Ein Auftakt nach Maß bei der Leichtathletik-WM picture-alliance

Ein Auftakt nach Maß bei der Leichtathletik-WM

  • Derk Hoberg
Welch ein Wochenende bei der Leichtathletik-WM in der Hauptstadt. Herrliches Wetter, tolle Atmosphäre im Stadion und dazu ein Auftakt nach Maß für die deutschen Sportler. Kugelstoßer Ralf Bartels sorgte gleich am ersten Tag für den ersten Paukenschlag. Gestern legten Nadine Kleinert und Jennifer Oeser nach und einen Weltrekord gab es noch oben drauf.

Für den Neubrandenburger Ralf Bartels freut es mich ganz besonders, kam er doch wegen seiner Verletzung im vergangenen Jahr nur schwer in die Saison. Dass er jetzt beim Saisonhöhepunkt mit persönlicher Bestleistung die Bronzemedaille holte, ist eine umso größere Überraschung.


Wie sehr dieser gute Start unsere anderen Athleten motiviert, haben wir dann am gestrigen Abend gesehen. Kugelstoßerin Nadine Kleinert aus Neckarsulm und Siebenkämpferin Jennifer Oeser gewannen binnen zwei Minuten jeweils Silber. Das Stadion bebte im wahrsten Sinne des Wortes - sogar die Sprintstars, die auf ihren Endlauf warteten, waren beeindruckt von der Atmosphäre. Die Show stehlen lassen wollten sie sich aber nicht. So lief Usain Bolt die 100 Meter in 9,58 Sekunden. Mit diesem Fabelweltrekord setzte er dem großartigen Abend noch das Sahnehäubchen auf.


Die deutschen Athleten haben damit schon jetzt mehr Medaillen gewonnen, als im vergangenen Jahr, bei den Leichtathletik-Wettbewerben der Olympischen Spiele in Peking. Damit ist das Minimalziel bereits nach zwei Tagen erreicht.


Während Nadine Kleinert zuvor schon dreimal auf dem WM-Treppchen stand, war es für Jennifer Oeser der bisher größte Erfolg ihrer Karriere. Sie wurde in all ihren sieben Wettkämpfen vom Publikum getragen – das ist der große Vorteil im Mehrkampf. Gegen Ende hin hatte sich da schon eine gewisse Eigendynamik entwickelt, Jenni war wie in einem Rausch. Die ehemalige Junioren-Europameisterin hat ihre persönlichen Bestleistungen gleich in mehreren Disziplinen verbessert und den Heimvorteil bei dieser WM optimal ausgenutzt. Selbst am zweiten Tag, an dem es normalerweise nicht so gut für sie läuft, konnte sie groß auftrumpfen. Nicht einmal ein dramatischer Sturz zur Hälfte des abschließenden 800 Meter-Laufs konnte die EM-Vierte stoppen.


Heute steht dann meine Paradedisziplin auf dem Programm, die 10.000 Meter. Bei der Masse an Topläufern aus Kenia und Äthiopien ist es auch für mich schwer, eine Prognose für dieses Rennen abzugeben.


Warum wir Deutschen derzeit keinen Spitzenläufer in dieser Disziplin haben, wird deutlich, wenn man die Hintergründe und Trainingsbedingungen der Sportler aus anderen Ländern berücksichtigt. Gerade in Kenia und Äthiopien gibt es ein regelrechtes Überangebot an Läufern. In Trainingslagern finden dort von morgens bis abends knallharte Ausscheidungsrennen zwischen Hunderten von Läufern statt. Nur die besten werden ausgewählt und die sind wirklich verdammt schnell. Hier haben so viele den Traum, der extremen Armut mit Hilfe einer Sportlerkarriere zu entkommen.


In den USA sieht es wiederum ganz anders aus: Dort finden die Athleten modernste Trainingsanlagen und High Tech vom feinsten vor. Man läuft auf Anti-Schwerkraft-Laufbändern und schläft in speziellen Kammern, die eine Höhe von 4000 Metern simulieren. Beide Modelle sind unterschiedlich, funktionieren aber. Da hat man es sehr schwer als Europäer, überhaupt Schritt zu halten.


Für das Stabhochsprungfinale der Frauen heute, haben sich alle drei Deutschen qualifiziert und eine gute Ausgangslage verschafft. Sie werden sich sicher von der Atmosphäre in Berlin beflügeln lassen. An der zweifachen Olympiasiegerin Jelena Issinbajewa aus Russland wird zwar kein Weg vorbeiführen, dennoch räume ich Vize-Halleneuropameisterin Silke Spiegelburg durchaus Chancen auf eine Medaille ein. Auch der 24-jährigen Anna Battke, die mit ihren neuen, härteren Stäben scheinbar gut zurechtkommt, traue ich eine Überraschung samt Medaille zu. Im Training hat die Mainzerin verstärkt den langen Anlauf geübt. Das hatte sie früher vernachlässigt, heute könnte es ihr zu Gute kommen.


Antje Möldner greift ebenfalls heute wieder ins Geschehen ein. Nachdem sie ihren Vorlauf über 3000 Meter-Hindernis in deutschem Rekord absolviert hat, geht auch sie hoch motiviert in ihr Finale. Eine Medaille wird allerdings schwer für sie zu erreichen sein, selbst wenn sie über sich hinaus wächst.


Die Speerwerferinnen haben eine eher durchwachsene Qualifikation hinter sich gebracht. Im Finale am Dienstag erwarte ich aber eine Leistungssteigerung, sowohl von Olympiabronzemedaillen-Gewinnerin Christina Obergföll, als auch von der routinierten Steffi Nerius. Für sie ist es der letzte große Wettkampf - ich bin sicher sie will sich mit einer Spitzenleistung verabschieden. Dennoch, der komplizierte Bewegungsablauf beim Speerwurf birgt so seine Tücken. Da muss alles hundertprozentig stimmen, um auf dem Treppchen zu landen.


Die Stimmung überall in der Stadt und im Stadion ist einfach nur toll. Man merkt, dass die Leute die WM annehmen und die Leichtathletik Interesse und Begeisterung bei den Menschen hier vor Ort weckt. Nach solch einem Auftaktwochenende wird das Fieber wohl auch noch weiter steigen. Ich freue mich jedenfalls riesig auf die nächsten Wettkämpfe.

Bis zum nächsten Mal

Euer Jan Fitschen

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