Ein Marathon, kein Sprint. Vor allem ein zähes Ringen: Gerd Graus, Pressesprecher und Leiter Öffentlichkeitsarbeit des Landessportbunds Berlin, schreibt in einem Erlebnisbericht über seine Erfahrungen rund um die pro-olympischen und -paralympischen (Volks-) Initiativen in der Hauptstadt.
Der Herr sieht rüstig aus. Sehr sportlich. Seine Gattin geht ein paar Schritte vor ihm. Der Versuch ist es wert. „Hätten Sie Lust auf Olympische und Paralympische Spiele in Berlin?“ Vielleicht bleibt er ja stehen. Eher nicht, ein zögerlicher Blick, skeptisch sogar. Ein weiterer Blick auch auf das rote Zelt des Landessportbunds Berlin (LSB), an dem zwei weitere Mitarbeitende des LSB und eine junge Frau vom Freiwilligen Sozialdienst versuchen mit Passanten ins Gespräch zu kommen.
Der LSB ist mit seiner Volksinitiative „Die Spiele für Berlin“ auf dem Altstadtfest in Berlin-Spandau zu Gast. Menschen flanieren vorbei, direkt neben dem LSB stehen junge Männer vom Arbeiter-Samariter-Bund, die gegen Bezahlung versuchen, Menschen auf den ASB aufmerksam zu machen. Beim LSB wird ehrenamtlich für die Spiele geworben. Schließlich geht es doch auch da um das Ehrenamt.
Initiativen gehen Hand in Hand: DOG in Berlin stark engagiert, LSB schiebt an
Der LSB will mit der Volksinitiative erreichen, dass das Berliner Abgeordnetenhaus sich mit den Forderungen dieser Initiative beschäftigt: mehr Schulsport, eine bessere Sportinfrastruktur, mehr Sport für alle, Förderung des Ehrenamts. Da werden die LSB-Mitarbeitenden und viele Menschen aus dem Berliner Sport auch selbst aktiv. Ganz vorne mit dabei die Deutsche Olympische Gesellschaft (DOG) Berlin, die schon früh die Initiative „Wir … für die Spiele“ ins Leben gerufen hat. Bei dem DOG-Fair-Play-Lauf im Berliner Olympiastadion wurden mehr als 100 Stimmen gesammelt. Großes Engagement zeigte ein junger Schwimmer vom Bundesstützpunkt Berlin. Er ging in seiner Straße von Haustür zu Haustür. Die Schwimmer*innen des Stützpunkts sammelten gut 600 Unterschriften – für ihren Traum von Olympia.
In Spandau war es so, dass nicht der Herr am Stand stehen blieb, sondern seine Frau. Sie war neugierig, was denn mit der Volksinitiative beabsichtigt wäre. „Die Spiele für die Kinder“, was das denn bedeuten solle. Der Landessportbund Berlin hat dies schon vor Monaten zum gedanklichen Motor seiner Aktivitäten für die Bewerbung erkoren. In Zeiten gesellschaftlicher Spannungen, Bewegungsmangels, Adipositas, maroder Sportanlagen, Wartelisten in den Vereinen für die Aufnahme von Kindern und Jugendlichen, zu weniger Bewegungsmöglichkeiten im öffentlichen Raum soll die Bewerbung nicht nur Sommerwochen voller sportlicher Höchstleistungen und Event-Fröhlichkeit bringen, sondern Impulse geben und Prozesse in Gang setzen, den Sport in Berlin und Deutschland für diejenigen zu fördern, die dann, wenn die Spiele stattfinden, Olympioniken sind, Volunteers, Trainer*innen oder Sportler*innen in den Berliner Sportvereinen. Sie sollen in einer Stadt leben, die ihnen, ihren Eltern und Großeltern – und auch Kindern – beste Möglichkeiten bietet sportlich aktiv ihr Leben zu gestalten.
Skepsis und Argwohn in der Bevölkerung – darum ist der Dialog so wichtig
„Ach, das klappt doch nie in Berlin. Hier geht doch nichts voran, ist kein Geld da.“ Der Mann spricht aus, was viele andere auch äußern, wenn sie auf die Spiele angesprochen werden. „Ach, die Spiele sind schon toll, sicher wäre das ein Erlebnis. Aber wenn wir uns hier umschauen, und die Politik…“ Achselzucken und weiter gehen.
