Warum so viele Leistungssportler unter Schlafstörungen leiden pexels auf pixabay.com
Fit mit Köpfchen - mentale Fitness von Dr. Christian Graz

Warum so viele Leistungssportler unter Schlafstörungen leiden

  • Dr. Christian Graz
Ein- und Durchschlafprobleme sind in Deutschland inzwischen nahezu eine Volkskrankheit. Bekannt ist ebenfalls, dass mit dem Alter chronisch anhaltende Schlafbeschwerden zunehmen. Weniger bekannt dürfte sein, dass es vor allem auch jüngere, gesunde Leistungssportler sind, die sich mit einer dauerhaft geminderten Schlafqualität quälen. Dies führt in vielen Fällen zu einer erheblichen Reduktion der Lebensqualität und Einbußen bei der sportlichen Leistung. Erhöhte Tagesmüdigkeit, Gedächtniseinbußen, ein gemindertes Energielevel und Stimmungsschwankungen mit erhöhter Reizbarkeit sind typische Folgen.
Derzeit gibt es keine endgültigen Zahlen, wie hoch der Anteil an aktiven Spitzensportlern ist, die unter Schlafstörungen leiden. Nach klinischem Erfahrungsaustausch bei leistungssportbezogenen Kongressen mit Sportpsychologen zeichnet sich jedoch ein deutlicher Trend ab: Die Diagnose Schlafstörung bei Profisportlern wird immer häufiger gestellt. Eine Umfrage des Bundesamtes für Sport in der Schweiz hat ergeben, dass an den Olympischen Spielen in Sotschi 2014 jeder dritte eidgenössische Sportler an Ein- oder Durchschlafstörungen litt. Eine Auswertung von 37 thematisch relevanten Studien unter mehreren tausend Sportlern zeigte, dass 26 Prozent der Befragten relevante Beeinträchtigungen durch Schlafstörungen erlitten – allerdings flossen auch Daten zu ehemaligen Athleten in diese Metaanalyse ein.

Ein chronisch nicht erholsamer Schlaf ist ein gewaltige Sollbruchstelle, reduziert nicht nur die sportliche Leistungsfähigkeit und damit die berufliche Grundlage, sondern erhöht auch die Verletzungsanfälligkeit deutlich. Dabei ist eines klar: Profisportler müssen insbesondere in intensiven Trainingsphasen und zu Wettkampfzeiten gut schlafen, um optimal zu regenerieren und die nötige Energie zu tanken.

Welche Ursachen haben die Schlafprobleme von Leistungssportlern?

Leistungssportler sind bereits in jungen Jahren einer Vielzahl außergewöhnlicher Stressfaktoren ausgesetzt, die die seelische Gesundheit belasten können. Natürlich haben auch Studenten und Berufseinsteiger inneren Druck auszupendeln, dies ist aber nicht mit der mental und physisch so kräftezehrenden Herausforderung zu vergleichen, über Jahre im Wettkampf ganz vorne mitmischen zu wollen. Schlechte Ergebnisse, Misserfolge im Training, Angst vor COVID-Folgen wie einer Herzmuskelentzündung oder einer Lungenkrankheit, chronische Verletzungen, finanzielle Einbrüche bei mangelnden Wettkampferfolgen – all das entzündet ein Sorgenkarussell im Kopf mit Ein- und Durchschlafschwierigkeiten, frühmorgendlichem Erwachen sowie Ärger und Angst über erneute Schlaflosigkeit. Ein quälendes „Nicht-abschalten-Können“ mit negativ getönten Gedanken zu belastenden Tagesereignissen begleitet den Sportler.

Auslöser von Schlafproblem kann auch ein Übertraining sein. Betroffene sollten dann testen, ob sie besser zur Ruhe kommen, wenn sie es beispielsweise eine Woche lang ruhiger angehen lassen. Eine erste Orientierung, ob ein Sportler zu viel trainiert, kann auch ein Übertrainings-Test ergeben.

Eine weitere Ursache können sportliche Höchstleistungen in den Abendstunden sein, wodurch ein physiologisches Hyperarousal ausgelöst wird: diese Übererregung mit neurobiologischen Veränderungen in bestimmten Hirnarealen verhindert ein Hinunterregulieren beziehungsweise ein erfolgreiches „Abschalten-Können“ und beschert in der Folge eine schlaflose Nacht.

Bei sehr intensivem Training steigt z.B. der Puls deutlich und der Körper gerät in einen Sauerstoffmangel. Dadurch werden Stresshormone ausgeschüttet, die innere Unruhe und Muskelanspannung verursachen. Nach der Belastung dauert es Stunden, bis diese wieder abgebaut sind und der Körper zur Ruhe kommt.

