Die Free Agency 2010 wirft bereits seit geraumer Zeit ihre Schatten voraus. Auch LeBron James hat in jenem Sommer die Möglichkeit, sich einen neuen Arbeitgeber zu suchen – als ein solcher werden immer wieder die New York Knicks genannt. Doch: Wie wahrscheinlich ist es wirklich, dass der König sein Reich demnächst in den „Big Apple“ verlegt?
Es ist Sommerpause. Erst vor einiger Zeit warf Crossover-Redakteur Christian Gerne einen Blick auf die spärlichen Neuigkeiten, welche die NBA und ihre Spieler in der Offseason hervorbringen. Zu dieser Zeit des Jahres scheinen auch die fast unerschöpflichen Quellen für Diskussionsstoff, der Fans liebste Themen, langsam zu versiegen: Die Superstars der Basketball-Welt – Kobe, LeBron und Co. Während sich Bryant dank des Titelgewinns der Lakers zumindest lange in den Schlagzeilen hielt, ist es um James bereits seit Längerem relativ ruhig geworden – genauer gesagt seit dem Playoff-Aus der Cleveland Cavaliers. In den Eastern Conference Finals war das Team um den jungen Superstar herum einmal mehr nicht gut genug, um einen Titel ins beschauliche Cleveland zu holen. Von den Orlando Magic und Dwight Howard – einem weiteren Liebling der Fangemeinde – ausgebremst, blieb James auch in seinem sechsten NBA-Jahr der Griff an die Larry O’Brien Trophy verwehrt. Für einen ebenso hochbegabten wie außergewöhnlichen Spieler wie ihn soll und kann dies kein Dauerzustand sein.
Zauberhaftes Königreich?
Die Frage nach LeBrons zukünftigen Titelchancen führt zwangsläufig zum Thema Free Agency 2010. Im Sommer des nächsten Jahres kann der Forward per Spieleroption aus seinem Vertrag aussteigen und wie viele andere prominente Spieler den Markt testen. Ob James diese Gelegenheit beim Schopfe packt, um einen neuen, hoch dotierten Vertrag bei den Cavs zu unterschreiben oder Cleveland den Rücken zu kehren, und welche Franchises sonst als Heimat des 25-Jährigen dienen könnten – darüber zermartern sich Fans weltweit seit dem Tag im Sommer 2006 den Kopf, als LeBron sein königliches Kürzel unter den letzten Vertrag setzte.
Im Zusammenhang mit des Königs Free Agency – nehmen wir mal an, sie wird in rund zehn Monaten tatsächlich vor der Tür stehen – wird immer wieder New York genannt. Zu verlockend ist es schlicht, sich LeBron im „Big Apple“ vorzustellen: Der (bis dahin wohl unumstritten) beste Basketball-Spieler des Planeten in einer der Weltmetropolen schlechthin, die ihm zudem auch noch aus persönlichen Gründen am Herzen liegt. Die Affinität des „King“ für die Stadt New York und ihr Viertel Brooklyn ist gemeinhin bekannt. Dass außerdem noch der Rap-Star und James-Kumpel Jay-Z sowie das von LeBron heiß geliebte Baseball-Team der Yankees in New York zu Hause sind, lässt so manches Knicks-Fan-Herz höher schlagen. Eine zauberhafte Destination, mag man denken.
Genauso bekannt sind jedoch die persönlichen Vorteile, die Cleveland bietet: Die Stadt am Eriesee ist nur einen Katzensprung von James‘ Heimat Akron entfernt – „The Chosen One“ ist bisher immer nahe der Heimat bei Familie und Freunden gewesen. Will man also die Wahrscheinlichkeit bestimmen, dass es LeBron tatsächlich nach New York ziehen wird, vernachlässigt man vorerst besser die privaten Aspekte. Sowieso lässt sich schwer prognostizieren, wie schwer Einzelheiten ins Gewicht fallen. Übergehen wir darum einmal Brooklyn, den „Jigga“ und die Holzhauer, und blicken rund ein Jahr vor der „Jahrtausend-Free-Agency“ den rein geschäftlichen Tatsachen des NBA-Gewerbes ins Auge: Was spricht wirklich dafür, dass „King James“ von 2010 an in New York regiert?
