Ich bin noch lange nicht fertig - Interview mit Wüstenläufer Rafael Fuchsgruber RacingThePlanet/Zandy Mangold

Ich bin noch lange nicht fertig - Interview mit Wüstenläufer Rafael Fuchsgruber

  • Nils Borgstedt
Rafael Fuchsgruber läuft inzwischen für sein Leben gerne, als er anfing, lief er gerne für sein Leben. Als der heute 51-jährige mit einer Herzmuskelentzündung im Krankenhaus liegt, fasst er den Entschluss sein Leben zu ändern. Aber lassen wir den Konzertmanager und Wüstenläufer doch selbst zu Wort kommen. Ein Interview über Wüste, trinken, wilde Tiere und laufen, immer wieder laufen.

netzathleten: Rafael, du bist Wüstenläufer. Warum?
Rafael Fuchsgruber: Mit Anfang 40 gab es einen gesundheitlichen Vorfall in meinem Leben: Ich lag mit Verdacht auf einen Herzinfarkt im Krankenhaus und bis geklärt werden konnte, was ich wirklich habe, dauerte es 20 Minuten. In diesen 20 Minuten habe ich über mein Leben nachgedacht. Anscheinend war dieses Mal nochmal alles gut gegangen, aber irgendwie roch es ein bisschen nach Ärger. Es stellte sich heraus, dass es eine Herzmuskelentzündung war. Und in diesen 20 Minuten fasste ich den Entschluss, etwas in meinem Leben zu ändern. Und so begann ich mit dem Laufen und das steigerte sich dann bis hin zu diversen Marathons – Köln, Frankfurt, Berlin und so weiter. Beim Einkaufen stieß ich dann auf eine Zeitung, ich glaube damals hieß sie Trailrunning, blätterte ein wenig darin und fand einen Bericht über den Marathon des Sables. Mein erster Gedanke war: so ein Lauf ist nur etwas für die ganz Großen, so etwas kannst du gar nicht… aber interessant ist das schon. Ein halbes oder dreiviertel Jahr später bin ich ganz alleine nach Marokko gefahren, in der Wüste bei Zagora gab es einen kleinen Wüstenmarathon. Ganz normal, 42 Kilometer durch die Wüste. Ich nahm teil, das war sehr schön und das ging. Daraufhin dachte ich: Ok, wenn du jetzt schon die 42 km in Zagora geschafft hast, dann meldest du dich für Marathon des Sables ein Jahr später an.

Es war einfach Faszination. Du siehst die Bilder und denkst: „Das ist es“. Tief in deinem Bauch sagt dir etwas: „Das ist es“ und dein Verstand sagt dir: 250 km in der Wüste, das schafft doch kein Mensch. Mir ging es ähnlich wie beim ersten Marathon, als ich an der Startlinie stand. Ich dachte: „Ich mache jetzt gleich etwas, das überhaupt nicht geht: 42 km am Stück laufen.“ Ich bin damals im Training maximal 20 km gelaufen. So ähnlich war es dann auch beim Marathon des Sables. Aber schließlich stellt man fest: Es geht eben doch.

netzathleten: Würdest du sagen, inzwischen reicht dir kein einfacher Marathon mehr?
Rafael Fuchsgruber: Ganz so kann man das nicht sagen. Ich laufe ja auch noch Straßenläufe, starte beispielsweise im Herbst bei den Deutschen Meisterschaften über 10 km auf der Straße. Ein Ultramarathon ist nicht wertiger als ein Marathon oder ein 5000 m-Lauf auf der Bahn. Hauptsache ist, und bei mir ist es definitiv so, dass man immer Spaß an der Sache hat. Allerdings ist der Spaß bei einem Zehner natürlich relativ kurz, da ist man ja nach 36 Minuten schon wieder fertig. Aber es stimmt schon, das Highlight ist für mich ein ganz, ganz langer Wettkampf und im Moment ist für mich die Faszination Wüste ganz groß. Mit dem Thema bin ich auch lange noch nicht fertig.


netzathleten: Langer Wettkampf, Wüste, extreme Bedingungen, extreme Anstrengung für den Körper. Das provoziert geradezu die Frage nach deiner Ernährung während so eines Rennens. Wie muss man sich das vorstellen, beispielweise beim Jordan 2012, den du auf dem zweiten Platz abgeschlossen hast?
Rafael Fuchsgruber: Das Reglement bei Etappenläufen in der Wüste schreibt vor, dass man alle wichtigen Sachen, die man für die Woche braucht im Rucksack hat. Der Veranstalter stellt die Übernachtung im Camp und acht bis zehn Liter Wasser am Tag. Die reichen, um über die Runden zu kommen. Der Rest obliegt den Teilnehmern. Also sowohl was Schlafsack und Luftmatratze angeht, als auch die Ernährung. Alle Läufer haben das Essen für eine Woche in ihrem Rucksack. Das Wasser gibt es alle zehn Kilometer an den Checkpoints. Wie man sich ernährt, ist einem letztendlich freigestellt. Man muss etwas finden, das verhältnismäßig wenig Gewicht und Volumen hat und dafür einen verhältnismäßig hohen Nährwert. Und dann bist du bei Kohlenhydraten und bei Ölen und Fetten. Dann musst du gucken, worauf du deinen Fokus legst. Das ist teilweise sehr unterschiedlich.

