Claudia Nystad über die Olympischen Winterspiele 2010, destruktive Kritik, die Stimmung bei den deutschen Skilangläuferinnen, ihr soziales Engagement und ihre „sommersportlichen Vorlieben.
Frage: Claudia, erst einmal einen ganz herzlichen Glückwunsch zu Ihrem Gold im Teamsprint mit Evi und natürlich auch zu Staffel-Silber. Wie harmonieren eigentlich eine fröhliche Bajuwarin, wie Evi, und eine eher nachdenkliche Sächsin und „halbe Wikingerin“, wie Sie, im Training und außerhalb der Loipe. Immer alles „bestens“?
Claudia Nystad: Vielen Dank für die Glückwünsche. Ja, Evi und ich harmonieren im und neben dem Training sehr gut, anders kann man auch nicht so erfolgreich sein, wie wir es im Team waren. Dass Evi fröhlich ist und ich nachdenklich, das wurde allerdings über Jahre in den Medien aufgebaut, wenn man uns privat kennt, dann kann es durchaus sein, dass sich das Bild komplett dreht. Aber die Erfahrung will ich keinem vorweg nehmen.
Frage: Mehr als „bestens“ war Ihr Wettkampf im Teamsprint. Dabei: Was gab es in den letzten zwölf Monaten nicht alles an Negativ-Schlagzeilen aus dem Lager der deutschen Skilangläuferinnen: Trainer-Wechsel war angesagt, von „Zicken-Kriegen“ wurde gesprochen, viel mediale Häme und Spott ausgeschüttet, das Engagement der Athletinnen harsch kritisiert. In den meisten Fällen unsachlich wie unbegründet.
Wie sind Sie, aber auch Ihre Team-Kameradinnen, mit dieser Kritik, dieser Häme umgegangen ? Schweißt so etwas eher zusammen ? Und: Fühlen Sie nun angesichts des Teamsprint-Goldes und des Staffel-Silbers eine „große Genugtuung“?
Claudia Nystad: Ich fühle keine Genugtuung … Mir tun solche Menschen leid, die sich über andere Personen profilieren wollen. Wenn wir als fast „zahnlose, alte Frauen, die zu faul sind, zu trainieren und ausgetauscht gehören“, trotzdem in der Lage sind, auf das Podium zu kommen, dann haben wir entweder ein überdurchschnittlich hohes Talent oder Olympia ist vom Niveau zu niedrig für uns, oder ganz einfach: Es stimmt nicht, was in den Medien über uns gesagt wurde.
Ich denke, es ist die dritte Variante, wobei ich eine der Frauen bin, die Zeitungen in der Saison nicht liest, da ich an den Berichten über mich festgestellt habe, dass manchmal höchstens ein Prozent stimmt, aber das auch nur, wenn der Name richtig geschrieben wurde.
Aus der Sicht von Athleten braucht man ein Umfeld, was einen in Erfolgszeiten und auch in harten Zeiten unterstützt sowie aufbaut. Es ist nur oft leider so, dass alle zu uns halten, wenn die Fahne gehisst wird und in schwierigeren Zeiten stehen wir fast allein da.
Frage: Sowohl im Teamsprint als auch in der Staffel demonstrierten Sie große Power. War Ihr Siegeswillen nach den ganzen Diskussionen ganz einfach „unbändig“?
Claudia Nystad: Als Athlet kann ich mich nicht vom Druck aus den Medien stören lassen, sonst hätte ich keine Chance auf internationalen Erfolg bei Großereignissen wie Olympia. Dass ich an den Sprint- und Staffeltagen in so guter Form war, lag an der Vorbereitung. Ich habe dieses Mal darauf verzichtet, jedes der sechs Rennen zu bestreiten, um mich auf zwei ganz bestimmte Läufe besser konzentrieren zu können. Damit habe ich mentale, als auch physische Energie gespart und war durch meine Erfahrungen aus den letzten Jahren perfekt vorbereitet. Dass allerdings solche, meist verletzenden Aussagen nicht helfen, ein Team voran zu bringen, das muss ich, und da bin ich mir sicher, keinem erklären.
