Vor 25 Jahren begann Michael Jordan seine NBA-Karriere bei den Chicago Bulls. Am 11. September 2009 wird er in die Basketball Hall of Fame aufgenommen. Die Legende bekommt, was sie verdient – Unsterblichkeit. Crossover blickt in einem großen Spezial auf den Mann zurück, der den Basketball zu dem machte, was er heute ist. Hier ist Teil 2.
Die Geburt von „Air Jordan“
Die Anfangsjahre im Dress der Chicago Bulls ähneln mehr einer Ein-Mann-Show als einer Erfolgsgeschichte für das Team. Als Jordan die NBA-Bühne betritt, reibt sich vor allem der neue Eigentümer der Bulls, Jerry Reinsdorf, die Hände. Der Geschäftsmann kaufte die Franchise im Sommer 1984 zum Schnäppchenpreis von 10 Millionen Dollar. Seit ihrer Gründung zählten die Bulls nur Anfang der 1970er Jahre zu den stärkeren Teams der Liga, Anfang der 1980er war Basketball in Chicago ein Synonym für Erfolglosigkeit. Gerade einmal 6.000 Besucher besuchten im Schnitt die Heimspiele der Bulls. Bis zu dem Tag, an dem Michael Jordan beginnt, seine Schuhe für die Rot-Weißen zu schnüren.
Das Korsett vom College-System unter Coach Smith, das Jordans Spiel eingeschränkt hat, ist im Profilager nicht mehr zu sehen. Bulls-Coach Kevin Loughery gibt Jordan sofort die Zügel in Hand und der Rookie zahlt das Vertrauen mit 28,2 Punkten, 6,5 Rebounds, 5,9 Assists und 2,4 Steals pro Spiel zurück – MJ gewinnt ohne Probleme die Wahl zum „Rookie des Jahres“.
Ohnehin sind die ersten Profijahre für „Air Jordan“, wie er aufgrund seiner unnachahmlichen Flugeinlagen und dem Dynamit in den Waden, wenn nicht sogar im ganzen Körper, genannt wird, mehr Unterhaltung als Meilensteine auf dem Erfolgsweg. Im Front Office der Bulls regieren Genie und Wahnsinn von General Manager Jerry Krause. Drei Head Coaches (Loughery, Stan Albeck und Doug Collins) bleiben von der Athletik MJs geblendet und geben ihm auf dem Parkett Narrenfreiheit – sie schneiden sich damit ins eigene Fleisch, sprich: Sie werden entlassen. Der Rest des Teams steht im Schatten von Jordans Heiligenschein. Das Wort Dominanz würde Blasphemie gleichen. Jordan steht seit Ende der 1980er nicht nur auf einer Stufe mit Elvis oder den Beatles, sondern wird fast schon als höhere Instanz vergöttert.
Die Lobpreisung schlägt sich nicht zuletzt in der Werbeindustrie nieder, die im Produkt Jordan einen Goldesel findet. Allein der Sportschuhhersteller Nike scheffelt Einnahmen sondergleichen. 1964 unter dem Namen Blue Ribbon Sports von Phil Knight gegründet, nimmt das Unternehmen aus Beaverton, Oregon, im ersten Jahr nur läppischen 3.240 US-Dollar ein. Allein im Jahr 2008 sind es gigantische 19,2 Milliarden US-Dollar. Dass vor allem Jordan als Zugpferd hergehalten hat, steht außer Frage. 1984 überzeugen Knight und Chef-Designer Tinker Hatflied den 21-jährige NBA-Piloten, nicht mehr in Converse (wie auf dem College und wegen Larry Bird und Magic Johnson) oder Adidas (in seiner Freizeit) aufzulaufen, sondern stattdessen mit einer eigenen Schuhlinie auf Korbjagd zu gehen. Am 14. Oktober 1984 unterzeichnet Jordan einen 22-Seiten-Vertrag mit Nike. Aber der Turnschuhhersteller hat die Rechnung nicht mit MJs neuem Arbeitgeber, den Chicago Bulls, gemacht, deren Dress Code das neue Fußkleid ihres Rookies nicht gutheißt. Doch NBA-Boss David Stern regelt die Sache später und hebelt die Kleidervorschrift aus. Jordan darf fortan ohne die 5.000 US-Dollar Strafe pro Spiel auflaufen. Nike verdient im ersten Jahr mit dem MJ-Flaggschiff 130 Millionen Euro, 1998 beträgt allein Jordans Anteil diesen Wert.