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„Ich bin ein Gewinner. Ein harter Wettkämpfer. Das ist, was ich tue“, sagt LeBron von sich selbst. Diese Zitate entstammen den eingangs erwähnten Conference Finals gegen die Orlando Magic. Wie ernst es James wirklich mit dem Gewinnen ist – und wie enttäuscht er gleichzeitig vom Abschneiden der Cavaliers war –, zeigte sich im Anschluss an die sechste und letzte Begegnung gegen die Magic: Ohne den obligatorisch anerkennenden Handshake mit den Kontrahenten und die Fragerunde mit den Presseleuten verabschiedete sich der König in den Sommer. „Es ist schwer für mich, jemandem zu gratulieren, wenn man gerade gegen ihn verloren hat“, gestand er später ein – und nochmal: „Ich bin eben ein Gewinner.“
Es ist schwer vorstellbar, dass James sich seine zukünftige Heimat nicht in erster Linie nach den Erfolgsaussichten der beheimateten Franchise aussucht. „Der Titel hat oberste Priorität“, sagt er auch. Ein Ausnahmespieler wie er, der stets die größten persönlichen Auszeichnungen abräumte und in den kommenden Jahren weiter abräumen wird, der will auch auf der Mannschaftsebene erfolgreich sein.
Die New York Knicks der letzten Jahre passen da nicht ganz ins Anforderungsprofil: Seit 2005 werden in schöner Regelmäßigkeit die Playoffs verpasst. Zeitweilen bekamen die erfolglosen Knickerbockers gar das Label der „größten Lachnummer der Liga“ verpasst. Die Pleitensammlung hat allerdings auch ihr Gutes: Gleich mehrmals durften die Club-Verantwortlichen zuletzt an höherer Stelle beim NBA-Draft wählen. Zwar wird die Knicks in puncto Potenzial niemand mit den Oklahoma City Thunder verwechseln, doch die Anhäufung junger, talentierter Akteure ist durchaus augenscheinlich. So stehen etwa mit Wilson Chandler und Danilo Gallinari zwei vielseitige Flügelspieler im Kader. Der 22-jährige Chandler bewies seine Fähigkeiten als Schlüsselspieler der Zukunft mit einer starken Sophomore-Saison 2008/09, in der er durchschnittlich 14,4 Punkte und 5,4 Rebounds markierte. Die Rookie-Spielzeit des 21-jährigen Gallinari wurde zwar von diversen Verletzungen dahingerafft, dennoch kam er in durchschnittlich 15 Minuten auf immerhin 6,1 Zähler. In Erinnerung sollte man sich einmal mehr rufen, dass der junge Italiener noch im Vorjahr in der Euroleague 14,9 Punkte und 4,2 Rebounds im Schnitt an den Mann gebracht hatte.
Mit dem kürzlich im Draft erworbenen Big Man Jordan Hill (22 Jahre) und Guard Toney Douglas (23 Jahre) steht auf mehrere Jahre hinaus ein solider Kern an Spielern bereit. Bis auf Chandler, der in zwei Jahren Restricted Free Agent werden dürfte, stehen die erwähnten Jungspunde bis mindestens 2012 in New York unter Vertrag. Bis LeBron James im Madison Square Garden das Zepter schwingen könnte, dürften sie sich alle soweit etabliert haben, um zumindest wichtige Nebenrollen auszufüllen. „Die Knicks haben die Art jungen Spieler, die sich neben einem Superstar zu wichtigen Puzzleteilen entwickeln können“, unterstreicht Louis Roxin von realgm.net. Sollte es zudem doch noch gelingen, Arbeitstier David Lee – eventuell ja auch Nate Robinson – längerfristig zu annehmbaren Konditionen an den Verein zu binden, stünde bereits jetzt ein vielversprechender Stamm an Spielern bereit.