Frage: Sie gelten für die Norwegerinnen und Norweger als „Drama-Queen“, nachdem sie den Nordländerinnen schon einige Male „gutes Edelmetall“ wegschnappten. Sie sind nun seit fünf Jahren mit dem Norweger Trond Nystad verheiratet. Angesichts der „ewigen Kritik und Nörgeleien `Made in Germany`“ hatten Sie da schon einmal gedacht: „Das alles tue ich mir hier nicht mehr an. Jetzt starte ich für Norwegen.“?! Wie beurteilen Sie generell den Stellenwert des Skilanglaufes in Deutschland?
Claudia Nystad: Ich habe in der Tat darüber nachgedacht, nach der Heirat die norwegische Staatsbürgerschaft anzunehmen. Aber die Konkurrenz in Norwegen ist auch nicht gerade einfach. Außerdem bin ich jetzt sehr froh, dass ich es nicht getan habe, weil mir so die schönen Momente entgangen wären, die ich mit Evi bei dem Teamsprint in Vancouver 2010 erlebt habe.
Der Stellenwert von Skilanglauf in Deutschland ist meiner Ansicht nach sehr hoch, da durch die vielseitigen Wettkampfarten und interessanten Massenstarts enorme Spannung aufgebaut wird.
Im Vergleich zu Biathlon haben wir allerdings in den letzten Jahren in Sponsoren-Hinsicht und an Publicity etwas verloren.
Frage: Gerade die deutschen Winter-Olympionikinnen in Whistler und in Vancouver überzeugten, ob Biathletin Magdalena Neuner, die Skifahrerin Maria Riesch bzw. Viktoria Rebenburg, Rodlerin Tatjana Hüfner, die Skeletoni Kerstin Szymkowiak oder Anja Huber, Paarläuferin Aljona Sawtschenko, (Bobfahrerin Sandra Kiriasis), die Eisschnellläuferinnen Jenny Wolf bzw. Stephanie Beckert oder nun Evi und Sie. Schinden sich Sportlerinnen mehr als ihre Kollegen? Sind sportive Frauen willensstärker und selbstkritischer – und schieben Misserfolge nicht nur auf äußere Umstände? In Deutschland gibt es ja nicht nur im Sport die viel zitierte „Frauen-Power“?
Claudia Nystad: Der Grad zwischen Erfolg und Misserfolg ist sehr schmal. Ich denke nicht, dass es in dieser Hinsicht einen Unterschied gibt, zwischen uns deutschen Frauen und deutschen Männern. Wir sind alle ausgebildet in dem gleichen und einzigartigen Sportförderungssystem (Sportschulen, Sportfördergruppen Bundeswehr und Bundespolizei, ect.). Erfolg ist eher ein Faktor von Talent und unterstützendem Umfeld und hat weniger zu tun mit spezifischen männlichen oder fraulichen Qualitäten.
Frage: Sie gehören zu den Sportlerinnen, die auch über den sportlichen Tellerrand hinausblicken, sich für soziale Projekte engagieren. So versteigerten sie zu Gunsten der Stiftung "Hänsel und Gretel", die Kinderschutzprojekte für missbrauchte Kinder fördert, ihre olympische Staffel-Goldmedaille 2002. Sich von der olympischen Goldmedaille zu trennen, die ja das „Nonplusultra“ für eine Sportlerin bzw. einen Sportler symbolisiert, ist Ihnen dieser Schritt nicht schwer gefallen? Gibt es einen ganz besonderen Beweggrund für Ihr soziales Engagement?