Außerhalb der NBA-Parkette gibt es in der Schuhindustrie seither nichts Vergleichbares – 23 Schuhmodelle der Air-Jordan-Serie plus unzählige Sonderanfertigungen in diversen Farben bleiben ein Dauerrenner für alte und junge Basketball-Anhänger.
Vorne wie hinten dominant
Wie gut war Michael Jordan? Es mag Kritiker geben, die ihn lediglich auf seine Angriffslust beschränken. Der Blick auf die Statistiken lässt zwar erkennen, dass MJ Jahr für Jahr an vorderster Stelle auf der Punkteliste stand. In der Saison 1986/87 gelingen ihm als zweitem Profi überhaupt mindestens 3.000 Punkte (nach Wilt Chamberlain, dem dieses Kunststück drei Jahre in Folge (1960-1963) gelang). Die 37,1 Zähler pro Partie bedeuten bis heute den höchsten Punkteschnitt eines anderen Spielers als Chamberlain.
Dass Jordan zu den großen Namen des Basketballs zählen würde, die sich durch herausragende Leistungen vom Rest der Liga abheben, beweist „His Airness“ eine Saison zuvor. In seinem zweiten Jahr in der Liga bricht er sich im dritten Saisonspiel bei den Golden State Warriors den Fuß und verpasst 64 Spiele. Obwohl ihm die Teamverantwortlichen davon abraten, verfrüht wieder den Wettbewerb zu suchen – Jordan soll die komplette Saison aussetzen und den Sommer 1986 zur Rehabilitation nutzen –, trainiert der Betroffene heimlich an seiner alten Uni und kehrt für die letzten 14 Spiele der regulären Saison zurück. Die Bulls lösen noch das Playoff-Ticket, dort ist aber in der ersten Runde gegen den späteren Meister Boston Celtics kein Sieg zu holen. Doch Jordan nutzt erneut die landesweite Aufmerksamkeit, um weiter an seiner Legende zu meißeln. Im ersten Spiel gegen Larry Bird und sein Team legt Jordan 49 Punkte auf. Im zweiten Spiel, das die Bulls nach zweifacher Verlängerung verlieren, geht die Gala weiter; am Ende stehen 63 Zähler hinter Jordans Namen – bis heute Playoff-Rekord. Bird lobt den Bulls-Korbjäger in den höchsten Tönen: „Das war Gott, als Michael Jordan verkleidet.“
Was Jordan im Angriff auch unternahm, er fand einen Weg, um den Ball in den Korb zu bringen. Ob er nun aus dem Fastbreak heraus mit einem krachenden Dunking abschloss, mit seiner Grazilität und Finesse gegnerische Verteidigungsreihen austanzte, um dann in typischer Manier – mit viel Rotation des Balles – das orange Leder in den Korb zu legen oder einfach den klassischen Sprungwurf traf – Michael Jordan hatte das gesamte Repertoire in seinem Werkzeugkasten.
Trotz der unbändigen Entschlossenheit, vorn den Abschluss zu suchen, hängt Jordan sich auch in der Abwehr ins Zeug. Bis heute ist er der einzige NBA-Spieler, der jemals MVP der regulären Saison, bester Verteidiger und wertvollster Spieles des NBA All-Star Games wurde. All diese Auszeichnungen heimst der Überspieler, der Jordan zu dieser Zeit ist, in der Saison 1987/88 ein.
Es dauert bis zu eben dieser Spielzeit, bis auch die Bulls langsam vom normalen Playoff-Qualifikanten zum Gewinnerteam reifen. Seit Jordan die Liga verzaubert, steht er jedes Jahr mit Chicago in der Postseason, doch in seinen ersten drei Saison endet selbige direkt in der ersten Runde. In den Playoffs 1988 überwinden sie erstmals seit 1981 diese Hürde (3-2 gegen Cleveland), doch dann beißen sich Jordan und seine Kollegen die Zähne an den knallharten Detroit Pistons aus. Drei Jahre lang quälen die Bad Boys von Head Coach Chuck Daly den Superstar der Liga mit den sogenannten „Jordan Rules“. Diese Maßnahmen an Rande der Legalität sollen Jordan in seiner Effektivität einschränken, beim Zug zum Korb wird MJ jedes Mal hart angegangen; es gleicht einer Tortur. In dieser Zeit der anhaltenden Erfolglosigkeit muss das mittlerweile zum Megastar aufgestiegene Aushängeschild der Liga ständig mit bösen Stimmen fertig werden, die behaupten, er sei ein Schönspieler, der nur Highlights fabriziert, aber nicht gewinnen kann. Ein Typ vom Kaliber eines Dominique Wilkins, der am Fließband Korbanlagen zum Wackeln bringt, aber eben als Verlierer gilt.