„Ich bin ein harter Geschäftsmann“, sagt LeBron von sich. Erfahren musste das sein ehemaliger Agent. James beendete die Zusammenarbeit im Jahr 2005 und stellte stattdessen kurzerhand drei Freunde aus der gemeinsamen High-School-Zeit ein. „Es half mir, als Anführer, als Person, als Geschäftsmann zu wachsen“, erzählt er in der Dokumentation 60 Minutes. Der NBA und David Stern stieß dieser Alleingang bitter auf. Es floriert jedoch, LeBrons kleines Unternehmen. Klein ist der Gewinn nämlich ganz und gar nicht: Allein im Jahr 2008 soll James 40 Millionen US-Dollar eingenommen haben. „Ich will mein eigenes Unternehmen sein“, sagt er.
Wenn James im kommenden Jahr diverse Vertragsangebote wird vorliegen haben, dürften kleinere Gehaltsunterschiede nur eine untergeordnete Rolle spielen. Zwar werden die Cavaliers ihrem Star wohl ein leicht besser dotiertes Angebot vorlegen können als die Konkurrenz, doch im Gesamtbild der LeBron-Finanzwelt stehen andere Dinge im Vordergrund. Der Mann, der einst als Ziel ausgab, als erster Sportler die „Eine-Milliarde-Dollar-Grenze“ überschreiten zu wollen, will sich selbst bestmöglich vermarkten. Lukrative Werbeabkommen mit Nike, Coca-Cola oder Upper Deck sind die eine Seite, persönliche Inszenierungen die andere. Im Jahr 2007 brachte Nike so etwa die Werbereihe „The LeBrons“ ins Fernsehen, in der dargestellt wird, wie James vier verschiedene Charaktere in sich vereinigt: Da ist LeBron, der Teenager. LeBron, der dynamische Athlet. LeBron, der erfahrene Senior. Und schließlich LeBron, der Geschäftsmann. „In 15 bis 20 Jahren will ich der reichste Mann der Welt sein“, sagte er einst. Wo ließe sich dieses Vorhaben besser umsetzen und fortführen als in New York?
Zweifelsohne beruht das „Imperium James“ schon lange nicht mehr auf dessen sportlicher Heimat – bisher Cleveland. Doch der „Big Apple“ wäre ein idealer Nabel für alle zukünftigen Vermarktungs-Ideen und Werbeplanungen des Königs. Ein großer Geschäftsmann in einer der Metropolen schlechthin. Der beste Basketballer im Mekka des Korbsports. „Von einem Vermarktungs-Standpunkt aus betrachtet macht es Sinn. Jeder will einen der Besten in einem der größten Märkte sehen. Kobe ist in einem der besten Märkte, in L.A., deshalb will jeder LeBron auch in einem solchen sehen“, bekräftigt Dwyane Wade in den Daily News. Es braucht kein Marketing-Studium, um die Vorteile einer solchen Partnerschaft zumindest erahnen zu können.
„Er ist ein Offensiv-Genie“, sagt LeBron in der New York Post über Mike D’Antoni. Den Head Coach der Knicks und den Superstar der Cavs verbindet seit Längerem eine auf Gegenseitigkeit beruhende Wertschätzung. Während den Olympischen Spielen in Peking, bei denen D’Antoni das Team USA als Assistant Coach begleitete, wuchs die Zusammenarbeit. „Wir sind uns wirklich nahe gekommen“, erzählt „King James“. Wie angetan LeBron von dessen Spielstil ist, kann er kaum verbergen: „Er gab mir eine Menge Freiheiten.“ Und: „Teil dieser Chemie, Teil dieses Offensiv-Genies zu sein, das Mike D’Antoni ist, war großartig.“
Der Umbau der New York Knickerbockers, wie Isiah Thomas sie hinterlassen hatte, begann im Frühling 2008. Thomas‘ Knicks, das waren eine Ansammlung egoistischer, gewissenloser Zocker – Marbury, Francis und Co. –, die der Franchise in der Saison 2007/08 grottige 23 Siege gebracht hatte. Donnie Walsh kam im April des vergangenen Jahres in allerhöchster Not nach New York – als kadertechnischer Sanitäter sozusagen. Als Manager der Indiana Pacers hatte sich Walsh zuvor einen Namen als ein Top-Verantwortlicher im NBA-Geschäft gemacht. Der ältere Mann mit Brille und Gelfrisur löste nun den „Ex-Bad-Boy“ Thomas ab, der Coach und Manager in Personalunion gewesen war. Eine von Walshs ersten Amtshandlungen: Er erweckte die Gewaltenteilung wieder zum Leben und holte mit Mike D’Antoni einen renommierten Übungsleiter an seine Seite, der mit den Phoenix Suns jahrelang den ansehnlichsten Basketball der NBA zelebriert hatte. Ähnliches plante Walsh auch für seine Knicks.