Claudia Nystad: Die Medaille an sich ist das Symbol für den Schweiß, das Blut und die Tränen. Wichtiger für den Athlet ist der lange Weg, den man gehen muss, um zu den Olympischen Spielen zu kommen und die Emotionen, die sich während dem Weg dorthin bzw. danach auftun. Mir ist dieser Schritt überhaupt nicht schwer gefallen, weil es das erste Mal war, dass ich mit meinem Namen anderen Menschen in Not helfen konnte. Ich fühle mich eher privilegiert, dass ich in einer Situation bin, in der dieses soziale Engagement im großen Stil möglich ist.
Frage: Bei Ihnen hat der Alterungsprozess ja mit 18 aufgehört. Sotschi 2014 dürfte doch das nächste Ziel sein? Oder wollen Sie lieber die norwegischen Fjorde erkunden?
Claudia Nystad: Gerade jetzt bin ich in der Stimmung, mit meiner Mannschaft die Erfolge zu feiern und wir werden die Saison zusammen zu Ende laufen. Was danach kommt, das besprechen wir auch erst danach.
Frage: Was macht eine Claudia Nystad eigentlich im Sommer? Träumen Sie unter heißer Sonne von verschneiten, klirrend kalten Gegenden ? Wird ganz einfach nur der gekühlte Cocktail genossen?
Claudia Nystad: Ich träume immer von warmen Stränden und heißer Sonne und nicht zuletzt von Beach-Boys. Ich bin eine Sommersportlerin, aber leider gefangen im Körper einer Wintersportlerin 😉 . Anders, als viele wissen, ist unsere Haupttrainingszeit im Sommer und somit auch die Zeit, wo wir am meisten reisen und trainieren.
Frage: Zurück zu den Begleitumständen bezüglich des Teamsprint-Olympiasieges … – Was die Kritik von Medien, Trainern und Funktionären der letzten Monate betrifft: Welche „Lehren“, Erkenntnisse ziehen bzw. zogen Sie aus diesen „verbalen Einlassungen“?
Claudia Nystad Im Nachhinein weiß ich, dass jeder mit Erfolg umgehen kann, aber fast keine Menschen mit Misserfolg. Die sehr wenigen Menschen, die in schwierigen Zeiten zu mir gehalten haben, sind meine wahren Freunde.
Frage: Bereits vor Olympia gab es Druck von Sport-Politikern, -Funktionären oder sonstigen -"V.I.P.`s" hinsichtlich der Medaillen-Ausbeute – in allen Sportarten. Wie ist die Meinung einer Sportlerin dazu?
Claudia Nystad: Ich finde es eher schön, dass sich so viele hoch profilierte Menschen unserer Gesellschaft für Sport interessieren. Für mich entsteht dadurch kein Druck. Ich freue mich, dass das Augenmerk somit auf unseren Sport gelenkt wird.
Letzte Frage: Was waren für Sie die besonderen Momente der Winterspiele 2010?
Claudia Nystad: Die Hilfsbereitschaft aller Attachés im olympischen Dorf hat mich tief beeindruckt. Eine der Frauen hat mir zum Beispiel vor meinem ersten Rennen meinen Laufanzug, der nicht perfekt gepasst hat, umgenäht. Die freiwilligen Helfer haben extrem hohe Anerkennung verdient. Bei Regen und Schnee standen sie draußen und hatten für jeden ein freundliches Wort. Auch das schlechte Wetter hat mich beeindruckt, sieben Tage Dauerregen … Wobei: An unserem Goldmedaillentag war es wunderschöner Sonnenschein!
Fakten zu Claudia Nystad
Jahrgang 1978 – Verein: WSC Erzgebirge Oberwiesenthal – Beruf: Sportsoldatin, Grafik-Design-Studentin – Erfolge: Olympische Spielen 2002-2010 – 2 x Gold, 3 x Silber, Weltmeisterschaften 2003-2009 – 1 x Gold, 4 x Silber, 3 Weltcup-Siege
Weitere Angaben und Informationen: www.claudiakuenzel.de / www.wsc-erzgebirge.de
Das Interview führte Marko Michels, rostock-sport.de