netzathleten: Und wie sieht es bei dir persönlich aus?
Rafael Fuchsgruber: Ich bin momentan mit sehr vielen Kohlehydraten unterwegs, mein Partner Ultrasports macht hier sehr gute Arbeit. Auf einer solchen Tour musst du richtig essen. Dafür gibt es Travel-Lunch oder ähnliche Expeditionsnahrung, die genau für solche Fälle konzipiert wurde. Die kann man in Alu-Tüten zubereiten. Das ist praktisch wie ein Instantessen. Heißes Wasser drauf und dann hast du deine Spaghetti Bolognese, deinen Bohneneintopf oder was auch immer. Dieses Essen ist in der Regel das Abendessen im Lager. Dazu kommt die Verpflegung während des Laufs mit Kohlenhydratgels oder –pulver oder was auch immer man sich antun möchte, um sich während des Laufens fit zu halten. Es gab auch schon Teilnehmer, die versucht haben nur mit Kohlenhydratpulver oder Öl durchs Rennen zu kommen, aber das funktioniert nicht. Irgendwann rebellieren Magen und Darm. Also mindestens einmal am Tag muss man etwas Richtiges essen, damit in den Magen und Darm auch etwas rein kommt. Öl ist prinzipiell praktisch: sehr viele Kalorien bei wenig Gewicht, aber da fehlen dann die Kohlenhydrate. Alles in allem muss man sich selber herantasten. Es ist ein sehr interessantes Thema und da werden die meisten Fehler gemacht und da entstehen meistens die Probleme mit dem Gewicht beim Rucksack.

netzathleten: Wie kommt‘s?
Rafael Fuchsgruber: Die Pflichtausrüstung ist für alle gleich. Alle kaufen sich da das leichteste Material. Aber trotzdem wiegt der eine Rucksack 6,5 Kilo und der andere 13 Kilo. Und der Unterschied ist, dass die mit einem 13-Kilo-Rucksack einfach ein Vielfaches an Essen mitschleppen, weil sie Angst haben sonst nicht durchzukommen oder manchmal auch einfach schlecht beraten sind. Ich habe einmal einen Teilnehmer erlebt, der hatte seinen Energienachschub für während dem Lauf ausschließlich in Flüssigkeiten mitgebracht. Der stand natürlich super da: Das Getränk besteht aus viel Flüssigkeit und wenig Kohlenhydraten, vom Gewicht ganz zu schweigen. Zudem bekomme ich ja an den Checkpoints immer Wasser.

netzathleten: Das Wasser hast du immer wieder angesprochen. Wie viel trinkst du etwa auf einer Etappe? Nehmen wir mal als Beispiel die Königsetappe vom Jordan 2012: 86 Kilometer durch die Wüste…
Rafael Fuchsgruber: Auf dieser Etappe gibt es 10 Checkpoints, an jedem Checkpoint gibt es 1,5 Liter Wasser, also kommt man auf etwa 13 bis 15 Liter Wasser. Das ist die lange Etappe. Auf einer normalen Strecke von 40 Kilometern in der Wüste, kann man acht bis zehn Liter rechnen.

netzathleten: Und was hast du bei deinem Lauf außer Verpflegung dabei?
Rafael Fuchsgruber: Zunächst gibt es eine Pflichtausrüstung, die vom Veranstalter vorgeschrieben ist. Das dient vor allem der Sicherheit der Läufer. Dazu zählen: die Mindestmenge von 2000 Kilo-Kalorien pro Tag, eine Sicherheitsausrüstung bestehend aus Aludecke, Messer, Kompass, Trillerpfeife, bei manchen Rennen sind Signalraketen Pflicht, und schließlich braucht man Ausrüstung für die Nacht. Das heißt man muss eine winddichte, warme Jacke dabei haben – in der Wüste wird es nachts teilweise Null Grad und wenn man dann auf dem nackten Boden schläft und hat nichts dabei, kann das bitter werden. Dann braucht man ein Langarmshirt und natürlich die Laufklamotten, Shirt, Hose, Strümpfe. X-Bionic steht mir hier als Partner zur Seite. Die Klamotten bleiben auch das ganze Rennen hindurch die gleichen und werden nicht gewechselt. Das Gewicht des Rucksacks ist das A und O. Im Laufe der Zeit lernt man auch sich wirklich auf die essentiellen Dinge zu beschränken. Früher hatte ich noch ein kleines, aufblasbares Kopfkissen dabei, zwei Päckchen Gummibärchen und ähnliches. Aber das ist inzwischen rausgeflogen. Beim Rucksackgewicht gehöre ich inzwischen schon zu den ersten drei bis fünf Läufern.