Obwohl die abgelaufene Spielzeit auf den ersten Blick noch nicht der große Umschwung in der Ostküstenmetropole war, so hat New Yorks neues Dirigentenduo doch bereits bemerkenswerte Arbeit geleistet. Walsh gelang es, die Bremsklötze der Thomas-Ära loszuwerden, und dafür Spieler nach N.Y. zu lotsen, die wesentlich besser in das „Seven-seconds-or-less“-System seines neuen Head Coaches passten. D’Antoni konnte zwar aus dem talentmäßig unterdurchschnittlichen Kader nicht mehr als 32 Siege herausholen, brachte allerdings mit seinem spektakulären Spielstil ein von den kritischen New Yorker Fans mehrheitlich anerkanntes Konzept mit, das gleichzeitig auch die Entwicklung der jungen Spieler wie Lee, Chandler oder Robinson förderte. „Ich denke, Coach D‘Antoni hat großartige Arbeit geleistet, indem er diesen Jungs ein System gegeben hat, das für sie funktioniert“, lobt LeBron in der New York Post.
Beste Aussichten
Der wohl noch größere Verdienst liegt jedoch darin, dass die Knicks mit ihren Transaktionen Flexibilität geschaffen haben. Die dicken Verträge von Larry Hughes, Al Harrington, Cuttino Mobley, Darko Milicic und Chris Duhon laufen im Sommer 2010 aus; es fallen allein deshalb fast 50 Millionen US-Dollar an Gehältern weg. Ein Jahr später folgen mit Eddy Curry (11,3 Millionen) und Jared Jeffries (6,8 Millionen) zwei weitere dicke Brocken (in Currys Fall lässt sich diese Aussage sogar wortwörtlich nehmen). Mit finanziellen Mitteln dieser Art sollte es gelingen, zusätzlich zu einem Franchise-Player weitere Playoff-erprobte Veteranen an die Ostlüste zu lotsen. Wie man es auch dreht und wendet: Die New York Knicks sind nach dem aktuellen Stand der Dinge – ein Jahr vor der großen Free-Agent-Hatz – bestens für den Sommer 2010 gerüstet, wenn eine Vielzahl von Stars auf dem Markt ist.
Dass die Knicks es vornehmlich aber auf LeBron James abgesehen haben, ist schon lange kein Geheimnis mehr. Sie haben einen talentierten Kern an Spielern, der in der kommenden Saison weiter wachsen wird, sie können die Weltbühne New Yorks vorweisen, besitzen einen von LeBron geachteten Coach sowie (endlich wieder) ein fähiges Management, und haben zudem das nötige Kleingeld, um dem König fähige Adjutanten an die Seite zu stellen – alles Aspekte, die für „The Chosen One“ bei der Wahl seiner zukünftigen Heimat ins Gewicht fallen werden. Wenn man außerdem die Umstände miteinbezieht, dass James ein gewisses Faible für New York besitzt, ergibt sich eine Summe an Komponenten, die tatsächlich verlockend klingen muss. „Ich fühle mich geschmeichelt von den Gerüchten, die gerade umhergehen, dass sie es sehr gerne hätten, wenn ich Teil ihres Teams wäre“, gibt LeBron zu, fügt jedoch gewohnt diplomatisch hinzu: „Aber momentan gehöre ich zu den Cavs.“
Wie dem auch sei, der Sommer 2010 wird für mehr Gesprächsstoff sorgen als der diesjährige. Egal, ob mit LeBron James in New York oder ohne.
Joshua Wiedmann, crossover-online.de