Rio de Janeiro – Pulsierende Metropole mit totem Herz getty images

Rio de Janeiro – Pulsierende Metropole mit totem Herz

  • Nils Borgstedt
Ein Jahr vor der Fußball-WM ist Rio de Janeiro in den Schlagzeilen präsent wie selten davor. Das war so geplant, das war zu erwarten. Einzig das Thema sollte ein anderes sein. Statt begeisterter Fußballberichterstattung geht es um Protestaktionen. Gegen Korruption, gegen die Regierung, gegen die FIFA. Und das, obwohl der Fußball in Rio omnipräsent ist.

Es gibt etwas in Rio de Janeiro, das fällt einem schon beim Anflug und bei jeder Fahrt durch die Stadt auf. Und es ist nicht die Cristus-Erlöser Statue und auch nicht der Zuckerhut. Nein, es sind Fußballplätze. Überall sind Fußballplätze. Diese Stadt lebt Fußball, nicht nur wegen ihrer drei großen Clubs Flamengo, Fluminense und Botafogo. Immer und überall wird gekickt. Am Strand, in „Käfigen“, auf der Straße. Und natürlich im Maracana-Stadion, jenem Fußball-Tempel, der derzeit mit Auslöser für die Proteste im Land ist. Das Stadion soll privatisiert werden, wurde allerdings gerade erst mit Steuergeldern renoviert.

 

Rio – die ehemalige Hauptstadt

Die Sieben-Millionen-Metropole Rio de Janeiro ist noch immer die gefühlte Hauptstadt. Bis 1960 war sie es tatsächlich, dann erfolgte der Umzug der Regierung nach Brasilia, dem Paradebeispiel einer Planstadt, hochgezogen in drei Jahren. Doch auch ohne Regierungssitz zählt Rio nach wie vor zu den bekanntesten und beliebtesten Städten Brasiliens. Copa Cabana, Cristus-Statue, Zuckerhut – wer kennt sie nicht?

 

Stichwort Kriminalität

Zwar ist Gewalt ein großes Thema in Rio, allerdings bekommt man davon am ehesten etwas im Fernsehen mit. Wer sich in Rio an das dortige Leben anpasst und ein paar Dinge beherzigt, lebt auch als Tourist relativ sicher. Wertgegenstände und teurer Schmuck sollten nicht offen getragen werden, bestimmte Gegenden – allen voran die Favelas – muss man meiden und nach Einbruch der Dunkelheit keine Strandbesuche mehr starten. Sollte man dennoch in eine kritische Situation geraten, heißt es: Ruhig bleiben, Forderungen erfüllen, keinen Widerstand leisten, langsame Bewegungen.

Besonders hoch ist die Kriminalitätsrate in den Favelas, die größtenteils im Norden der Stadt liegen. Etwa 1000 dieser Armenviertel soll es alleine im Stadtgebiet von Rio de Janeiro geben. Auch wenn Regierung und Polizei versuchen, die Slums zu befrieden, gibt es noch immer Gegenden, in denen andere die Gesetze machen. In solche Viertel kommt man nur mit Genehmigung des dortigen Drogenbosses. Andernfalls spielt man mit seinem Leben.

Wer dennoch eine Favela besuchen möchte, kann geführte Touren machen. Ob sich allerdings die Armut anderer Menschen als Touristenattraktion anbietet, ist mehr als fragwürdig. Die Regierung jedoch hat ihre Entscheidung diesbezüglich gefällt: Ja, sie tut es. Seit 2010 gibt es ein Förderprogramm, das solche Touren ermöglicht. Einige ausgewählte, befriedete Viertel kann sich der geneigte Tourist zu Gemüte führen. Nur 10 bis 15 Minuten Autofahrt reichen, um das andere Rio zu Gesicht zu bekommen, den Süden der Metropole. Luxus und Armut liegen in Rio so eng beieinander wie in kaum einer anderen Stadt.

Im Süden geht es nobler zu. Hochhäuser, Hotels, zahlreiche Restaurants, Bars und Geschäftsgebäude prägen das Stadtbild. Hier befinden sich auch die berühmten Strände Copa Cabana und Ipanema sowie das wohl beste Hotel der Stadt, das Copa Cabana Palace. Die Rolling Stones und Queen Elizabeth II. haben hier bereits gehaust. Anlässlich der WM und der olympischen Spiele sind weitere Bauten geplant, vor allem die Hafengegend wird – auch dank ausländischer Investoren – aufpoliert. Und was fehlt natürlich auch in dieser Stadtgegend nicht? Richtig, Fußballplätze. Sehr beruhigend für alle Fußballfans: Der größte Teil der kickenden Jungs und Mädels tritt nicht besser gegen den Ball als hiesige Freizeit-Messis.

Und so unterschiedlich Norden und Süden der Stadt sind, sie gehören zusammen. Etwa ein Drittel der Bewohner von Rio lebt in Slums. Viele von ihnen arbeiten im Zentrum. Abends, nach Feierabend, ist dort dann nichts mehr los. „Wir haben ein totes Herz“, berichtet ein Einheimischer. Und dennoch pulsiert die Metropole. Gerade wenn es um Fußball geht. Und sei es auch nur, wenn ein Fußball-Event Anstoß zu Protesten ist.

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