ Was bei einem einzelnen Elfmeter vielleicht noch möglich ist, wird allerdings umso schwieriger, wenn – wie bei einem Elfmeterschießen – mindestens fünf Spieler ran müssen. Stellt sich der Leitwolf nicht, stellt er quasi selbst seinen Status in Frage.
Auch Elfmeter kann man trainieren
Wie bereits im Artikel Stressbewältigung im Wettkampf skizziert, lassen sich Einmaligkeitssituationen zwar nicht 1:1 trainieren, aber zumindest annähernd wettkampfnah simulieren. Kurzum: Üben unter Druck macht den Meister – oder auch nicht. So wie im Falle des Argentiniers Martin Palermo, der bei der Copa America 1999 gegen Kolumbien gleich drei Elfmeter treten durfte – und alle verschoss.
Marco Heibel
Experte: Jens Heuer, Sportpsychologe; www.bestleistung.com