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Angewandte Sportpsychologie - was ist das wirklich?

  • Nils Borgstedt
In einem Gastbeitrag erklärt Diplom-Sportwissenschaftler Andreas Meyer inwieweit Angewandte Sportpsychologie eine wichtige Säule des Trainings ist und gibt eine Definition, was man unter angewandter Sportpsychologie versteht.

Von: Andreas Meyer

[Die] Sportpsychologie [ist] ein elementarer Bestandteil unseres Trainings und gehört meiner Meinung nach in jede moderne Sportmannschaft, die den Sport ernst betreibt, hinzu. (Marcel Keller Gil; Nationalspieler Portugal & 1. Deutsche Bundesliga; Volleyball)

Die Angewandte Sportpsychologie erfreut sich in letzter Zeit immer größerer Beliebtheit, vor allem im Spitzensport. Dennoch wird sie häufig missverstanden und es bedarf noch der Aufklärungsarbeit. Der vorliegende Beitrag soll helfen, Missverständnisse zu beheben, indem das Feld der Sportpsychologie näher thematisiert wird.

Missverständnisse rund um die Sportpsychologie

Ein weitverbreitetes, falsches Verständnis von sportpsychologischer Beratung ist, dass sie ausschließlich der Krisenintervention gilt. So wird irrtümlich angenommen, dass nur Athleten mit Problemen wie psychischen Störungen oder starken, leistungseinschränkenden Defiziten diese Form der Beratung benötigen. Die Berater werden somit als Psychotherapeuten für Sportler gesehen.

Krisenintervention nur Teil des Ganzen 

Dieses gängige, jedoch schlichtweg falsche Verständnis ist sehr problematisch und zeigt auf, wie viel Aufklärungsarbeit zu diesem Thema noch zu leisten ist. Natürlich ist die Krisenintervention ein Teil der sportpsychologischen Betreuung, jedoch geht es dabei nicht (oder nur in Ausnahmefällen) um psychische Störungen. Diese dürfen nur von ausgebildeten Psychotherapeuten behandelt werden. Da nicht jeder Sportpsychologe gleichzeitig auch ausgebildeter Psychotherapeut ist, wird der Athlet gegebenenfalls an entsprechende Therapeuten vermittelt. Zur Krisenintervention gehören im Rahmen der Sportpsychologie oftmals Problematiken, die den Athleten in der erfolgreichen Ausführung des Sports beeinträchtigen, zum Beispiel Unstimmigkeiten im sozialen Umfeld, Blockaden bei Wettkämpfen oder Verletzungsmanagement (Pausen; Heilprozesse).

Angewandte Sportpsychologie: Mehr als mentales Training 

Eine weitere Fehlinterpretation ist die Gleichsetzung von sportpsychologischer Betreuung und mentalem Training. Mentales Training gilt als aktueller Trend und wird sowohl im Sport als auch in der Wirtschaft eingesetzt. Oft werden hierbei Motivation und Erfolgsmanagement thematisiert. Diese Themen werden auch von der Sportpsychologie aufgegriffen, was einen Zusammenhang erahnen lässt. Der Begriff mentales Training bezieht sich aber in der Angewandten Sportpsychologie in der Regel auf mentales Techniktraining, welches auf einer Visualisierungsmethode beruht mit der Bewegungsabläufe erlernt, stabilisiert, verändert oder perfektioniert werden. Ein weiterer Unterschied besteht in der Berufsausbildung. Während ein Mentaltrainer nicht zwingend eine Ausbildung benötigt, gibt es für Sportpsychologen und sportpsychologische Experten eine zulassungsbeschränkte Ausbildung. Dazu gehört ein Diplom- oder Masterabschluss im Fach Psychologie oder Sportwissenschaften sowie eine Weiterbildung im Curriculum der Sportpsychologie durch die ASP (Arbeitsgemeinschaft für Sportpsychologie).

Angewandte Sportwissenschaft ist kein Allheilmittel

Ein dritter Irrtum betrifft die Wirksamkeit der sportpsychologischen Intervention. Oft wird die Sportpsychologie als Feuerwehr verstanden, die man in Anspruch nimmt, wenn es einmal brennt. Das kann zwar schon einmal klappen, aber ist nicht die Regel. Das sportpsychologische Training muss genauso erlernt und praktiziert werden wie etwa ein Athletik- oder Techniktraining. Es stellt eine Trainingsmaßnahme dar, ist aber kein Allheil- oder Wundermittel mit garantierter Sofortwirkung. Vielmehr soll es sich neben den anderen Trainingsmaßnahmen als Grundbaustein etablieren.