netzathleten: Gepäck, Planung, all das haben wir bereits besprochen. Aber wie bereitest du dich und deinen Körper auf solche Läufe vor? Gerade die Unwägbarkeiten der Natur, wie Sandstürme und die extreme Hitze lassen sich ja in unseren Gefilden schlecht trainieren…
Rafael Fuchsgruber: Grundsätzlich gilt es viel zu laufen. Wenn man vorne mitlaufen will, sollte man schon mindestens 150 Kilometer pro Woche laufen. Im speziellen Fall Jordanien, bin ich am Schluss der Vorbereitung 170 Kilometer mit etwa 5000 Höhenmetern pro Woche gelaufen. Und entscheidend dabei: Ich hatte meinen Rucksack dabei. Das was man im Wettkampf tut, muss man auch im Training üben. Bestimmte Dinge kann man aber auch nicht oder nur schwer trainieren. Ich kann zwar hier die Berge und Hügel rauf und runter rennen, aber ich habe hier keinen Sand. Daher versuche ich dann, in meine Vorbereitung auch einen Strandurlaub einzubauen. Und zur Hitze – das geht anderen ja genauso. Klar gibt es den einen oder anderen, der dann mit einem Laufband und Rucksack auf dem Rücken in der Sauna trainiert, aber das ist mir zu doof. Selbst bloßes Laufen auf dem Laufband mag ich nicht.

netzathleten: Machst du im Rahmen deiner Vorbereitung auch extra Krafttraining, beispielsweise für den Rumpf, da du ja mit Rucksack unterwegs bist.
Rafael Fuchsgruber: Ehrlich gesagt bin ich auf diesem Gebiet ein ziemlich fauler Hund. Ich mache zwar meine Gymnastik für Bauch- und Rückenmuskulatur zu Hause, bin aber auch da eher nachlässig. Ich ziehe mir lieber den Rucksack an und gehe laufen, in der Regel mit Übergewicht. In der Wüste wiegt mein Rucksack etwa 6,8 Kilo, ich habe aber vorher beim Training bis zu zehn Kilo durch den Wald geschleppt. Erstens, um durch dieses Übergewicht ein bisschen mehr Trainingseffekt zu haben und zweitens ist das auch eine mentale Sache. Wenn man bis eine Woche vor dem Wettkampf mit zehn Kilo unterwegs war, steht dann aber nur mit 6,8 Kilo in der Wüste an der Startlinie und rennt los, dann kommt man sich vor ein Vogel, wie eine Feder oder wie auch immer man es nennen mag. Dann kommt es einem vor, als könne man fliegen. Das ist ein Effekt, der durchaus sehr hilfreich sein kann.

netzathleten: Wovor hast du bei einem solchen Rennen denn den größten Respekt? Der Hitze? Den giftigen Tieren? Der Wüste in ihrer Gesamtheit?
Rafael Fuchsgruber: Klar, Respekt, Demut, Glaube oder wie das jeder für sich selbst nennt, sind enorm wichtig. Die Wüste ist eine ungeheure Macht. Wir hatten einmal vier Stunden Sandsturm und lagen im Schlafsack im Freien über unseren Rucksäcken, damit die nicht wegflogen. Wer da noch meint er wäre der Größte hat gar nichts verstanden. Vor giftigen Tieren wie Skorpionen oder Schlangen habe ich übrigens eher Angst als Respekt. Das Schwierige für mich ist aber inzwischen nicht mehr das Rennen selbst, sondern danach wieder in den Alltag zurückzukehren. Ich brauche erst mal eine gewisse Zeit, bis ich wieder „normal“ werde.

netzathleten: Und wie sehen deine weiteren Ziele und nächsten Projekte aus?
Rafael Fuchsgruber: In den letzten beiden Jahren war ich mit RacingThePlanet und ihrer 4Desert Serie unterwegs und neben der perfekten Organisation und Sicherheit, war immer viel Spaß dabei – es ist alles sehr familiär. Nächstes Jahr wird die Serie wieder im Frühjahr in der Atacama Wüste in Chile starten und im Sommer in der Wüste Gobi in China sowie in Island. Eines dieser Rennen werde ich sicherlich in Angriff nehmen. Vielleicht sogar auch noch das Sahara Race im Oktober dieses Jahres. Ich liebe diesen Lauf!

netzathleten: Jetzt haben wir viel über Sand und Wüste gesprochen. Zum Abschluss noch eine Frage Würde dich die Eiswüste auch einmal reizen?
Rafael Fuchsgruber: Im Moment noch nicht, weil ich mit den anderen Themen noch nicht durch bin. Ich bin immer noch auf der Suche nach meinem perfekten Rennen und ich komme der Sache immer näher. Ein Rennen in der Eiswüste ist eine ganz neue Baustelle. Das ist ein ganz anderes Rennen, es lauern ganz andere Gefahren, man braucht ganz anderes Equipment. Da fange ich dann wieder bei null an, auch mental. Zunächst möchte ich aber noch den perfekten Abschluss beim Laufen in der Wüste finden.

netzathleten: Rafael, vielen Dank für das spannende Gespräch und viel Erfolg bei deinen nächsten Vorhaben.

Weitere Informationen zu den Wüstenläufen von Racing the Planet gibt's unter: www.racingtheplanet.com

Alle Bilder © RacingThePlanet.com/Zandy Mangold

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