Marcel Heinig nach dem Triathlon-Weltrekord Sandra Krüger

Marcel Heinig nach dem Triathlon-Weltrekord

  • Marcel Heinig
50 Olympische Distanzen in 10 Tagen: Einen Monat nach seinem Weltrekord im Triathlon berichtet Ultratriathlet Marcel Heinig wie er sich dabei gefühlt, was ihm zu schaffen gemacht und wie er sich zu so einer Leistung motiviert hat.

netzathleten: Kannst Du schon wieder beschwerdefrei laufen?
Marcel Heinig: Abgesehen von ein paar Wundstellen konnte ich eigentlich auch in Mexiko schon beschwerdefrei laufen. Mir fehlt es nur an Kraft und Dynamik. Es braucht zirka ein halbes Jahr Regeration bis alles wieder 100 Prozent fit ist.

netzathleten: Wie hast Du den Wettkampf erlebt?
Marcel Heinig: Der Wettkampf war eine absolute Achterbahn der Gefühle. Es gab nicht einen Tag, wo es kein Hoch und kein Tief gab. Im Prinzip weiß ich das und kann mich auch dementsprechend darauf einstellen. Nur in der Praxis ist es meist so, dass sich ein Tiefpunkt nicht ankündigt und man immer überrascht wird. Es dauert dann erstmal seine Zeit, bis ich das realisiert habe. Aus Erfahrung weiß ich dann, dass jeder Tiefpunkt endlich ist und es danach wieder bergauf geht. Wichtig ist, gerade in solchen Situationen durchzuhalten und zu versuchen trotzdem Kilometer zusammen zu bekommen. Große Pausen helfen da nicht weiter, und man darf auch nicht darauf hoffen, dass ein Tief von allein weggeht. Bei Pausen würde sich die Problematik tendenziell noch verschärfen, da man durch den Verzug im Zeitplan zusätzlich demotiviert wird.

netzathleten: Hast Du zwischendurch das Gefühl gehabt, dass Du es nicht schaffen könntest?
Marcel Heinig: Ja absolut, das Gefühl war während der kompletten 10 Tage mein ständiger Begleiter. Die Distanzen erscheinen einem zeitweise so endlos, dass man sich auch nie wirklich sicher sein kann. Am achten Tag wäre mir beispielsweise fast ein Inlineskater ins Rad gerauscht. Er kam aus einem Seitenweg herausgeschossen und hat noch in der aller letzten Sekunde die Kurve bekommen. Das war ein Riesenschreck und die Angst, dass unvorhergesehene Dinge das Rennen sofort beenden können, bestätigt sich.

netzathleten: Was war der schwerste Moment für Dich?
Marcel Heinig: Es gab eigentlich keinen schwersten Moment. Ein schwerer Moment für mich war aber, als meine Betreuerin Sandra wieder heimgeflogen ist. Sie hatte einen Termin in Brüssel und es war schon vorher klar, dass sie am letzten Tag nach dem Schwimmen wieder zurück nach Europa fliegt. Meine mexikanischen Zweitbetreuer haben mir zwar keinen Wunsch unerfüllt gelassen, aber meine eigentliche Vertrauensperson war weg. In den 10 Tagen hat sich unser Verhältnis so entwickelt, dass mir Sandra alles abgenommen hat, was sie irgendwie abnehmen konnte. Das hat zwar eine gewisse Abhängigkeit zur Folge, aber gibt mir einfach mehr Konzentration und Sicherheit bei meinem sportlichen Handeln. Das ist quasi wie eine Frauchen-Hund Beziehung. Mir gab allein ihre Anwesenheit eine große Sicherheit, da ich wusste, egal was passieren würde, Sandra würde nichts unversucht lassen, um das Problem zu lösen. Deswegen fiel mir es sehr schwer, sie gehen zu lassen. Außerdem hätte ich den großartigen Erfolg gern mit ihr zusammen gefeiert, denn das war ja eher eine Teamleistung als eine Einzelleistung. Ohne sie hätte ich es wohl nicht geschafft, da mir die Konzentration auf das wirklich Wichtige gefehlt hätte.