Es gilt also, wichtige Zusammenhänge für einen gesunden Schlaf zu kennen und in die Trainingspläne einzuarbeiten, um die Schlafqualität nicht zu gefährden. Aber Vorsicht: Gerade der Hype technischer Selbstoptimierung und -vermessung im Spitzensport durch Smartphone-Apps und Fitness-Tracker kann ebenfalls eine geruhsame Nacht verhindern. Dabei senden Analyse-Ringe und farbige Armbänder teils groteske Nachrichten wie "Heute hast Du besser geschlafen als 92 Prozent der Menschen in Deiner Umgebung". Analysegeräte mit zu viel Tracking in Bezug auf den Schlaf können den jungen Sportler weiter verunsichern und die Problematik einer schlechten Schlafqualität verschärfen.

Was kann der Sportler gegen Schlafstörungen tun?

Es gilt, auch in dieser Frage Augenmaß zu wahren. Gelegentliche schlechte Nächte sollten noch keine Lawine an diagnostischer medizinischer Abklärung lostreten. Ab und an schlecht zu schlafen ist normal.

Liegt allerdings eine Einschlafstörung, Durchschlafstörung oder ein nicht erholsamer Schlaf für die Dauer von einem Monat und mehr vor und bestehen hierdurch negative Auswirkungen auf die Tagesbefindlichkeit und körperlich-mentale Leistungsfähigkeit, dann sollte der Sportler dieses Thema ernsthaft angehen und einen Arzt seines Vertrauens aufsuchen.

Und dies ist nicht trivial. Die moderne Schlafmedizin differenziert nämlich inzwischen 80 verschiedene Schlafstörungen. Die diagnostische Abklärung ist wichtig. Der klinischen Anamnese mit Einsatz von Schlaftagebüchern und Fragebögen sollte eine sorgfältige organmedizinische Untersuchung (Labor, Elektrokardiogramm, Elektroenzephalogramm) folgen. Eine besonders differenzierte Methode zur Erfassung von Schlafstörungen ist die sogenannte Polysomnographie im Schlaflabor, ein Verfahren, dass die Erfassung verschiedener Schlafstadien, von nächtlichen Beinbewegungen und von Atmungsstörungen erlaubt.

Spitzensportler sollten also ihren Schlaf, sofern er ein echtes Problem darstellt, mit derselben Akribie analysieren, wie sie dies mit anderen körperlichen Parametern auch tun. Gerade in der professionellen Wettkampfvorbereitung wird die aerobe und anaerobe Leistungsfähigkeit genauestens analysiert und die metabolischen Anforderungen gemessen und berechnet. Gleichzeitig werden bei Topathleten die Erkenntnisse aus der Pathophysiologie der Schlafregulation noch wenig berücksichtigt. Dabei ist Regeneration und Erholung im Sport Voraussetzung für Erfolg.

Zudem ist die Vermittlung grundsätzlicher Kenntnisse über Schlafregulation und Regeln zur Schlafhygiene in Kombination mit einfachen Entspannungs- und Achtsamkeitsübungen hilfreich. Wer es schafft, durchaus bekannte Tipps für einen gesunden Schlaf einzuhalten, der kann mit hoher Wahrscheinlichkeit seine Schlafqualität in den Griff bekommen und damit an seine sportlichen Bestleistungen anknüpfen. Zu diesen basalen Regeln gehören:

- Keine koffeinhaltigen Getränke nach 15.00 Uhr
- Alkoholkonsum nicht als Schlafmittel einsetzen
- Verzicht auf Appetitzügler
- Keine schweren Mahlzeiten am Abend
- Verringerung geistiger und körperlicher Anstrengung vor dem Zubettgehen
- Entspannungstechniken und Achtsamkeitsübungen einsetzen
- Persönliches Einschlafritual einführen
- Angenehme Schlafzimmeratmosphäre (eher kühle Temperatur)
- Keine Unterhaltungselektronik im Schlafzimmer
- Medienkonsum beschränken

Dr Christian GrazZur Person: 

Dr. Christian Graz ist Chefarzt der Psychosomatik der Max Grundig Klinik auf der Bühlerhöhe. Graz ist Facharzt für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, Verhaltenstherapeut, Suchtmediziner und Forensiker, der langjährig Führungskräfte wie auch Berufssportler behandelt. Auf netzathleten.de gibt er in seiner Reihe "Fit mit Köpfchen" mentale Tipps für mehr Fitness und Leistungsfähigkeit.

Kontakt

Copyright © 2017 netzathleten