Die Wende kommt mit der Ankunft Phil Jacksons
Die Rezepte, die Jordans Coaches bei den Chicago Bulls im Laufe der Jahre ausprobierte, führen nicht zum Erfolg. Doug Collins lässt MJ 1988/89 für einige Partien als Point Guard auflaufen. Dort ist die Nummer 23 zwar in seinen Punktequalitäten beschnitten, sorgt aber mit einer Serie von sieben Triple Doubles bzw. zehn innerhalb von elf Begegnungen für Aufsehen. Der Erfolg bleibt trotzdem aus.
Erst als der als unkonventionelle Phil Jackson nach dem Rauswurf von Collins vom Assistenz- zum Chefcoach befördert wird, wendet sich langsam das Blatt. Jackson, Anfang der 1970er Jahre Rollenspieler bei den New York Knicks, predigt Jordan und dem restlichen Team die damals erfolgreiche Teamphilosophie ein, in der es darum ging, den Ball laufen zu lassen und als Mannschaft aufzutreten. Die zusätzliche Einführung der sogenannten „Triple Post Offense“, einem variablen und komplexen Angriffssystem aus den College-Tagen von Assistant Coach Tex Winter, weht der Erfolg plötzlich in Windy City. Nicht zuletzt, weil das Team auch mit individuell stärkeren Akteuren (z.B. Scottie Pippen oder Horace Grant) ausgestattet ist, um gegen die Powerhouses aus Detroit oder Boston zu bestehen.
1991 nehmen die Bulls im dritten Anlauf die Hürde namens Detroit Pistons mit 4-0 und fertigen im Finale die Los Angeles Lakers mit 4-1 ab. Jordans erster NBA-Titel bedeutet die Krönung seines bis dahin häufig kritisierten Daseins als NBA-Showman. In den Armen seines Vaters James ist er in Tränen aufgelöst. Bilder aus der Umkleidekabine mit einem Jordan auf dem Boden, der die Trophäe umklammert, gehen um die Welt.
Auch in den nächsten beiden Spielzeiten sind die Bulls das Maß aller Dinge. 1992 trifft Jordan, nie als großartiger Distanzschütze bekannt, im ersten Finale gegen die Portland Trail Blazers für 35 Punkte (davon sechs Dreier) allein in der ersten Halbzeit. Es dauert sechs Spiele, bis der zweite Ring am Finger sitzt.
Danach geht es für Jordan, längst auf der Spitze des Basketball-Olymps angekommen, mit einem Team voller Superstars zu den Olympischen Spielen 1992 in Barcelona. Als Star der Stars wird er überall von den begeisterten Sportfans verfolgt. Die einzigen Plätze, auf denen MJ seine Ruhe hat, sind das Hotelzimmer und das Basketballfeld. Dort versohlt das „Dream Team“ seine Gegner mit durchschnittlich 43,8 Punkten pro Spiel. Keinem Team gelingen mehr als 85 Zähler, selbst erzielen die US-Basketballer nie weniger als 103 Punkte. Jordan selbst sammelt im Schnitt 14,9 Punkte (sein Kumpel Charles Barkley ist mit 18 Zählern pro Partie Topscorer). Die Goldmedaille ist Formsache und der Stern des weltweiten Basketball-Booms geht auf.
In die Saison 1992/93 gehen die Bulls nicht als Favorit. Die Phoenix Suns mit Barkley, der aus Philadelphia kam, gelten als das zu schlagende Team. Auch andere Mannschaften, wie die New York Knicks oder Houston Rockets, gelten als Anwärter auf die Meisterschaft. Doch Jordans Bulls gelingt es, sich trotz 0-2-Rückstands gegen das Team um Widersacher Patrick Ewing, die Knicks, in sechs Spielen durchzusetzen. Im Finale angekommen, zeigte Jordan gegen den zum MVP gekürten Charles Barkley, das kein Weg an der erfolgshungrigen Nummer 23 vorbei führt. Sein Punkteschnitt von 41,0 Zählern in den sechs Finalspielen sind bis heute Rekord.
Der Wendepunkt in Jordans Leben
Was dann geschieht, konnte niemand vorhersehen. Neben den Image schädigenden Schlagzeilen über Jordans Glückspielsucht wird am 5. August das leere Auto von Michaels Vater James am Straßenrand in North Carolina gefunden. Einen Tag später wird seine Leiche in einem Moor gefunden. Larry Martin Demery und Daniel Andre Green haben ihn am 23. Juli ausgeraubt und ermordet. Die beiden Jugendlichen werden angeklagt und hinter Gittern gebracht.