Doch der Herr redet weiter. „Ich war ja Trainer bei den Frauen der Wasserfreunde Spandau, Ich habe auch für die Olympiabewerbung Berlins für 2000 mitgeholfen. Ich glaube nicht, dass das, was wird hier in der Stadt, so wie das hier gerade läuft.“ Aber versuchen können wir es doch, für unsere Kinder, für unsere Enkel. „Das stimmt schon“, meint seine Gattin. „Na ja, det stimmt. Wenn sie kämpfen wollen, versuchen sie es. Dafür unterschreibe ich.“
Das Gespräch hat gut 20 Minuten gedauert. Mit vielen Menschen in Spandau haben die Mitarbeitenden des LSB geredet, ihnen erläutert, warum sie für die Spiele sind, was die Spiele Berlin und Berliner*innen bringen können. Das Gespräch ist oftmals wichtiger als die Unterschrift. So bei der Messe des Berlin-Marathon, bei vielen Vereinsfesten, bei Mitgliederversammlungen der Vereine. Hören, was die Menschen denken, Ideen sammeln, gemeinsam gestalten.
Ringen um Argumente, Überzeugung – und Stimmen: Beinahe wie Straßenwahlkampf
Es fühlt sich ein wenig an wie Straßen-Wahlkampf. Die Menschen bleiben nicht einfach stehen und unterschreiben vor lauter Begeisterung. Obwohl, auch das gibt es. Bei der Marathon-Messe kamen extra Läufer*innen, weil sie auf Social Media gesehen hatten, dass der LSB mit Unterschriftenlisten präsent war. Sie unterschrieben mit Herzblut und wollen Werbung machen im Freundeskreis und am Arbeitsplatz. Andere wiederum waren unter 16 Jahren oder wohnten nicht in Berlin – gerne würden sie unterschreiben, aber ihre Unterschrift würde nicht zählen. Egal, was wirklich zählt, ist ihre Begeisterung für die Spiele.
Der LSB hat den Berliner Vereinen die Möglichkeit gegeben, die Unterschriftenlisten per Download zu bekommen und in ihrem Verein zu informieren. Es hat ein paar Wochen gedauert, bis die Vereine die Aktion mittragen konnten. Pro Bogen sind nur fünf Unterschriften möglich, die Unterschrift kann nicht digital gegeben werden, alle Bögen müssen zum LSB gebracht oder geschickt werden. Immer muss der Vorname, Name, Wohnort, Postleitzahl, Straße, Geburtsdatum und Datum der Unterschrift angegeben werden. Schließlich werden Stichproben seitens der Berliner Behörden genommen, ob die Unterschriften auch gültig sind. Und: Bei der Jahreszahl im Geburtsdatum muss 19xx oder 20xx stehen, nicht ein 62 oder 79 oder 16 – schließlich ist es eine hochoffizielle Aktion, vergleichbar einer Wahl. Selbst wenn eine Volksinitiative nicht einmal ein Volksbegehren ist.
20.000 Unterschriften im Visier – doch manchmal bleiben 30 Minuten Austausch erfolglos
Es sind viele Hürden zu überspringen, um die erforderlichen 20.000 Unterschriften zu bekommen, aber ganz viele Menschen in Berlin beteiligen sich daran, dies zu schaffen. In ihrer Freizeit, in ihrem Verein. Großvereine wie der SC Siemensstadt oder der Berliner TSC haben mehr als 1.000 Unterschriften gesammelt. Bei einer Veranstaltung des Vereins Berliner Kaufleute und Industrielle wurde fleißig unterschrieben. Beim ISTAF unterschrieben 1.000 Besucher*innen. Und überall wird diskutiert: über das Für und Wider, über das IOC, ob es zeitgemäß ist, Olympische und Paralympische Spiele in Berlin zu veranstalten.
Es braucht viel Zeit, die Listen füllen sich nur langsam. Bei der Marathon-Messe hat eine Mitarbeiterin eine halbe Stunde mit einem Olympia-Gegner Argumente ausgetauscht. Unterschrieben hat er nicht, ganz viele andere Menschen konnten in den 30 Minuten nicht angesprochen werden. Der Austausch war es wert.