Laufen: Warum ist ein Marathon genau 42,195 km lang? shutterstock.com/Sebastien Windal

Laufen: Warum ist ein Marathon genau 42,195 km lang?

  • Marco Heibel
In den olympischen Laufdisziplinen werden – von den 100 bis zu den 10.000 Metern – ausschließlich Distanzen zurückgelegt, die nach dem metrischen System „glatt“ sind. Nur der Marathon als längster Laufwettbewerb hat einen „krummen“ Wert. Wie erklärt sich aber diese Distanz von 42,195 Kilometern?

Der nahe liegendste Erklärungsansatz liegt natürlich im Ursprung. Wohl jeder wird im Geschichtsunterricht in der Schule von dem griechischen Boten gehört haben, der im Jahr 540 vor Christus von Marathon nach Athen lief, um den Sieg der Griechen über die Perser zu verkünden. Dieser erste Finisher der Geschichte soll demnach unmittelbar nach Erfüllung seiner Mission vor Erschöpfung gestorben sein. Daher läge eigentlich die Vermutung auf der Hand, dass die Entfernung zwischen den beiden Städten 42,195 Kilometer beträgt.

Doch das ist gleich in doppelter Hinsicht falsch. Zum einen beträgt die Distanz nur rund 40 Kilometer, zum anderen hat die griechische Geschichtsschreibung mehrere Jahrhunderte nach diesem Ereignis einiges zur Legende verklärt – und diese hat sich in vielen Köpfen festgesetzt. Laut einer zeitlich näheren Quelle des Herodot ist der Bote nämlich gar nicht nach Athen, sondern nach Sparta gelaufen. Und diese Distanz ist mit 145 Meilen (ca. 233km) deutlich weiter. Außerdem verkündete er nicht den Sieg, sondern sollte dort Verstärkung holen.

Umrechnung auf das metrische System?


In der Umrechnung von der Meile auf Kilometer liegt ein weiterer Erklärungsansatz. Und in der Tat gab es ab dem späten 18. Jahrhundert vor allem in den USA und Großbritannien ein gesteigertes Interesse an Sportwettkämpfen über lange Distanzen – und dort wurde die Strecke natürlich in Meilen gemessen. Das würde krumme Werte bei der Umrechnung auf das metrische System erklären. So entsprechen 25 Meilen zum Beispiel 40,23 Kilometern. Doch auch hier findet sich keine Erklärung: 42,195 Kilometer entsprechen nämlich 26,219 Meilen. Und über diese Distanz wurde auch in den USA und Großbritannien keine Rennen gelaufen. Abgesehen davon, berief sich zur damaligen Zeit noch niemand auf die Legende des Laufes von Marathon nach Athen. Sie war (noch) in Vergessenheit.

1896: Olympia-Premiere


Erst nachdem 1890 in Marathon Gräber von der besagten Schlacht zwischen den Griechen und den Persern gefunden wurden, erinnerte man sich auf den antiken Marathon-Lauf. Der Kreis um IOC-Gründer und -Präsident Pierre de Coubertin, der gerade die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit plante, nahm diesen Wettbewerb daraufhin in das Programm für Athen 1896 auf. Auch dieser Lauf führte von Marathon nach Athen. Die Strecke war nach damaligen Berechnungen exakt 40 Kilometer lang.
Bei den folgenden olympischen Marathon-Läufen versuchte man, sich dann auch tatsächlich an der 40-Kilometer-Marke bzw. an der 25-Meilen-Marke (40,23 Kilometer) zu orientieren – was aufgrund unterschiedlicher örtlicher Gegebenheiten nie wirklich gelang.


Der Königsfamilie und zwei Helfern sei Dank


Die Planungen der Organisatoren von London 1908 sahen vor, dass der Start des Marathons am Schloss Windsor vor den Augen der Königsfamilie erfolgen sollte, Ziel sollte das neu erbaute Olympiastadion sein. Allerdings stellte man erst sehr spät fest, dass die Strecke deutlich länger war als 25 Meilen, nämlich 26 Meilen. Und damit war man immer noch nicht an der Königsloge angekommen. Um der Regentenfamilie also den Zieleinlauf direkt vor deren Augen zu ermöglichen, wurde die Strecke noch einmal um die hierfür nötigen 385 Yards verlängert. Zählt man alles zusammen kommt man somit auf 26 Meilen und 385 Yards bzw. – da sind sie endlich – 42,195 Kilometer.

Wahrscheinlich wäre diese Distanz ein einmaliger Ausreißer nach oben geworden, wenn der Wettkampf anders verlaufen wäre. So aber hat die Dramaturgie des Rennens dafür gesorgt, dass ausgerechnet ein Messfehler für eine fast mythische Zahl verantwortlich wurde: Der Italiener Dorando Pietri ging nämlich mit einem riesigen Vorsprung auf die letzten 350 Meter und sah schon wie der sichere Sieger aus. Das Ziel schon vor Augen, brach er jedoch gleich mehrfach zusammen und wurde letztlich von zwei britischen Helfern als Erster über die Linie geschleppt. Die Folge: Pietri wurde disqualifiziert und der US-Amerikaner John Hayes, der es aus eigener Kraft ins Ziel geschafft hatte, nachträglich zum Olympiasieger erklärt.

Daraufhin witterte man in den USA das große Geld und veranstaltete einen Revanche-Wettkampf zwischen den beiden Athleten, der – der Vergleichbarkeit willen – über die exakt gleiche Distanz von 42,195 Kilometern ausgetragen wurde. Die Veranstaltung hatte einen derart großen Erfolg, dass sich daraus eine ganze Wettkampfserie entwickelte, an der auch andere Läufer teilnahmen.

Funktionäre reagieren spät – Seit 1921 offizielle Marathon-Distanz


Das Internationale Olympische Komitee (IOC) reagierte erst mit Jahren Verspätung auf die Idee, Marathonläufe immer auf der gleichen Distanz auszutragen. So kam es etwa bei den Olympischen Spielen 1920 in Antwerpen noch zu einer Rekord-Distanz von 42,75 Kilometern. Erst 1921 legte der Welt-Leichtathletik-Verband (IAAF) die 42,195 Kilometer als offizielle Distanz für einen Marathon fest, das IOC zog drei Jahre später nach.

Marco Heibel

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