Am 6. Oktober, 62 Tage nach dem Tod seines Vaters, gibt Michael Jordan auf einer Pressekonferenz seinen Rücktritt von Basketballsport bekannt. „Für mich gibt es im Basketball nichts mehr zu beweisen. Ich habe alles erreicht.“, schockt MJ die Sportwelt. „Ich will Baseball spielen. Es ist der Traum meines Vaters, dass ich Baseball-Spieler werden.“
Der 31-Jährige schwingt fortan lieber die Baseballkeule bei den unterklassigen Birmingham Barons als auf dem Zenit seiner Karriere weiter im internationalen Rampenlicht zu stehen. Doch das bescheidene Intermezzo im Baseball endet nach nur einer vollen Saison.
Am 18. März schockt MJ die Welt erneut. Dieses Mal mit dem kurzen Statement “I’m back”. Die Presselandschaft steht Kopf, Aktienkurse explodieren. Jordan will wieder seine Sneaker schnüren. Weil die Bulls aber in seiner Baseball-Pause die Nummer 23 aus dem Verkehr gezogen hatten, muss Jordan mit der 45 auf Comeback-Tour gehen. Gegen die Indiana Pacers verlieren er (19 Punkte) und die Bulls zwar mit 96:103 nach Verlängerung, doch der verlorene Sohn ist wieder zurück an seinem angestammten Platz. Der Rost fällt kurze Zeit später, in seinem fünften Spiel nach der Rückkehr, gegen die New York Knicks endgültig ab, als Jordan ihnen 55 Zähler einschenkt. In den Playoffs ist für MJs Team aber gegen die aufblühenden Orlando Magic Schluss, die Chicago mit 2-4 in die Offseason schicken.
Ein Jahr später gewinnen die Bulls, die sich derweil mit Dennis Rodman unterm Korb verstärkt haben, sensationelle 72 Spiele in der regulären Saison. In den Playoffs spielt Chicago die Magic mit 4-0 an die Wand, in den Finals lernt der deutsche NBA-Export Detlef Schrempf mit den Seattle SuperSonics die Siegeswut von „His Airness“ kennen. Chicago holt die vierte Meisterschaft innerhalb von sechs Jahren am Vatertag; nach Ende des sechsten Spiels bricht Jordan erneut in Tränen aus, in Gedenken an seinen toten Vater.
Jordans Heiligenschein leuchtet noch zwei weitere Jahre – in der Saison 1997/98 verdient er sagenhafte 33,14 Millionen US-Dollar allein fürs Basketballspielen – im rot-weißen Trikot der Chicago Bulls. Nach zwei weitere Meisterschaften, jeweils gegen die Utah Jazz, endet die Ära nach einem unwirklichen Finale. Im sechsten Spiel der 1998er Final-Serie vollendet Jordan sein Denkmal, als er 5,2 Sekunden vor Schluss den letzten Sprungwurf für die Chicago Bulls zur Meisterschaft versenkt.
Es wäre der perfekte Schlusspunkt eines surrealen Monuments gewesen, hätte es ihn nicht weiter unter den Nägeln gebrannt. 2001 kehrt der mittlerweise 38-jährige Jordan zurück auf das Basketballfeld. Für zwei Jahre läuft der alternde Meister bei den Washington Wizards auf. War er zuvor Präsident der Franchise, zaubert er am 29. Dezember 2001 51 Punkte gegen die Charlotte Hornets aus dem Hut. Vier Tage nach seinem 40. Geburtstag netzt er gegen New Jersey 43 Zähler ein – bisher ist MJ der einzige Akteur in diesem Alter, der eine solche Leistung vollbracht hat. Fast bis zu seiner allerletzten NBA-Partie rechnen die Statistiker, wie viele Zähler Jordan erzielen darf, um nicht noch hinter Wilt Chamberlain in der ewigen Punkteliste auf den zweiten Rang abzurutschen. Letztlich reicht es: Der perfekte Basketballer bleibt mit einem Karriereschnitt von 30,12 Punkten pro Spiel auf dem Olymp der ewigen Korbjägerliste (Chamberlain: 30,07).
Zurück in Miami an diesem Frühlingstag 2003. „Dieser Typ ist der größte Spieler in der Geschichte des Spiels“, packt Riley in Jordans viertletztem NBA-Spiel überhaupt den höchstmöglichen Superlativ aus. „Ich glaube, es wäre keine schlechte Idee, wenn jedes Team in dieser Liga seine Nummer unter die Hallendecke zöge – als Erinnerung daran, was Größe überhaupt bedeutet.“