netzathleten: Wie hast Du geschafft, dich jeden Morgen neu zu motivieren?
Marcel Heinig: Das Einzige, an was es nie gefehlt hat, war Motivation. Ich war während der kompletten 10 Tage bis in die Haarspitzen motiviert. Aber die ganze Motivation nützt einem nichts mehr, wenn die körperlichen Blessuren so groß sind, dass ein Weiterkommen unmöglich ist. Meine große Angst war immer, dass ich das Rennen dann unfreiwillig abbrechen müsste. Ich denke, freiwillig hätte ich nie aufgegeben. Dazu stand viel zu viel auf dem Spiel. Ich als Semiprofi in einer Amateursportart kann es mir auch nicht leisten, aus Motivationsgründen aufzugeben. Von daher stellte sich die Frage zum Glück nicht. Ich weiß, dass ich so ein Rennen nicht verreißen kann, denn dann würde ich das Geld zum Fenster rausschmeißen und das entspricht nicht meiner Erziehung. Eher gehe ich bis zum Abgrund in die Hölle, ehe ich das Geld so verschwende. In der Quintessenz habe ich schon oft festgestellt, dass gerade eine finanzielle Mangelsituation auch etwas sehr Positives haben kann. Es ist im entscheidenden Moment ein großer Unterschied, ob man zum Erfolg verdammt ist oder ob man sich mehrere Anläufe leisten kann. Bei einer großen Sinnfrage würde ich dann wohl abbrechen und zum Ausschlafen ins Hotel fahren – so bleibt aber kein Raum für derartige Fragen.

netzathleten: Hattest Du gesundheitliche Probleme?

Marcel Heinig: Ja klar, das bleibt nicht aus. Aber keine, die orthopädischer Natur waren, wie man in der ersten Überlegung denken würde. Ich hatte mit einer Erkältung in den letzten Tagen zu kämpfen sowie einer sehr unangenehmen Wundstelle am Hintern. Die Wundstelle stellt bei ausreichenden hygienischen Zuständen kein relevantes medizinisches Problem dar, und die Erkältung wurde von den Ärzten überwacht. Bei orthopädischen Verletzungen wäre es aber deutlich enger geworden und der Versuch hätte sicher abgebrochen werden müssen. Ich bin ein absoluter Gegner davon, in solchen Situationen mit starken Medikamenten nachzuhelfen. Ich bin für einen sauberen Sport – nicht nur weil mein Körper eh schon ausreichend gefordert wird, sondern weil das einfach die fasche Einstellung zu meiner Sportart wäre.

netzathleten: Gibt es schon neue Ziele oder hast Du langsam die Nase voll von solchen Ultra-Distanz-Veranstaltungen?
Marcel Heinig: Es gibt paar Ideen, jedoch noch keine konkreten Ziele. Die Nase habe ich nicht voll. Dafür ist der Sport einfach ein zu großer Bestandteil in meinem Leben geworden. Außerdem habe ich durch den Sport viel fürs Leben gelernt und über mich selbst erfahren. Ich lebe und liebe diesen Sport einfach zu sehr, um aufzuhören. Sicher ist, aber dass ich von meiner „Noch höher hinaus“ Mentalität etwas Abstand nehme. Ich habe für mich sportlich gesehen alles erreicht, was ich erreichen kann. Ich bin Realist und weiß, dass ich manche Ziele einfach nicht verwirklichen kann, auch wenn ich es mir noch so sehr wünsche. Aber das ist mehr als OK. Ich habe mehr erreicht, als ich mir je gewünscht oder erträumt habe.

Details

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  • Star Vita: Marcel Heinig (*16.11.1981) gehört zu den härtesten Athleten der Welt. Bereits mit 24 Jahren hat er seinen 100. Marathon gefinisht; mittlerweile sind es über 200 Marathons und Ultradistanzläufe. 2008 wurde Heinig mit einer Zeit von 206h 29min und 04sec Weltmeister beim Decatriathlon (38 Kilometer Schwimmen, 1.800 Kilometer Radfahren, 422 Kilometer Laufen – das entspricht der 10-fachen Ironman Hawaii Distanz).
  • Star Erfolge: Weltmeister Deca-Triathlon (10-fache Ironman-Distanz) 2008, Finisher bei über 200 Marathons und Ultradistanzläufen

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