Wir […] [sehen] das mentale Training oder die Sportpsychologie, als einen [...] grundlegenden Faktor [...], der das Schwimmen und die Leistung am Ende genauso beeinflusst, wie das tägliche Training im Wasser [oder] wie das Athletiktraining an Land. (Christian Keller; Kurzbahnweltmeister, Europameister & Olympiadritter; Schwimmen)

Was ist Sportpsychologie wirklich?

Die Sportpsychologische Betreuung gliedert sich nach Elbe und Beckmann in vier Bereiche: Das Grundlagentraining, das Fertigkeitstraining, die Krisenintervention und die Diagnostik.

Zum Grundlagentraining zählen hauptsächlich Entspannungsverfahren. Dazu gehören Atemtechniken, Progressive Muskelrelaxation oder autogenes Training. Diese bilden das Fundament für viele weitere Techniken aus dem Fertigkeitstraining und tragen durch ihre Stress abbauende Wirkung zu einer gesunden und ausgeglichenen Haltung bei.

Als Fertigkeitstraining versteht man das Vermitteln und Trainieren von mentalen Fertigkeiten, die für den Sport und die Leistungserbringung förderlich sind. Hierzu zählen beispielsweise das mentale Techniktraining, Psychoregulation, Konzentration, Motivation oder teambildende Maßnahmen. Diese Fertigkeiten werden individuell erarbeitet und an die jeweilige Sportart oder Problematik angepasst. Die Vermittlung der sportpsychologischen Fertigkeiten erfolgt meist über Workshops oder in der Einzelberatung mit dem Athleten.

Die Krisenintervention wurde bereits thematisiert. Diese findet ausschließlich in der Einzelberatung statt. Oftmals sind die Anliegen akute Problematiken im Umfeld des Athleten, Verletzungspausen, Ängste, Blockaden bei der Leistungserbringung oder Motivationsschwierigkeiten.

Diagnostik kann zu verschiedenen Zwecken angewandt werden. Zum einen als begleitende Maßnahme (Monitoring) zur Feststellung der Wirksamkeit der sportpsychologischen Betreuung. Zum anderen dient sie der Erfassung von IST-Werten des Athleten. Darauf aufbauend, können Ressourcen entdeckt und Potenziale erkannt werden, welche dann systematisch zur Leistungssteigerung oder -stabilisierung eingesetzt werden können.

Weitergehend beschäftigt sich die Sportpsychologie nicht nur mit den Athleten. Auch Trainer, Funktionäre und Eltern sind Zielgruppen der Beratung, denn auch sie können von sportpsychologischer Beratung profitieren. Hierbei geht es meist um die Erarbeitung hilfreicher Strukturen, die optimale Betreuung der Sportler, erfolgreiches und authentisches Coaching sowie die eigene Präsentation nach außen (beispielsweise im Umgang mit den Medien).

Fazit: Angewandte Sportpsychologie

Sportpsychologie ist ein wichtiger Bestandteil des modernen Sports, genauso wie Athletik- und Taktiktraining, oder Ernährungsberatung und Physiotherapie. Sie ist ein Baustein von vielen, der einen großen Beitrag dazu leistet, dass ein Athlet zum richtigen Zeitpunkt seine Spitzenleistungen abrufen kann.

Warum holt sich ein Cheftrainer einen Athletiktrainer rein? Weil er halt da eine Unterstützung braucht und im psychologischen Bereich ist es natürlich auch wichtig (Martin Meichelbeck; ehemaliger Fußball Bundesligaspieler, sportpsychologischer Coach bei Greuther Fürth)

Weitere Infomationen zu Diplom-Sportwissenschaftler Andreas Meyer gibt es auf seiner Homepage

Literaturangabe: Beckmann, J., Elbe, A. (2011). Praxis der Sportpsychologie. Mentales Training im Wettkampf- und Leistungssport. Balingen: Spitta Verlag (2. erw. Auflage).

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